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Grundsätze, keine Teilziele

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Der Journalist Alexander Vodo- pivec nennt in seinem politischen Panorama „Wer regiert in Österreich?” den Cartellverband der katholischen österreichischen Studentenverbindungen „ein Reservoir für Führungskräfte”.

Liegen die Dinge wirklich so? Erschöpft die Feststellung eines politischen Kommentators den ganzen Sinn einer Gemeinschaft von rund 9000 katholischen Akademikern? — Vorweg sei gleich festgestellt, daß von den „Studenten mit bunter Mütze” — kaum fünf Prozent eine überdurchschnittliche Karriere machen. Ein Schnitt, den sie mit den übrigen Akademikern teilen.

Weit verbreitete „Meinungen” haben fast immer eines auf sich: ihre Richtigkeit wird nur in den seltensten Fällen und nur von kritischen Geistern geprüft. Wenn das erwähnte Zitat Vodopivec’ wenig Berechtigung besitzt, was ist der Cartellverband tatsächlich? Die Frage richtet sich an’ seine Organisation, seine Zielsetzungen. Den vollen Sinn einer solchen Frage werden wir aber erst ausmachen, wenn wir in abgewandelter Form die Gretchenfrage stellen: Wie hast Du’s mit der Verwirklichung dieser Ziele? Wie weit decken sich Programm und Erfüllung?

Eine große Aufgabe

Der Cartellverband ist die Dachorganisation von 37 katholischen Studentenverbindungen, die in nunmehr über hundert Jahren organisch gewachsen ist. Seine Entstehung verdankt er dem glühenden Einsatz junger Katholiken, die den Gegensatz von Glauben und Wissen, wie ihn die liberale Universität in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts vertrat, als einen Scheingegensatz ausmachten. Die jungen Studenten hatten sich keine geringe Aufgabe gestellt: es galt, den bekennenden Katholiken im akademischen Bereich wieder Anerkennung zu verschaffen, auf weite Sicht das Zerfallen der Wissensbereiche in sich bloß positiv verstehende Teilbereiche zu verhindern. Nach dem Vorbild katholischer farbentragender Verbindungen in Deutschland wurde 1864 zu Innsbruck die „Austria” gegründet; ihr folgten 1876 die „Austria-Wien” und in der Folge „Norica” in Wien und „Carolina” in Graz. Dreiunddreißig weitere Verbindungen wurden in der Folge bis in die Gegenwart gegründet.

Die Übernahme der althergebrachten studentischen Organisationsform, der Korporation, mit ihrer straff geführten, dennoch brüderlichen und vor allem überschaubaren Gemeinschaft paarte sich mit glühender Hingabe für die res catholica. Bis zum ersten Weltkrieg hatten die katholischen Farbstudenten ein Ziel erreicht: der bekennende Katholik wurde an den Universitäten nicht mehr milde belächelt oder gar verprügelt, sondern war ein gleichberechtigter Partner geworden.

Die Verbindungen des CV sind ihrer Struktur nach bunt, wie ihre Mützen. Der Aufbau des Verbandes ist deshalb föderalistisch, baut auf den Verbindungen, die rund 30 bis 100 Studenten umfassen, auf. Daneben hat jede Korporation eine naturgemäß größere Altherrenschaft. In einem gleichen sich jedoch alle Verbindungen: sie ruhen allesamt auf dem Fundament von vier Grundsätzen: Religio, Scientia, Amicitia und Patria — katholisches Beken- nertum, Wissenschaftlichkeit, Lebensfreude und Vaterlandsliebe. Die Grundsätze sind keine Teilziele. Die gesamte Existenz des Oartellverban- des, wie jedes einzelnen Mitgliedes soll umspannt sein von der Wahrheit des Glaubens. Deshalb ist es dem einzelnen Mitglied aufgetragen, mitzuwirken an der Verchristlichung unserer Welt. Von Anfang an wandte sich der CV gegen jeden Ghetto- Katholizismus. In diesem Sinne stellt er die erste Laienorganisation dar. Man lese nur einmal Joh. 18, 20/21: „Ich habe offen vor aller Welt geredet!” und es wird vollends klar, daß man die Nachfolge Christi nicht als Privatmann antreten kann, sondern dies vor aller Öffentlichkeit tun muß. Auch die Kirche war und ist — selbstverständlich nicht primär — eine sinnfällige Institution, die ihren Platz und ihre Aufgabe in der politischen Gemeinschaft zur Erlösung des Menschengeschlechts besitzt. Hörte die katholische Kirche auf —im guten Sinne — ein Politikum zu sein, verlöre der einzelne Gläubige den gründenden Grund unter den Füßen. In Schrift, Wort und Tat hat der Cartellverband diese seine Überzeugung immer wieder hervorgekehrt.

