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Hält der Riegel?

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Mit der Unterschrift, mit der er den Beitritt seines Landes zum Bagdadpakt vollzog, ungeachtet der massiven Warnungen und Proteste. Moskaus, hat Schahinschah Mohammed Reza zweifellos eine neue Probe seines schon oft bewährten Mutes abgelegt. Ob aber das Defensivbündnis, das vordem nur die Türkei, Irak, Pakistan und Großbritannien umfaßte, durch die Einbeziehung Persiens an effektiver Stärke gewonnen hat und ob es richtig ist, daß nun, wie kürzlich auf der Konferenz der fünf Verbündeten in Bagdad betont wurde, der „nördliche Riegel“, der die Verbindung zwischen der Verteidigungsfront des Nordatlantikpaktes und jener des Südostasienpaktes herstellt, lückenlos geschlossen sei, im militärischen und vor allem im politischen Sinn, das ist eine Frage, die nicht so klar beantwortet werden kann.

Am 4. Februar 1949 wurde ein Attentat auf das Leben des Schah verübt; dank einer glücklichen Fügung erlitt der Herrscher nur eine leichte Verletzung. Der Täter erwies sich als ein fanatisches Mitglied der kommunistischen Tudeh-Partei, was das sofortige Verbot dieser Partei und die Verhaftung, soweit sie nicht ins Ausland geflüchtet waren, und zum Teil auch die Hinrichtung einer Reihe ihrer Führer zur Folge hatte. Eine Verbindung mit rechtsradikalen Elementen war in diesem Falle nicht nachzuweisen, um so mehr aber bei dem Anschlag, dem General Ali Razmara zum Opfer fiel. Ein guter Organisator und hervorragender Soldat — ihm war die Niederwerfung des Aufstandes in Aserbeidschan 1946/47 zu verdanken —, dabei staatsmännisch hochbegabt und absolut unbestechlich, war Razmara im Juni 1950 vom Schah an die Spitze der Regierung berufen worden. Acht Monate später machte ein gewaltsamer Tod seinem großangelegten Reformwerk ein Ende; am 7. März 1951 wurde er beim Betreten der kaiserlichen Moschee in Teheran erschossen. Mit Stolz bekannte sich der Mörder als Mitglied der „Fadayan Islam“, des extrem

nationalistisch-religiösen Kampfbundes, der den nach Millionen zählenden „Freiwilligen des Islams“ unter dem Mullah Kaschani sozusagen als Exekutivorgan angeschlossen ist. Und ebenso erklärte sich der Mann, der vor einigen Wochen den Ministerpräsidenten Hussein Ala beim Eingang einer Moschee mit einem Pistolenschuß verwundete, jenem Kampfbund zugehörig und in seinem Gewissen verpflichtet, „mit den Verrätern am Islam und Schändern Persiens aufzuräumen“. Er gab übrigens auch an, seine Waffe von kommunistischer Seite bekommen zu haben.

Diese drei Attentate akzentuieren die Entwicklung, die Persien in den letzten Jahren durchgemacht hat. Sie ist gekennzeichnet einerseits durch das mächtige Anwachsen eines betont fremdenfeindlichen Nationalismus, der mit Ungestüm auf die Erreichung der vollen wirtschaftlichen und politischen Unabhängigkeit Persiens drängt, und anderseits durch den sich immer wieder verhärtenden Widerstand des religiös-nationalistischen Extremismus, in u,n-eingestandener oder vielleicht auch unbewußter Bundesgenossenschaft mit dem Kommunismus, gegen die Durchführung der Reformen, die unerläßlich und die erste Voraussetzung dafür sind, daß Persien zu Ordnung und Wohlstand und damit zu einer wirklichen Unabhängigkeit gelange. Der Widersinn einer Zusammenarbeit mit den Kommunisten, deren letztes Ziel, die Zerstörung des Glaubens an Gott und die Unterwerfung ihres Vaterlandes unter die Diktatur Moskaus, ja auch in Persien, wie überall sonst, offenkundig genug war, ist gerade den unduldsamsten Vertretern der persisch-islamitischen Orthodoxie und des persischen Patriotismus nie zu Bewußtsein gekommen. Aber nicht nur der Fanatismus, der politischen Doktrinen oder einer engstirnigen Auslegung des Korans entsprungen war, stellte sich den Reformbestrebungen des Schah und der besten seiner Mitarbeiter enteegen: es cab und sribt da noch eine Reihe anderer Hindernisse, deren Ueberwindung die

höchsten Anforderungen an die Klugheit und die Tatkraft der Staatsführung stellt und darüber hinaus auch ein gutes Maß von Glück erfordert.

