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Habsburgs Untergang auf Raten

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Franz Joseph - Eine Biographie” heißt der schmale Band aus der Feder eines amerikanischen Historikers. Wer die teilweise mehrbändigen oder zumindest dickleibigen Beiträge zu eben diesem Thema kennt, stutzt zunächst: Noch eine Biographie, und dann auf wenig mehr als 200 Seiten? Wohl nur eine Information für den amerikanischen Normalverbraucher. Mitnichten! Dem Autor Steven Beller geht es tatsächlich nicht um eine neuerliche Lebensbeschreibung des „guten, alten Kaisers”, sondern um eine Analyse mit einer sehr präzisen Zielsetzung.

In der Reihe „Profiles of Power” soll die Regierungszeit Kaiser Franz Josephs dahingehend untersucht werden, wie viel herrscherliche Macht der Monarch während seiner langen Regierung tatsächlich besessen und mit welchem Ergebnis er sie ausgeübt hat. Damit wird nicht mehr und nicht weniger als das „österreichische Staats- und Reichsproblem”, wie in einem Laserstrahl gebündelt, nun auf den Kaiser höchstpersönlich projiziert. Ein nicht einfaches Unternehmen, bei dem es ohne gelegentliche

Verkürzungen, das heißt Verzerrungen, ja auch schlichte Fehler nicht abgeht, die aber alle unter das kritische Maß fallen, gegenüber dem, was der Autor sich zum Ziel gesetzt hat.

Er ist ein guter Renner der einschlägigen Literatur, besonders der englischsprachigen Autoren, mit denen er sich teilweise kritisch auseinandersetzt, wobei er sehr scharfsichtig, aber auch scharf richtend vorgeht. In seinen Augen ist der Kaiser so ziemlich an allem schuld. Dem Vorwurf, auch für Hitler verantwortlich zu sein, entgeht Franz Joseph nur mit knapper Not. Das Ergebnis dieser Denkmalszertrümmerung ist nicht, wie Historiker schon früher meinten, daß der Kaiser zum Unglück des Reiches etwa zu lang regiert habe. Nein, daß er überhaupt regiert habe, darin liegt der Vorwurf des Autors. Nun ist das ein Argument, das bei Fragen der Amtshaftung oder bei Dienstaufsichtsbeschwerden vorzubringen wäre. Für die Geschichte gilt eher, was Konrad Adenauer einmal gesagt haben soll: „Man muß die Menschen nehmen, wie sie sind. Wir haben keine anderen.”

Trotzdem sind die vom Autor vorgebrachten Argumente nicht einfach als „typisch amerikanisch” abzutun. Denn auch aus europäischer Sicht ist nicht zu bestreiten, daß Kaiser Franz Joseph nicht unbedingt ein Glücksfall für das Habsburgerreich war, vor allem, wenn man an den Beginn seiner Regierungszeit denkt. Da übernimmt ein 18jähriger, recht unerfahrener Erzherzog in einem höchst krisenhaften Augenblick die Regierung über ein am Rande des Zerfalles stehendes Großreich. Was er mitbringt, ist ein starkes Traditionsbewußtsein, ein hoch entwickeltes Pflichtgefühl und ein erstaunliches Selbstbewußtsein, gepaart mit einem unerschütterlichen dynastischen Sendungsglauben.

Was ihm fehlt, ist die Einsicht, daß Politik auf die Verwirklichung des Möglichen gerichtet sein muß. Das Ziel, das sich der junge Kaiser aber setzte, war keineswegs die Rückkehr zum vorrevolutionären Zustand vor 1848. Vielmehr schwebte ihm die Schaffung eines supranationalen Einheitsstaates unter zentralistischer Führung vor Augen. Das widersprach völlig der geschichtlich gewachsenen Struktur des Reiches, einer monarchischen Union von Ständestaaten mit ausgesprochen föderativem Charakter. Dementsprechend schwer wogen die Mißgriffe, die zur Verwirklichung von Franz Josephs Vision mit Hilfe eines rigorosen „Absolutismus von oben” begangen wurden, sei es bei der „Befriedung” Ungarns, sei es durch den jahrelangen Belagerungszustand in weiten Teilen des Beiches, sei es schließlich - und wohl entscheidend - durch die Unterdrückung des Verfassungsentwurfes des Kremsierer Beichstags, mit dem der aufkeimende Nationalismus vielleicht noch rechtzeitig hätte entschärft werden können. Ein frühzeitiger, freiwilliger Ubergang zu einem gemäßigten konstitutionellen Begime hätte vielleicht auch die katastrophalen Folgen des Krieges von 1859 verhindern, zumindest mildern können.

Daß die Folgen katastrophal waren, lag freilich auch an der Außenpolitik, die nach Franz Josephs Thronbesteigung eingeschlagen wurde. Da der Kaiser, in Überschätzung seiner monarchischen Verantwortlichkeit, gerade diesen so diffizilen Bereich sozusagen zur „Chefsache” erklärte, gingen alle Mißgriffe auch auf sein persönliches Konto. Dieses Konto war umfangreich, angefangen von einer Politik des Säbelrasseins, die den neoabsolutistischen Staat an den Rand des finanziellen Abgrundes brachte, über die schwankende Politik während des Krimkrieges, bis zur eklatanten Fehlbeurteilung der politischen wie der militärischen Lage im Kriege von 1859. Keine Frage, daß die Monarchie nach 1866 nur noch eine Großmacht zweiten Ranges war, deren dauernde Rivalität mit Rußland sie zwangsläufig zu einem nachgeordneten Verbündeten des Bismarck-Reiches machte.

Zwar hatte die Monarchie damit noch nicht ihre europäische Bedeutung verloren. Die Gegenwart liefert fast täglich den schlagenden Beweis dafür. Die Voraussetzung wäre aber eine befriedigende Lösung der Nationalitätenfrage gewesen, wozu vielleicht der Ausgleich mit Ungarn 1867 ein letzter Ausweg gewesen wäre, wenn die Krone hier, unter Einsatz ihrer zweifellos noch immer bedeutenden Autorität, überhaupt eine Neuordnung des Beiches angestrebt hätte. Mit der Beschränkung auf den Dualismus mit Ungarn steuerte aber die Entwicklung mit steigender

Schnelligkeit einer Auflösung des Beiches entgegen. Alle Versuche, ihr zu steuern, erwiesen sich nachträglich lediglich als ein Kampf um Zeitgewinn, um dann schließlich doch in einer Panikreaktion zu enden. Die vom 84jährigen, am Bestand seines Reichs im Grunde bereits verzweifelnden Kaiser im August 1914 unterschriebene Kriegserklärung an Serbien kam -wie dies Robert A. Kann einmal ausdrückte - der Reaktion eines Patienten gleich, der aus Angst vor einer unheilbaren Krankheit Selbstmord begeht. Gerade weil Kaiser Franz Joseph kein Machtmensch war, vermochte er die ihm zustehende Macht nicht zu handhaben.

Um nochmals auf Steven Beller zurückzukommen. Man muß nicht alles unterschreiben, was in seinem Buch vorgebracht wird. Aber es lohnt sich sehr wohl, sich mit ihm auseinanderzusetzen.

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