Die Zeit der Ersten Republik stellte die CVer vor neue Aufgaben: es galt mit allen Kräften, die Vertretung der Katholiken im öffentlichen Leben zu sichern. Die Mißgunst des Schicksals zwang Österreich einen Bürgerkrieg auf. 1938 waren die CVer die ersten, die den harten Griff der Gestapo, Verfolgung und Konzentrationslager, zu spüren bekamen. Dennoch blieben sie standhaft: Die enge Freundschaft, das gelebte Christentum und das offene Bekenntnis zur Heimat, zu dem sie seit ihrer Studienzeit gehalten hatten, gab ihnen festen Halt. 1945 traten sie alle wieder auf den Plan. Es sei nur an die Großen des CV, an die Kanzler Dr. Leopold Figl und Ing. Julius Raab erinnert.

Neue Aufgaben in der Republik

In einer Zeit, in der die Wissenschaft sich anschickt, alle Bereiche unseres Lebens zu beherrschen, geistige Auseinandersetzungen von beispielloser Härte und Auswirkung stattfinden, ist es oberste Aufgabe studentischer Gemeinschaften, für eine Elite zu sorgen. Es sei angemerkt, daß seit den Gründungstagen es im Cartellverband als Selbstverständlichkeit gilt, den „Bummler” aus der Gemeinschaft auszuschließen. Bedenkt man, wie eng der Freundeskreis in den einzelnen Verbindungen ist, so wirkt allein die Androhung des Ausschlusses wegen unzureichenden Studienerfolges Wunder. Daneben gilt es aber dem Spezialistentum abzuhelfen, die allgemeine wissenschaftliche Bildung, vornehmlich im religiösen und gesellschaftlichen Bereich zu vertiefen. Seit den späten Fünfzigerjahren stellt sich der Verband gemeinsam mit den farbentragenden katholischen Verbänden der Schweiz und Deutschlands ein Zentralthema, auf das das Schwergewicht der Bildungsarbeit gelegt wird.

Jede Verbindung sorgt durch die Einladung von Wissenschaftlern, durch Veranstaltung von Schulungstagen und Seminaren für die Bildung ihrer studierenden Mitglieder. In der Regel bieten die CV- Verbindungen mindestens einmal in der Woche eine Bildungsveranstaltung. 1961/62 — noch vor dem Konzil — beschäftigte sich der Cartellverband im Rahmen des Zentralthemas mit den Fragen der Ökumene. Die Ergebnisse liegen in zwei Bändchen, die bei Herder in der Schriftenreihe des Verbandes erschienen sind, vor: Endre von Ivanka besorgte die Herausgabe des Büchleins „Seit neunhundert Jahren getrennte Christenheit”. Ein weiteres Buch mit dem Titel „Das Erbe der Reformation in katholischer Sicht” bemüht sich durch Beiträge von Otto Karrer, Rolf Weibl, Piet Fransen und Thomas Sartory das Gespräch mit den getrennten Brüdern auf eine neue Diskussionsgrundlage zu stellen. Der große Meister des Naturrechts, Professor Johannes Messner, widmete dieser Schriftenreihe ein inhaltsdichtes Opusculum zum Thema „Moderne Soziologie und scholastisches Naturrecht”, der Ordinarius für Philosophie an der Universität Wien, Professor Leo Gabriel verfaßte eine kritische herausfordernde Schrift „Mensch und Welt in der Entscheidung”. In Vorbereitung befindet sich eine Gemeinschaftsarbeit von Willy Geiger, Max Imboden und Renė Marcic zu den Problemen des Rechtsstaates. Mehrere Publikationen dieser Reihe wurden ins Französische, Englische und Spanische übersetzt.

Gegenstand der Diskussion

Als Beitrag zum akademischen Gespräch veranstaltet der Cartellverband im Auditorium Maximum der Universität Wien eine Vortragsreihe in deren Rahmen Gelehrte vom Range eines Michael Schmaus, Urs von Balthasar und Gaston Eiskens das Wort ergriffen. Gegenstand der zentralen Diskussion im vergangenen und auch im laufenden Studienjahr sind die Hochschulpolitik und die Aufgaben studentischer Gemeinschaften. Auch hier ist der Cartellverband in die Bresche gesprungen: Die bisher einzige übersichtliche Broschüre zur geplanten Hochschulreform verfaßten zwei Studenten des CV. Das Heftchen „Anregungen zur Reform der wissenschaftlichen Hochschulen in Österreich” von Manfred Leeb und Werner Vogt (Verlag A. Schendl, Wien 1964) diente auch dem Beratungskomitee des Unterrichtsministers Dr. Piffl (dem Rat für Hoch- schulfragen) als Diskussionsgrundlage.

Sinn und Aufgabe katholischer Verbände ist es, im Vorfeld der Kirche das Gespräch und die Auseinandersetzung mit einer pluralistisch strukturierten Welt aufzunehmen. Der Cartellverband ring als Organisation katholischer Akademiker, dieses Ziel zu erreichen.

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