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Gruppe 47 im Kreuzfeuer

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DIE GRUPPE 47. Bericht, Kritik, Polemiken. Ein Handbuch. Herausgeber Reinhard Lei-tan. Luchterhand-Verlag, 1987. S72 Seiten, Paperback DM 19.80, Leinen DM 80.—.

Eine „friedliche Zusammenrottung mehr oder minder junger Leute, die sich Geschichten vorlesen“ (Hans Magnus Enzesberger) oder eine „geheime Reichsschrifttumskammer“ (CDU-Politiker Josef Hermann Duf-hues) oder „eine Rasselbande, pöbelhaft bis zur Unglaubwürdigkeit“ (Thomas Mann)? Günter Blöcker warf ihr „Manipulation“, Rudolf Krämer-Badoni „Gesinnungsterror“

und Hans Habe „Korruption“ vor. Für andere ist sie die Keimzelle einer „politischen Literatur in Deutschland“ (Curt Hohoff) oder auch die Ursache dafür, daß „man heute wieder von einer deutschen Literatur reden kann“ (Rudolf Walter Leonhardt). Ihr Gründer und Leiter, Hans Werner Richter, nennt sie schlicht einen „Freundeskreis“.

Was ist die „Gruppe 47“?

Aus Anlaß ihres zwanzigjährigen Bestehens, das mit dem Datum ihrer 29. Tagung vom 5. bis 9. Oktober dieses Jahres in der „Pulvermühle“ in Oberfranken zusammenfiel, legt Reinhard Lettau, selbst Tagungsmitglied seit 1962, im Auftrag von „Gruppenboß“ Hans Werner Richter eine Dokumentation über die „Gruppe 47“ vor. Dieses Handbuch, als Gebrauchsbuch zum Nachschlagen gedacht, erweist sich jedoch von der ersten bis zur letzten Seite als höchst interessantes und amüsantes Lesebuch, das manchen Aufschluß über das literarische Leben im deutschsprachigen Raum gibt, über seine Entwicklungen und Tendenzen, seine Affinitäten und Animositäten. Der umfangreiche erste Teil bringt in chronologischer Folge Tagungsberichte im Spiegel der Presse, der zweite Teil allgemeine Berichte: Analysen, kritische Rückblicke, Deflnitdonsversuche und politische Erklärungen, Aufrufe und Proteste, die zwar nie im Namen der Gruppe erfolgten, aber doch immer von einigen ihrer prominenten Mitglieder unterzeichnet waren.

Ihrem politischen Engagement ist die Gruppe seit ihren Anfängen, als sie 1947 von den Besatzungsmächten im Nachkriegsdeutschland aus dem politischen Redaktionsstab der Zeitschrift „Ruf“ in eine literarische Vorlesegesellschaft umgewandelt wurde, treu geblieben; dieses Engagement, nach „links“ geneigt, wird ihr oft zum Vorwurf gemacht. Ebenso stehen, wie die angeführten Zeitungsberichte zeigen, die Tagungen der „Gruppe 47“ selbst mit ihren

Lesungen auf dem „elektrischen Stuhl“, den Stegreifurtedlen einer Kritikerclique, den Verlegergeschäften am Rand oder gar im Mittelpunkt der sich daraus ergebenden Gefahr — oder bereits Tatsache? — eines literarischen Meinungsmonopols im Kreuzfeuer der Kritik.

Niemand wird bestreiten wollen, daß von den Arbeitstagungen der „Gruppe 47“ entscheidende Impulse

für das Literaturschaffen der Gegenwart ausgegangen sind. Aber keiner der sehr fluktuierenden „Mitglieder“ der Gruppe selbst wird behaupten wollen, können und dürfen, daß in dieser Institution die deutschsprachige Literatur der Gegenwart schlechthin repräsentiert sei.

Vor diesem Mißverständnis muß auch der Leser dieser Dokumentation gewarnt werden. Er möge immer bedenken, daß Lettau — nach eigenen Angaben — etwa nur ein Zehntel des an Zeitungskritiken und -berichten archivierten Materials in diesem Band vorlegen kann und daß sie, wenn auch um Objektivität bemühte, aber natürlicherweise subjektive Auswahl sympathisierenden Stimmen den Vorrang gegeben hat. Und die schärfsten Attacken gegen die „Gruppe 47“ von Krämer-Badoni, Neumann und Sieburg durfte Lettau nicht abdrucken.

