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Grundsätzliche Fragen in der Politik
Als kürzlich auf dem Kongreß der Katholischen Volkspartei Hollands der österreichische Minister Dr. Hurdes vor den fast zweitausend Delegierten sprach und in die Debatten dieser Tagung eingriff, da staunte er wohl über den stürmischen Beifall, den seine Worte auslösten. Dieser galt nicht nur seiner Person, sondern auch seinem Lande, dessen Geschichte den Zeitgang der europäischen Menschheit widerspiegelt und wie selten ein anderes aufnahmsfähig war für die großen Ideen, die in der Welt nach manchem Rückschlag, mancher Niederlage erneut und geläutert wieder hervorbrechen sollten. Zu einer Zeit, da man in Europa in Ekstasen des Nationalismus schwelgte, hat Österreich den Europäern die Völkergemeinschaftsidee vorgelebt, wenig bedankt dafür, mißverstanden und vereinsamt für sie ringend, jene Idee, die heute in dem Plane eines Europastaates kühne Formen angenommen hat; und Österreich versuchte sich nach dem Erscheinen der Enzyklika Quadragesimo Anno an dem berufsständischen Organismus der Gesellschaft, als fast alle tatenlos abseits standen. Nun ist die Frage wiedergekehrt und um ihr« Beantwortung bemüht sich heute, aus gewonnenen Erkenntnissen schöpfend, Holland.
Es ist das uralte Problem in völlig neuer Fassung. Auch der Mensch vom Jahre 1849 war sehr modern in seiner Zeit, er, der arrivierte Bürger, der sich aus seiner bürgerlichen Mentalität eine Ehrensache machte. Er sah seine Zukunft gesichert, während das Proletariat in tiefer Not dahinlebte. Er glaubte, die Synthese gefunden zu haben zwischen persönlichen Interessen und sozialen Pflichten. — Ein halbes Jahrhundert später war es ein anderer Mensch, der „modern“ genannt werden konnte. Da war es der Arbeiter, der träumte, ein ungestörtes Leben führen zu können, wenn er nur einen gerechten Lohn und soziale Sicherheit bekäme. Von dieser sozialen Sicherheit ist nur übriggeblieben eine immer tiefer greifende Staatsversorgung, welche das persönliche Verantwortungsgefühl des einzelnen für sich und die Seinigen immer mehr schwinden läßt. Die soziale Sicherstellung ging nicht Hand in Hand mit der notwendigen sozialen Erziehung. Man hat den Menschen „sorgenlos", frei machen wollen, aber er wurde ein Sklave der Formulare und Scheine, die sein Leben beherrschen. Der moderne Mensch im modernen Staat ist ein Opfer des „Behördenimperialismus“.
Wenn wir den Menschen aus dieser Sklaverei herausführen wollen, dann müssen wir ihn wieder einschalten in den lebendigen Organismus der Gesellschaft: er soll Ve r- antwortung tragen und Mitbestimmung ausüben, er soll etwas zu verwalten und etwas zu sagen haben. Deswegen geht die KVP Hollands den Weg derberufsständischenOrdnung.
Durch die gesetzliche Anordnung der Reform ist jedoch noch nichts oder nicht viel erreicht. Denn diese Ordnung ist nur ein Mittel für das weiterliegende Ziel: dem arbeitenden Menschen die ihm gebührende Stelle in der Unternehmung und in der Gesellschaft zurückzugeben. Die Arbeit soll nicht dem Kapital untergeordnet sein, der Arbeiter soll an der Seite des Unternehmers stehen können, der eine neben dem andern. Der Arbeiter soll gerettet werden aus dem Kollektivismus nicht nur durch öffentliche Versorgung, sondern dadurch, daß wir seine Persönlichkeit wecken, die erst dann eine vollwertige Persönlichkeit sein kann, wenn er Verantwortung zu tragen vermag; er kann nur ein freier Me n s c h sein, wenn wir ihn eine Aufgabe erfüllen lassen, die nicht nur seine Muskeln, sondern auch seine Vernunft und sein Herz in Bewegung setzt. Deswegen ist es das Streben der Katholiken Hollands, so weit wie nur möglich die soziale Fürsorge und die soziale Gesetzgebung auszubauen, aber den arbeitenden Menschen zugleich in seinem eigenen Bereich verantwortlich zu machen für sein eigenes Wohlergehen. Er soll Anteil haben am nationalen Besitz, er soll Anteil haben an der Führung seiner Arbeitsgemeinschaft: diese Mitbestimmung hat er selber auszuüben.
Von diesen führenden Ideen wird heute in Holland das politische Gespräch zwischen den einzelnen Parteien beherrscht. Während der soziale Friede im öffentlichen Leben ungestört erhalten bleibt, sind die prinzipiellen Gegensätze sehr lebhafter, manchmal sogar sehr heftiger Art. Trotzdem kann man sagen, daß die christliche Synthese zwischen persönlicher Würde und gemeinsamer Aufgabe den Sieg davontragen wird. Denn die Sozialisten erwarten nicht mehr das ganze Heil von der Allbemühung des Staates, während die Liberalen kein Vertrauen mehr haben in die unbeschränkte Freiheit.
Immer wieder kehren diese Gedanken und Erkenntnisse in den Debatten über die verschiedensten Bereiche zurück. Auf dem Gebiet der Gesundheitspflege, der sozialen Versicherungen, der Altersrente und Kinderzuschläge, in der Reorganisation des Unternehmerrechtes und der Gemeindevertretung, der Krankenkassen und des Wohnbaues tauchen immer dieselben Fragen auf. Aber immer wieder wird geantwortet: So wie die Kirche nicht an sich ziehen soll, was auch der Laie kann, und sogar besser kann, so soll auch der Staat nicht mehr für sich beanspruchen, als notwendig ist. Der einzelne Mensch soll — unter Aufsicht des Staates — selber die Verantwortung tragen, um Mensch sein zu können und keine Nummer mehr zu sein.
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