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Grundlagen sozialer Wohnungspolitik

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Das Problem des Bauens hat zu allen Zeiten die Menschen sehr stark in seinen Bann geschlagen. Konnte man in anderen Jahrhunderten Macht, Prachtentfaltung und auch den Fleiß unverdrossener Pioniere wie die Gottessehnsucht eines Zeitalters aus den Bauwerken dieser Zeit lesen, so muß sich heute im Bauwesen überall der soziale Grundgedanke abzeichnen.

Die vergangene Zeit war nicht glücklich in der Schaffung einer Marktordnung für das Wohnwesen. Zwar entstand der notwendige Wohnraum. Hiefür mußte ein Fünftel bis ein Viertel des Einkommens aufgewendet werden, wie es heute noch fast in jedem anderen Lande bezahlt werden muß. Aber vielfach wurde das Wahnbauen reines Spekulationsobjekt, das Zinskasernen ohne Licht und Luft mit finsteren Hinterhöfen und das Untermieterwesen als Massenerscheinung schuf; kinderreiche Familien warert benachteiligt worden; auch in rein kaufmännischer Hinsicht gab es viele Mißbräuche im Rahmen der Bauspekulation. Immerhin wurden in den Jahren 1896 bis 1914 im Jahresdurchschnitt 1 0.5 43 Wohnungen gebaut, gleichzeitig auch jährlich 1762 Wohnungen demoliert, so daß jährlich um 8781 mehr Wohnungen gebaut wurden als demoliert worden sind. Die Stadt dehnte sich sehr Stark aus.

Der Krieg schuf für die Angehörigen der Soldaten den Mieterschutz und die Zins- beschrämkungen als Notmaßnahme. Der damit erreichte augenblickliche Vorteil der Bevölkerung und der Mieter ist inzwischen längst verlorengegangen.

Der niedrige Zins hat nichts genützt, denn der Lebenskostenindex, der wenige Jahre nach der Einführung des Mieterschutzes gelegentlich der Währungssanierung den Löhnen zugrunde gelegt wurde, wies eben nicht mehr ein in die Lebenskosten einzukalkulie- rendes Viertel bis ein Fünftel des Lohnes für die Mietzinse auf, sondern einen viel kleineren Betrag. Der Lohn war in dem Maße kleiner, als der Zins niedriger geworden war und für die Lebenskosten nicht mehr in Betracht kam. Die größte Ungerechtigkeit aber war es, daß der Zinswucher nun erst recht begann, die Leidtragenden wurden die Untermieter und alle Wohnungssuchenden, die nun sehr oft Wohnungen usw. gegen Ablöse erwerben mußten. Vielfach kam und kommt es vor, daß der Hausherr weniger an Zinsen für das ganze Haus ainnimmt, als ein Mieter von einigen „guten“ Untermietern herauspreßt. Weiter müssen bei neuen Häusern die Kosten gedeckt werden, gerade die neuverheirateten Ehepaare müssen oft als Gestehungskosten bedeutend höhere Zinse bezahlen, als die Altmieter, dagegen blieben viele, denen die Wohnung schon längst zu groß geworden war, in dieser Wohnung sitzen, nahmen den Jungen den Platz weg und machten, wie erwähnt, von der Untermiete ein Geschäft.

Die Bautätigkeit ging infolge des so geschaffenen Zustandes sehr stark zurück, so wurden durchschnittlich in den 17 Jahren von 1923 bis 1939 jährlich nur 4886 Wohnungen gebaut. Aber nicht nur, daß der Bau an neuen Wohnungen zurückblieb, die Demolierungen an alten Wohnungen gingen 1896 bis 1914 von durchschnittlich 1762, in den Jahren 1923 bis 1939 auf durchschnittlich 249 zurück, so daß der tatsächliche Wohnungszuwachs im Durchschnitt 4636 betrug. Das bedeutet, daß die Qualität der Wohnungen sinkt und jetzt ein Großteil der Bevölkerung Häuser bewohnen muß, die nicht nur keineswegs den heutigen Anforderungen entsprechen, sondern in vielen Fällen geradezu lebensgefährlich sind, da während der vielen Jahre, als in der Kriegsund Nachkriegszeit keine Reparaturen geschehen konnten, geheime Schäden aufgetreten sind, die erst jetzt bei verschiedenen Einsturzkatastrophen sichtbar werden und im Augenblick noch nicht in ihrem vollen Umfang abgeschätzt werden können.

Man muß vielleicht nicht so weit gehen wie Prof. Schuster, der bei der Erklärung der Vorarbeiten, die für die Neuplanung der Stadt geleistet wurden, sagte, daß mit Ausnahme der Teile in der Ringstraße und des Cottage ganz Wien abgerissen gehört, aber jedenfalls ist der Zustand vieler Wiener Häuser als sozial nicht vertretbar anzusehen.

Zur Behebung dieser Mißstände setzte die Bautätigkeit der Gemeinde Wien ein, aber sie konnte nur eine Linderung des Übels, nicht dessen Beseitigung erreichen.

