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Griechenland vor den Wahlen

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Am 19. Februar 1956 finden in Griechenland Parlamentswahlen statt. Die im November 1952 gewählte Kammer, deren verfassungsmäßige Funktionsdauer vier Jahre betragen hätte, wurde in den ersten Jännertagen dieses Jahres durch königlichen Erlaß vorzeitig aufgelöst. Der Regierungschef selbst, Konstantinos Karamanlis, hatte zu dieser Maßnahme gedrängt.

Bei den vorigen Parlamentswahlen im November 1952 hatten die Stimmbürger von insgesamt 300 Volksvertretern 240 Abgeordnete der „Hellenischen Sammlung“ des Feldmarschalls Papagos in die Kammer entsandt. Das Ansehen dieses Feldherrn, seine Beliebtheit im Volke, seine persönliche Unantastbarkeit sicherten dem um ihn gescharten Block einen überwältigenden Wahlsieg. Papagos überließ indes die Leitung, vor allem der wirtschaftlichen Angelegenheiten dem ehrgeizigen Spiros Markezinis, dem man — wohl zu LInrecht — totalitäre Neigungen nachsagte und der jedenfalls den übrigen Politikern der Sammlungspartei bald unbequem wurde. Der Marschall mußte sich von seinem Hauptmitarbeiter und Berater trennen; Markezinis ging mit 30 Mannen seiner Gefolgschaft, die sich Fortschrittler nannten, in die Opposition, und die führende Rolle neben dem Regierungschef übernahmen zwei gewiegte Parlamentarier der gemäßigten Rechten, die beiden stellvertretenden Ministerpräsidenten, Verteidigungsminister Panaj'otis Kanellopulos und Außenminister Stefanos Stefanopulos. Die auf persönlicher Rivalität beruhenden Gegensätze zwischen diesen Politikern waren ein offenes Geheimnis. Im Frühjahr 1955 erkrankte Papagos schwer an den Folgen eines Leidens, das er sich in deutscher Gefangenschaft zugezogen hatte. Der Ministerpräsident war seitdem von der Leitung der Geschäfte ausgeschaltet, er wollte aber nicht auf sein Amt verzichten. Angesichts dieser Umstände und der sich vertiefenden Mißhelligkeiten innerhalb der Sammlungspartei war die Regierung gerade in ihren wichtigsten Entschlüssen gelähmt. Als Papagos im Herbst starb, konnte die „Sammlung“ ihren Führer nicht mehr überleben.

Den Vorsitz in dem nunmehr am 6. Oktober ncugebildeten Kabinett übernahm, zum Erstaunen der breiten Oeffentlichkeit, keiner der im äußersten Vordergrund stehenden Politiker, sondern der Minister der öffentlichen Arbeiten unter Papagos, der Makedonier Konstantinos Karamanlis, ein jugendlicher Fünfziger vom rauhen Schlag der Nordgriechen. Er genoß — und genießt noch heute — Achtung und Popularität ob seiner zielstrebigen und geraden Art, doch hatte man ihn bisher nur als tüchtigen Fachminister kennengelernt, der Straßenbauten und andere zur Arbeitsbeschaffung dienende öffentliche Aufträge rasch und ehrlich durchführen ließ.

In sein Team übernahm Karamanlis weder Kanellopulos noch Stefanopulos; er besetzte vielmehr die wichtigsten Ressorts mit neuen, wenn auch mitunter alten Männern. Der Ministerpräsident selbst übernahm zunächst das Verteidigungsministerium, und die Leitung der auswärtigen Angelegenheiten erhielt Spiros Theo-tokis, ein gemäßigter Politiker, der bereits früher das Portefeuille innegehabt hatte und der entschlossen schien, den Konflikt mit der Türkei und mit England, bei aller Wahrung des hellenischen Standpunktes, nicht auf die Spitze zu treiben.

Nach rein mathematischer Berechnung hätte Karamanlis ruhig mit der bestehenden Kammer v/eiterregieren können: das Vertrauen wurde seinem Kabinett mit 200 gegen 77 Stimmen bei zwei Enthaltungen ausgesprochen. Der Ministerpräsident wußte aber, daß die Einheit der „Sammlung“ nur noch eine Fiktion war, hinter der sich tiefgehende Meinungsverschiedenheiten und persönliche Feindschaften nicht einmal mehr verbargen, sondern in aller Oeffentlichkeit abspielten. Er bat daher den Monarchen — der während der Krisenzeit, seinen Urlaub in Oesterreich abbrechend, zur Beruhigung der Oeffentlichkeit anwesend war, doch sich taktvoller Zurückhaltung befleißigte -, die Nationalversammlung aufzulösen und das Volk vor die Entscheidung über die künftige Politik zu stellen. Trotz der Bedenken des rechten Flügels der „Sammlung“ kam der König dem Wunsche Karamanlis' nach. Die Kammer war bereits aufgelöst, als man sich von verschiedenen Seiten, auch von der Linksopposition her, noch bemühte, eine Verschiebung des Wahltermins auf nächsten November zu erwirken. Auch das wußte der Ministerpräsident zu vereiteln. Wenn nichts Unerwartetes eintritt, bleibt es beim 19. Februar als Tag des Urnengangs.