• An erster Stelle ist da die soziale Struktur des Landes zu nennen und das gewaltige Ueber-gewicht an Reichtum und Einfluß, das die „Tausend Familien“ besitzen. Achtzig Prozent der Bevölkerung sind mit Landwirtschaft beschäftigt, aber selbständige Bauern im europäischen Sinn gibt es kaum unter ihnen; sie sind fast durchwegs Kleinpächter, die unter oft drückenden Bedingungen den Boden des Grundherrn bearbeiten, eines Mitgliedes eben jener geschlossenen Kaste der „Tausend Familien“, denen so gut wie das gesamte fruchtbare Land gehört; manche von ihnen gebieten über bis zu zweihundert Dorfschaften, was allerdings bescheiden zu nennen ist im Vergleich mit dem privaten Landbesitz des Schah, der 3000 von seinem Vater ererbte Dörfer umfaßt. Die Notwendigkeit einer Bodenreform zu Lasten vornehmlich der fast immer abwesenden, wenn nicht überhaupt im Ausland lebenden Großgrundbesitzer lag schon längst auf der Hand, und Mohammed Reza selbst machte einen- Anfang, indem er zahlreichen Pächtern das von ihnen bearbeitete Land gegen mäßige, auf viele Jahre verteilte Abzahlungen ins Eigentum übertrug. Aber diese Aktion, die viel dazu hätte beitragen können, den Kommunisten den Wind aus den Segeln zu nehmen und die Lage zu konsolidieren, mußte bald eingestellt werden; sie scheiterte an der passiven Resistenz der ..Tausend Familien“ und an der sehr aktiven Opposition des Großgrundbesitzers und damaligen Premierministers Dr. Mossadeq, der die kaiserliche Maßnahme als eine „typisch kommunistische Manipulation“ verurteilte.

Der übermächtigen Stellung und dem Einfluß der herrschenden Schichte sind zwei weitere, eng miteinander verbundene Uebel zuzuschreiben, deren Beseitigung bis heute ebenfalls nicht gelungen ist. Das eine Ist die Hypertrophie des bürokratischen Apparats, das andere eine fast unvorstellbare Korruption. In der persischen Verwaltung sind etwa viermal so viele Beamte angestellt - in der großen Mehrzahl Protektionskinder eben jener „Tausend Familien“ —, als sachlich gerechtfertigt und finanziell erschwinglich wäre. Daher ist bei den meisten von ihnen der Gehalt so gering, daß f er nicht hinreicht, die dringendsten Lebens bedürfnisse zu decken. Aber sie helfen sich, und halten das auch für ganz selbstverständlich, durch Entgegennahme von Bestechungsgeldern und andere dunkle Geschäfte. Wie weit diese Streben nach einer „angemessenen Aufbesse-

rung“ der dienstlichen Bezüge gehen kann, wird durch das Vorgehen nicht weniger Gendarmerieoffiziere illustriert, die ihre Mannschaften für systematische Erpressungen an der Landbevölkerung verwenden; sie lassen den Dorfbewohnern, die ja auch sonst schon genug unter räuberischen Ueberfällen zu leiden haben, mit bewaffneter Hand Geld und Lebensmittel abnehmen, um die Beute dann mit ihren Untergebenen zu teilen. Angesichts solcher Verhältnisse in der Verwaltung ist es nicht überraschend, daß alle bisherigen Maßnahmen zur Bekämpfung der namentlich in Intelligenzkreisen verbreiteten Rauschgiftsucht — das Opium, so erklärte der Minister für Volksgesundheit, hat

die Kräfte der Nation halbiert — erfolglos geblieben sind. So wurde schon zweimal unter Androhung strengster Strafen der Anbau von Mohn verboten; die einzige Wirkung aber war, daß die zur Durchführung des Verbots berufenen Exekutivorgane eine höhere Beteiligung am Gewinn der Mohnproduzenten und -händler erhielten.