Es wurde also der soziale Wohnbau als eine Fürsorgetätigkeit betrieben, um Wohnungen bauen zu können, deren Kapital nicht verzinst werden mußte, deren Zins also unter . den Gestehungskosten liegt. Die Lasten dafür tragen ebenso jene, die als Untermieter oder Neumieter bedeutend höhere Zinse zahlen, wie die, die Fürsorgewohnungen erhalten.

Der Stadtrat für das Fürsorgewesen hat in der letzten Budgetdebatte erklärt, daß die Bautätigkeit der Gemeinde Wien die größte Fürsorgemaßnahme, die in Wien geleistet wird, darstellt. Man muß ihm damit recht geben. Es gibt aber doch einige Schönheitsfehler darin.

Wer arbeitet, hat ein Recht, von seinem Lohn die Notwendigkeiten seines Lebens decken zu können und nicht auf Fürsorge angewiesen zu sein.

Er hat weiterhin ein Recht, sich dort einmieten zu können, wo es sein Beruf erfordert und nicht in zermürbendem Kampf mit den Bewirtschaftungsorganen gerade irgendwo einen Wohnraum zu erhalten, und dann eine Wohnung zu bekommen, wo er sich nicht einmal einen Hund halten darf.

Schließlich kann es als nicht sozial bezeichnet werden, wenn eine Fürsorgemaßnahme auch für jene in Kraft tritt, die es sich leisten können, selbst einen Beitrag für ihre Wohnungen zu bezahlen.

In der Vergangenheit ist man zwei Wege gegangen, die beide nicht zum richtigen Ziel führen. Der schrankenlose Liberalismus, die Wiederherstellung des früheren Zustandes, das Haus als Spekulationsobjekt ist kein lockendes Ziel. Aber auch das Dogma, daß die Macht in dem Augenblick „gut“ wird, wo die öffentliche Hand als Gemeinde usw. alles besitzt, kann heute niemand mehr begeistern, der die Staatsomnipotenz in ihren Erscheinungsformen kennengelernt hat.

Mit Aufbietung aller Kräfte werden nun in Wien 3000 Wohnungen gebaut. Normalerweise werden 2000 Wohnungen im Laufe eines Jahres unbewohnbar. Man muß beinahe annehmen, daß infolge der vielen geheimen

Mängel diese Ziffer steigen wird. Die Steuerkraft der Bevölkerung zur Schaffung neuen Wohnraums ist ausgeschöpft, die offiziellen Mittel sind zu schwach, man muß also trachten, Hilfe überall dort hereinzubekommen, wo man sie findet.

Als Abhilfe gilt es, Eigentum zu schaffen, das nicht Spekulationsobjekt ist, die Kräfte derer aufzurufen, die bereit sind, für die Erwerbung eines Eigentums, sei es am Stadtrand oder in der Stadt selbst, zu sparen. Freilich sind sie aus eigenen Kräften zu schwach, man muß aus öffentlichen Mitteln zuschießen. Wenn man für eine Wohnung auf Grund des Wiener Gemeindevoranschlags zirka 60.000 S rechnet, so kann man das

Doppelte an Wohnungen dann bauen, wenn man für 3 0.0 00 S offiziellen Zuschuß einen ebensohohen Beitrag von seiten der Wohnungswerber verlangt. Würden also jetzt von den veranschlagten 172 Millionen 60 Millionen als Zuschuß für die priyate Bautätigkeit abgezweigt, so könnten um 1 0 0 0 Wohnungen mehr, also statt 3000 deren 4000 gebaut werden. Der Form nach kann dies als Zuschuß wie als Zinsaushilfe für Darlehen geschehen, am günstigsten ist eine Mischform beider Systeme. An Projekten mangelt es nicht, denn allein die gemeinnützigen Baugenossenschaften haben 1478 Wohnungen im Stadtgebiet baureif und einige hundert Wohnungen in Siedlungen.

Man könnte dagegen einwenden, daß es unbillig ist, einzelnen Teilen der Bevölkerung einen Zuschuß aus öffentlichen Mitteln zu geben, während die Wohnungen dann in ihr Eigentum übergehen. Doch hat das System des Mieterschutzes nun einmal die Fürsorge tätigkeit eingeführt, und es ist nur recht und billig, daß derjenige, der aus eigenen Mitteln etwas beiträgt und damit der offiziellen Hand Riesensummen erspart, durch einen Vorteil dazu ermuntert wird. Denn man wäre ja auch bereit, ihm eine Fürsorgewohnung zu geben, wenn er gar nichts dafür gibt, er müßte nur entsprechend lange warten, und auch dieser Zuschuß soll ja denen zugute kommen, die auch sonst ein Recht auf Wohnung besitzen und nicht anderen, die sich eine Doppel- oder Luxuswohnung verschaffen wollen.

Als soziale Wohnungspolitik ist dies aber der Weg, der die Fürsorgetätigkeit der öffentlichen Hand entlastet und dem wirklich wirtschaftlich Schwachen reichere Mittel übrig läßt, während der Stärkere in seinem eigenen Interesse auch zu einer Leistung herangezogen wird. Sozial im weiteren Sinne aber ist es der Weg zum Eigenheim, zum wirklich eigenen Herd, der für allzu viele bisher nur ein Wunschtraum geblieben ist.

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