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Gummiknüppel in W arschau

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Mit einem erschreckenden und warnenden Akzent endete am letzten Junisonntag die Warschauer Tausendjahrfeier der polnischen Kirche.

Erboste Kirchgänger stießen mit Polizisten zusammen, die zum Gummiknüppel griffen. Trotz aller Spannungen zwischen Kirche und Staat, trotz der vielen Feiern mit Hunderttausenden von Gläubigen war es zu einem Zwischenfall solchen Ausmaßes bisher noch nicht gekommen. Dabei ist Warschau die am wenigsten „kirchliche“ Stadt Polens. Der sonntägliche Gottesdienstbesuch liegt hier bei 25 Prozent der .Gläubigen; in Gnesen sind es 65, in Lublin 43 Prozent (zum Vergleich: in Rom und Paris je 15 Prozent). Sollte da ein böses Witzwort widerlegt worden sein, das in den letzten Monaten unter vernünftigen Kommunisten Polens kursierte: „Trotz ihrer führenden Rolle“ sei es der Partei noch nicht gelungen, den „religiösen Fanatismus auf den Höhepunkt zu treiben ?“

Tatsächlich war die Warschauer Regierung nach dem Tag von Tschenstochau am 3. Miai zunächst klug genug gewesen, zu schweigen. Am 21. Mai hatte das Parteiblatt „Glos Locztynski“ sogar festgestellt, in Tschenstochau habe auf kirchlicher Seite „die Vernunft gesiegt“; Kardinal Wyszynski habe beschlossen, sich dem Konzilsgeist der Liebe unterzuordnen. Eine Woche später aber kam es in Danzig nach einer Predigt Wyszynskis zum ersten Zusammenstoß mit der Polizei. Am 6. Juni bei den Feiern in Lublin verzichtete die Partei zwar auf ihre Gegenkaimpagne „Wir vergeben niemals den Verbrechern“, gleichzeitig aber versuchten die Behörden, den liturgischen Mittelpunkt der Feiern, eine Nachbildung der „Schwarzen Muttergottes“ von Tschenstochau, bei der Rundfahrt durch das Land zu behindern. Dies waren kleinliche, oft lächerliche Schikanen, die nur Verbitterung erzeugten, militante Antworten des Kardinals und wachsende Nervosität bei der Regierung.

Ein schlechter Schachzug

Am 8. Juni, einen Tag vor dem Fronleichnamsfest, das wie gewöhnlich in Polen als staatlich geschützter Feiertag mit großen Prozessionen begangen wurde, ließ sich Parteichef Gomulka zu einem — wie er wohl meinte — „geschickten Schachzug“ verleiten: Die Warschauer Tageszeitung „Zycie Warszawy“ veröffentlichte den Text eines Interviews, das der Breslauer Erzbischof Kominek dem französischen Sender „Europa I“ gegeben hatte (vgl. „Die Furche“ Nummer 26 1966). Kominek plädierte dabei, wie schon früher, für Koexistenz, Toleranz und Gespräche mit den Kommunisten, anerkannte die staatlichen Leistungen im materiellen Leben, forderte aber zugleich auch Freiheit „nicht nur der Kultausübung, sondern auch eine gewisse apostolische Freiheit“ — (was von „Zycie Warszawy“ fälschlich mit „Freiheit für die Geistlichkeit“ übersetzt wurde). Allzu indiskreten Fragen des Pariser Reporters über Kardinal Wyszynski wich Kominek jedoch aus oder verweigerte die Antwort — nicht ahnend, daß der Interviewer so unfair war, auch diese Bemerkungen zu senden.

Kominek gegen Wyszynski;

Das bot nun die wohlfeile Gelegenheit, den Breslauer Erzbischof zum ersten Male öffentlich gegen den Warschauer Kardinal auszuspielen: Wyszynskis Haltung sei der Komineks „diametral entgegengesetzt“, hieß es in „Zycie Warszawy“.

Der Kardinal betriebe die „Klerikali- sierung des Staates“. Alle Forderungen nach religiöser Freiheit könnten geprüft werden, wenn sie nicht durch Wyszynskis „politische, antistaatliche Aktionen“ gestört würden. Der Kardinal sei zu solcher Normalisierung nicht fähig, die Folgerungen aus dieser Lage habe die kirchliche Hierarchie selber zu ziehen.

Die Regierung versprach sich also allen Ernstes, sie könnte den unbequemen Kardinal — vielleicht durch Abberufung nach Rom — loswerden, indem sie öffentlich einen Keil zwischen die Bischöfe triebe. Diese naive Erwartung schlechter Taktiker wurde alsbald widerlegt. Die Bischöfe rückten trotz Meinungsdifferenzen noch enger zusammen. „Zycie Warszawy“ druckte zwar nicht eine Entgegnung, die Erzbischof

Kominek einsandte, doch der Breslauer Oberhirte versicherte bei den Milleniums-Feiem in Allenstem (Olsztyn) den Gläubigen: Der ganze Episkopat strebe einen offenen, ehrlichen Dialog mit der Regierung an, der „viele Dinge ausstreichen“ und einen „neuen Kurs beginnen“ könnte. Polen könne dem Beispiel Jugoslawiens folgen (das vor einer Woche mit dem Vatikan eine Vereinbarung schloß). Es gebe, so beteuerte Kominek, keine Diktatur innerhalb des Episkopats, der Kardinal folge willig der übereinstimmenden Meinung der Bischöfe.

Am selben Tag hatte Wyszynski im ostpreußischen Frauenburg (Frambork) dem Staat eine „offene, reine Hand des Friedens“ angebo- ten. Doch die Regierung, mehr von Abneigung gegen den Kardinal be sessen als von Taktik geleitet, ließ den Primas auf dem Rückweg von Warschau anhalten und übernahm den Transport des Marienbildes kurzerhand in eigener Regie. Kein Wunder, daß Wyszynski in seiner Predigt in Warschau am 21. Juni seinen Ton wieder verschärfte: „Ich bin beleidigt als Staatsbürger. Wenn sich diese Eingriffe vermehren, lehnen wir jede Verantwortung ab.“ Und er erinnerte an das Jahr 1956, als er vor Blutvergießen gewarnt hatte. Am 26. Juni, dem Schlußtag der Warschauer Feiern, kam es dann vor dem Palast des Kardinals und unweit des Zentralkomitees der Partei zweimal zu einem gefährlichen Handgemenge.

Wie soll der Streit zwischen Kirche und Regierung in Polen enden? Die kleine katholische Abgeordnetengruppe „Znak“ hat bekanntlich in einer parlamentarischen Interpellation die Einberufung einer staatlich- kirchlichen „Sonderkommission“ zur Beilegung des Konfliktes und die „Intensivierung der Gespräche zwischen Polen und dem Vatikan“ gefordert. Der katholische Abgeordnete Stomma reiste nach einem Gespräch mit Zenon Kliszko, dem engsten Vertrauten Gomulkas, nach Wien, wo er einige Gespräche hatte. Der polnische Vizepremier Iedrychowski, Chef der Wirtschaftsplanung und einer der wenigen führenden Politiker, die sich nicht am Kirchenstreit beteiligen, fuhr nach Rom und soll am Rande seiner ökonomischen Gespräche mit Vatikandiplomaten Zusammentreffen. Das Beispiel Jugoslawiens zeigt, daß zwar viele Wege nach Rom führen, aber nur einer zur Verständigung. Sie muß mit dem Episkopat des Landes beginnen. Die Partner kann man sich nicht aussuchen.

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