Nach der Ankündigung der Neuwahlen brach die Hellenische Sammlung vollständig in sich zusammen. Karamanlis selbst legte keinen Wert mehr auf die abgebrauchte Benennung und gründete eine neue Partei, mit der er hofft, das Rennen zu gewinnen. Sie heißt National-Radikale Union — in Griechenland verhält es sich wie im Frankreich der Dritten Republik: die Bezeichnungen aller politischen Gruppen müssen eine Mischung gewisser, stets wiederkehrender Worte bieten, als da sind national, demokratisch, fortschrittlich, liberal, radikal, sozial... — Die Union erklärt nun, etwas ganz Neues darzustellen und leugnet jede Abstammung von der Sammlung oder von anderen traditionellen Parteien. Dem Außenstehenden erscheint sie bloß als eine Bewegung mehr, und zwar als eine solche der gemäßigten Mitte, nicht unähnlich der seinerzeitigen Gefolgschaft Edgar Fauresin Frankreich. Als Hauptaufgabe hat sich Karamanlis das Ziel gesetzt, den uralten Gegensatz zwischen Venizelisten und Anti-vcnizelisten aus der Welt zu schaffen und in der National-Radikalen Union ein Sammelbecken für die vernünftigen Elemente aus beiden bürgerlichen Lagern zu schaffen. Einige jüngere, als dynamisch geltende Liberale sind bereits zu Karamanlis gestoßen.

Die Rechte, die den Kern der Hellenischen Sammlung bildete, ist einmal mehr hoffnungslos zersplittert, und alle ihre Führer werden getrennt marschieren. Kanellopulos samt einigen Getreuen bleibt dem Banner der „Sammlung“ ergeben. Stefanopulos hat eine Soziale Volksbewegung ins Leben gerufen. Da sind noch die Volksparteiler Tsaldaris', die Leute des seinerzeitigen Sicherheitsministers unter der Diktatur, Maniadakis, von winzigen Splittergruppen ganz zu schweigen. Mitte links und weiter bis zur äußersten Linken sieht es aber auch nicht besser aus. Sophokles Venizelos, der Sohn des großen Kreters, hat das Häuflein der unentwegten Liberalen um sich geschart. Papaandreu ist der Anführer der gemäßigten Sozialdemokraten. Kartalis hat eine weitere bürgerlich-radikale Gruppe hinter sich. Zwei große Unbekannte zeichnen sich im „antifaschistischen“ Lager ab: die EDA (Union der Demokratischen Linken), seinerzeit eine wichtige Stütze der Plastiras-Koalition, ein Auffanglager für ehemalige Kommunisten und sonstige ELAS-Anhänger. Diese Gruppe hat In ihren Bemühungen um die Herstellung einer demokratischen Front — lies: Volksfront —, die bis Papaandreu und Venizelos gehen soll, unerwarteten und eher als peinlich empfundenen Sukkurs erhalten: Markezinis und seine Fortschrittler suchen hier Anschluß, was etliche Verwirrung in die Reihen der linksgerichteten Wählerschaft tragen dürfte. Darauf freut sich nun die Konkurrenz, die soeben gegründete Fortschrittliche Arbeiterbewegung des Athener Bürgermeisters General Katsotas (der zwar fortschrittlich, doch keinesfalls ein Arbeiter ist). Auch diese Fraktion hofft, die einstige Anhängerschaft Plastiras', ja die der nach wie vor verbotenen und illegalen KP für sich zu gewinnen.

Karamanlis hat unmittelbar nach der Ausschreibung der Wahlen eine Kabinettsumbildung vorgenommen und die fünf wesentlichen Portefeuilles — deren Inhaber gemeinsam mit der technischen Durchführung und Ueberwachung der Wahlen beauftragt sind — unpolitischen, parteilosen Persönlichkeiten anvertraut, darunter zwei Generalen. Dadurch soll das Vertrauen der Staatsbürger in die demokratische Korrektheit der Volksbefragung erhöht werden. Zu demselben Zwecke wurde ferner, kurz vor dem Ende der vorzeitig abgelaufenen Legislaturperiode, ein Wahlgesetz durchgepeitscht, das den Wünschen der Opposition nach Wiedereinführung des Verhältniswahlrechtes entgegenkommt. Das Land wurde in 41 Wahlkreise eingeteilt, innerhalb derer der Proporz für die Zuerkennung der Mandate bestimmend ist. Die

Opposition behauptet allerdings, dies sei noch immer kein Verhältniswahlrecht und es seien überhaupt ungenügende Garantien für die freie Durchführung der Wahlen gegeben.

Die Kommunisten bleiben verboten. Erst kürzlich wurde eine größere Anzahl ihrer Parteigänger verhaftet und wegen Spionage zugunsten Bulgariens vor Gericht gestellt. Dennoch hat sich in der Einstellung sogar der Regierungskrise zur äußersten Linken und zum Sowjetblock manches gewandelt, vornehmlich im Hinblick auf die wohlbekannten Vorgänge um Zypern und auf die Vergiftung des türkisch-griechischen Verhältnisses. Trotzdem, und trotz der schwankenden außenpolitischen Lage des Landes, wird die hellenische Innenpolitik von de,n Weltereignissen kaum berührt. Angesichts der ungelösten Fragen auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens und infolge der argen Parteienzersplitterung ist es unmöglich, das Ergebnis der Wahlen mit einiger Gewißheit vorherzusagen und also den inneren und äußeren Kurs vorauszubestimmen, den die künftige Regierung einschlagen wird. Mehr läßt sich nicht sagen, als daß die erfahrenen Wahlstrategen Einbußen der Rechten und Erfolge der Linken vermuten, ohne das Ausmaß dieser Erscheinungen abschätzen zu können. Ausschlaggebend dürfte der Erfolg oder Mißerfolg des dem Experiment Faure verwandten Experiments Karamanlis werden. Bei der Labilität der griechischen Wähler-niassen sind hier alle Ueberraschungen möglich.

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