Für die Reorganisierung und Modernisierung des Staates bildet auch der Zustand der öffentlichen Finanzen ein großes Hindernis. Gerade auf diesem Gebiet hat sich die mehr als zweijährige Ministerpräsidentschaft Mossadeqs sehr unglücklich ausgewirkt. Das Ziel, das dieser ehrgeizige und listenreiche Politiker bei seinem Vorgehen gegen die Anglo-Iranian Oil Company im Auge hatte, die Verstaatlichung der gesamten persischen Oelindustrie, war nicht durchaus unverständlich; obzwar die AIOC viel Geld ins Land gebracht und für ihre 37.000 Angestellten und Arbeiter geradezu beispielgebende Einrichtungen und Erleichterungen jeder Art geschaffen hatte, war sie doch ein Fremdkörper auf persischem Boden, eine mit geradezu souveränen Rechten ausgestattete fremde Gesellschaft, deren Ueberheblichkeit das persische Nationalgefühl mehr und mehr verletzte. Aber die Art, mit der Mossadeq sein Ziel zu erreichen suchte und schließlich erreichte, hat seinem Volke schweren Schaden zugefügt und anderseits keinen Nutzen gebracht, der nicht durch eine bessere Taktik, auf dem Wege geduldiger Verhandlungen, hätte erzielt werden können. Im letzten Jahre ihrer vollen Tätigkeit bezahlte die AIOC dem persischen Staat 23 Millionen Pfund an Tantiemen; dazu kamen noch Steuern und sonstige Nebeneinnahmen in Höhe von 13 Millionen. Jetzt, d. h. seit 1. Jänner 1955, hat Persien von den beiden internationalen Oelgesellschaften, die an die Stelle der AIOC getreten sind, jährlich 50 Millionen Pfund zu bekommen, und ab 1958 kann sich diese Ziffer, wenn die Produktion wieder auf volle Touren gebracht ist, nicht unbeträchtlich erhöhen. Aber damit ist der Verlust, den das Land durch die fast vier Jahre währende Stillegung von Abadan erlitten hat, noch nicht

wiedergutgemacht. Als Dr. Mossadeq im Herbst 1953 seinen Ministerfauteuil mit einer Gefängnispritsche vertauschen mußte, waren die Stahlschränke des persischen Schatzamtes so gut wie HANDELSSCHULE WEISS

leer und erst, als die Oelquellen wieder zu

fließen begannen, konnte der vom Schah eingesetzte Wirtschaftsdiktator, der Bankier Ebte-haj, darangehen, seinen Siebenjahresplan allmählich in die Tat umzusetzen. Eine bedenkliche Verzögerung; denn wenn auch kein Zweifel an der Nützlichkeit und Großzügigkeit jenes Planes besteht — es handelt sich vor allem um Straßen-und Bahnbauten, die Modernisierung und Erweiterung von Häfen, die Errichtung von Kraftwerken, den Bau von Be- und Entwässerungsanlagen —, so bleibt es eine offene Frage, ob die breiten Massen, denen die nationalistische Propaganda den Kampf gegen die AIOC als Schlüssel zur unmittelbaren Eröffnung eines goldenen Zeitalters dargestellt hatte, in Geduld

abwarten werden, daß die jetzt begonnenen langfristigen Investitionen ihre Früchte tragen. Die kommunistischen Agenten, die über die mehr als 2000 Kilometer lange persischsowjetische Grenze praktisch ungehindert ins Land kommen, dürften ihre Aufgabe kaum darin sehen, im Sinne eines solchen Abwartens zu wirken.

Angesichts all dieser schwierigen Probleme erscheint Persien heute trotz oder, zum Teil, gerade wegen seiner großen territorialen Ausdehnung als das schwächste und unsicherste Glied des „nördlichen Riegels“. Ob es zu einem durchaus verläßlichen und tragfähigen Teil dieser Verteidigungsorganisation werden kann, wird nicht zuletzt davon abhängen, ob es dem Westen gelingt, das in vieljährigen schlimmen Erfahrungen verwurzelte Mißtrauen der Perser gegen die okzidentalen Mächte, und Großbritannien im besonderen, zu überwinden.

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