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Guevara vor den Toren?

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Zwischen Hoffnung und Trauer leben in diesen Tagen Lateinamerikas Revolutionäre: Hoffnung auf das Wiedererscheinen Ernesto „Che“ Guevaras, Gram über die Differenzen zwischen Kuba und den kommunistischen Parteien des Subkontinents sowie über das Schwinden der Hoffnung auf einen durchschlagenden Erfolg in unmittelbarer Zukunft. Der Mord an Jose Iribarren, dem Bruder des venezolanischen Außenministers, hatte die Konfliktsituation aufbrechen lassen. Guerillas rühmten sich der Untat. Venezuelas KP hingegen distanzierte sich entschieden von der terroristischen Aktion. Der Meuchelmord stand auch auf der Tagesordnung der Plenarsitzung des Zentralkomitees der Partei, die verzweifelt einen politischen Erfolg sucht. Offiziell wurde dem Terror abgesagt, alle Energien wurden auf die Wahlen des kommenden Jahres ausgerichtet, um einen neuerlichen Erfolg der sozialdemokratisch orientierten Regierungspartei zu verhindern. Als Beleg für die neue Linie wurde Douglas Bravo, einer der Guerillachefs, aus der Partei ausgestoßen. Fidel Castro, immer an der Seite des Bandenhäuptlings, erhielt einen Verweis wegen „Einmischung in venezolanische Angelegenheiten“. Der' Kubaner erwiderte gekränkt, die Kommunisten Venezuelas seien feige Defaitisten; in Zukunft könne es ihm gleich sein, ob Guerillas der Partei angehörten oder nicht.

Schon vor diesem Zusammenstoß war Fidel Castro überaus beschäftigt, Rügen an kommunistische Parteizentralen, die sich von der terroristischen Aktion zu distanzieren suchten und damit der zögernd formulierten Moskauer Linie folgen, zu verteilen. Daher blieben auch die Sowjetunion und eine Reihe anderer sozialistischer Staaten — bitterböse traf es diesmal Jugoslawien — nicht verschont. ' Gleichzeitig scheint es Fidel Castro nicht geheuer, sich auf die Seite der Chinesen zu schlagen. „Cuba Socialista“, eine Zeitschrift für theoretische Fragen, stellte vorläufig ihr Erscheinen mit der Begründung ein, die ideologische Situation sei derart verworren, daß sich die Redaktion auf keine widerspruchsfreie Linie einigen könne.

In den Augen der revolutionären Puristen verstrickt sich der kubanische Ministerpräsident täglich heilloser in den ideologischen Zwistigkeiten und Kompromissen der Tagespolitik. Selbst an und für sich bedeutungslose Mißerfolge — in Venezuela fielen unlängst zwei kubanische Soldaten bei dem Versuch, einer venezolanischen Guerillagruppe Nachschub zukommen zu lassen, einer Militärpatrouille in die Hände, und Präsident Leoni schlachtet gegenwärtig diesen Fall diplomatisch aus, indem er die Organisation Amerikanischer Staaten gegen Kuba zu mobilisieren sucht — werden auf das Konto des bärtigen Kubaners gesetzt.

Immer sehnsüchtiger richtet sich die Erwartung der Ungeduldigen auf den 1965 verschwundenen „Chi“ Guevara. Castros Versicherung, „Che“ würde eines Tages wie ein Phönix auferstehen, erhält dadurch besondere Bedeutung. „Che“, der Verfechter der permanenten Revolution, blieb unbefleckt von ideologischen und politischen Irrtümern. Er verkörpert die Reinheit der Revolution, die er gegen die realistische Perspektive Fidel Castros — der Aufbau des sozialistischen Kuba sei vor die Kontinentalrevolution zu stellen — verfocht. Darum mußte er wohl abtreten — wahrscheinlich in ein behagliches Exil irgendwo in Osteuropa. Seit einigen Wochen verdichteten sich jedoch die Gerüchte, „Che“ halte sich in Bolivien und Argentinien in Guerillamission auf, so daß man die Annahme wagen darf, Guevara habe sein Exildasein mit offizieller Zustimmung beendet (obwohl dadurch der Verdacht, der bärtige Revolutionär sei 1965 während einer Diskussion in Kuba getötet worden, nicht beseitigt ist).

Dazu kommen Fingerzeige aus Kuba: Hauptmann Cienfuec/os legte Korrespondenten ein 16seitiges Dokument aus der Hand Guevaras vor, in dem eine Reihe von Vietnamfronten' zur Zermürbung des „Imperialismus“ empfohlen wird. Die Zeitschrift „Tricontinental“ veröffentlichte Photos, die den „neuen“ Guevara glattrasiert zeigen. Vergessen wir nicht den Kronzeugen Jules Regis Debray, den blutjungen Franzosen — er machte Schlagzeilen, als er im März von bolivianischen Armeeinheiten als Guerilla festgenommen wurde —, der sich in Kuba zu einem vorzüglichen Kenner des Guerillaproblems entwickelt hatte. Debray publizierte vor fünf Monaten einen Artikel, der den Fehlschlag der bisherigen Guerilla mit der schwankenden Haltung der kommunistischen Parteizentralen begründet; es komme nun darauf an, alle Entscheidungsgewalt in die Hände der Aktivisten zu legen. Diese Analyse gibt indirekt Guevara recht. Fidel Castro, immer bereit, Irrtümer zu korrigieren, mag inzwischen wöhl den Bann gegen den permanenten Revolutionär zurückgezogen haben.

Die neue Guerillafront in Bolivien dürfte die erste Auswirkung sein. Kubanische Kontaktmänner versuchten dort anscheinend eine Zusammenarbeit mit dem anarchistischen Flügel der bolivianischen Revolution. Der Erfolg schien gesichert, da der kümmerliche Lebensstandard der Indianerbauern in 15 revolutionären Jahren kaum eine Änderung erfahren hat. Doch die bolivianischen Milizen rebellierten nicht gegen Präsident Barrientos, sondern zersprengten die Gruppen im Südosten des Landes. Dabei gelang ihnen der sensationelle Fang: einer der Verdächtigten wurde als Jules Regis Debray identifiziert. Ihn erwartet ein Militärgericht, wobei die Regierung noch unschlüssig ist, ob sie Debray als Journalisten, Guerilla oder als gemainen Wegelagerer behandeln soll. Die Anwesenheit des Franzosen in Bolivien läßt jedoch den vorsichtigen Schluß zu, auch „Ohe“ Guevara habe sich in dieser Region aufgehalten.

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