An den Herausgeber noch eine kleine Anfrage zum Abschluß:

Ist es richtig, daß einige falsche Angaben (zum Beispiel daß Ingeborg Bachmann 1924 — anstatt 1926 — und Peter Handke in ..Griffig“ — anstatt in Griffen — geboren sein soll) nur als „Jux“ gedacht sind, wie es Hermann Peter Piwitt — oftmals Gast der Gruppe — in einer „Spie-gel“-Rezension auslegt? Gehört in diese „Flower-Power-Bewegung“ auch, daß Humbert Fink als „Hubert Finck“, „Humbert Finck“ und tatsächlich auch einmal als „Humbert Fink“ angeführt ist, während Paul Kruntorad beharrlich als „Paul Kuntorad“ auftaucht? Dieser „Jux“ wäre allerdings — ganz wie Piwitt schrieb — nur für sehr „Eingeweihte“ lustig.

+

„AUSSERDEM“, Deutsche Literatur minus Gruppe 47 fielen wieviel? Herausgeber: Hans D o 11 i n r e r. Sehen-Verlar 1887. 471 Selten, DM 28.—.

Als „Kuriosität“, die einige „Sub-straktionsfehler“ enthält, wird im Handbuch der „Gruppe 47“ die zur gleichen Zeit erschienene Sammlung „außerdem“, herausgegeben von

Hans Dollinger, charakterisiert. Ihr Untertitel verrät klar das Ziel, mit dem die 70 Beiträge gesammelt wurden. „Sie soll einfach eine Ergänzung sein“, heißt es im Vorwort, „eine Ergänzung, ohne die das Gesamtbild der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur im Jahre 1967, in dem die ,Gruppe 47' zwanzig Jahre alt wird, nicht komplett ist,“ Schon vor der Durchsicht der Beiträge fragt man sich, wie Verlag und Herausgeber dieses „komplette

Gesamtbild“ in 471 Seiten zu fassen gedenken, ohne daß daraus ein Buchhandelskatalog wird. Und nach der Lektüre der 70 in ihrer Qualität sehr unterschiedlichen und keineswegs „nahezu ausnahmslos erstmalig veröffentlichten“ Beiträge, und nach der Kenntnisnahme, daß mit gutem Grund auf die Mitarbeit der DDR-Autoren verzichtet wurde und daß nicht alle eingeladenen Autoren Beiträge lieferten, und nach der Auffindung des „Substrak-tionsfehlers“ (daß nämlich 26 dieser 70 Autoren sehr wohl schon bei Tagungen der „Gruppe 47“ gelesen haben) — ja, nach alldem kann man Herausgeber und Verlag nur die Frage vorlegen, ob sie Stefan Andres, Marie Luise Kaschnitz, Thomas Bernhard, Theodor Csokor — um nur wahllos einige Namen aufzuzählen, die weder hier noch dort aufgeführt sind — etwa nicht

zum „Gesamtbild“ der deutschsprachigen Literatur der Gegenwart rechnen? Dieses Werk eine „Kuriosität“ zu nennen, ist milde.

Damit soll nicht in Abrede gestellt werden, daß sich beachtenswerte Beiträge darin finden, wie der von H. C. Artmann, Christian Grote, Ernst Jandl, Friedericke Mayröcker, Gerhard Zwerenz, Gerhard Rühm. *

BROCKMANNS GESAMMELTE SIEBENUNDVIERZIGER, 100 Karikaturen literarischer Zeitgenossen. dtv-Taschenbuch Nr. 417, München 1987. DM 8.80.

Henry M. Brockmann hat die Tagungen der „Gruppe 47“ immer wieder besucht. Er zeichnete die

Köpfe, Dichter, Schriftsteller, Verleger, Publizisten. Einige Kostproben finden Sie auf dieser Seite. Dazu die folgenden Worte aus seiner Einleitung.

„Soweit die Damen aus Österreich kamen, und das kamen sie lange Zeit ausschließlich, waren sie höflich genug, elegant zu erscheinen. Sie waren auch bescheiden genug, ihre Werke fast lautlos vorzulesen, so daß jeder gezwungen war, mit äußerster Energie zuzuhören. Der nachfolgende Beifall war germanisch laut und das bei Lyrik!

Die männlichen Österreicher indessen zeigten mehr Interesse für Vorschuß bei den anwesenden Verlegern. Es ist mir nicht bekannt, daß in dieser Richtung einer von ihnen versagt hätte, wenn auch zugegeben werden muß, daß mit den Jahren die Verleger die Oberhand gewannen.“

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