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Haie und kleine Fische

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rr Wenn sich-=der (britische -Erstminister .Macmillan in diesen Tagen nach Moskau begibt, um- dort mit den sowjetischen Staatslenkern wichtige Unterredungen zu führen, so dürfte unter den Themen dieser Gespräche an vorderem Platz auch die politische und militärische Entwicklung rings um das Baltikum stehen. Für Großbritannien ist diese Frage vielleicht die wichtigste nach der des Schicksals der Kontinentalküste des Aertrtelkanals. Napoleon hat von Antwerpen als von einer Pistole gesprochen, die gegen England gerichtet werden kann. Um sie nicht in feindlichen Händen zu lassen, hat Albion fast ein Vierteljahrhundert Krieg gegen Frankreich und später zwei Weltkriege gegen Deutschland geführt. Skandinavien wäre es erlaubt, eine Abschußrampe gegen England zu heißen, die unweigerlich von jedem Beherrscher der Ostsee benützt zu werden vermag. Dieser strategischen Rolle Norwegens, Dänemarks und in weiterem Maße auch Schwedens, Finnlands und Norddeutschlands gesellt sich die Tatsache, daß die seitens der Anrainer nicht verwehrte Durchfahrt durch den Sund für die sowjetische Marine das sonst sehr verwickelte Ausbrechen aus ihren Kronstädter, estnischen, lettischen, litauischen, polnischen und ostdeutschen Stützpunkten erleichterte. Der hervorragende Publizist Wolfgang Höpfker hat in einem Buch — „Die Ostsee, ein rotes Binnenmeer” — klar und überzeugend alle diese Zusammenhänge geschildert, von denen sich die im Maritimen stets hellsichtigen britischen Beobachter volle Rechenschaft geben.

Seit etwa zwei Jahren geht eine systematische Aktion der UdSSR vor sich, sich in den noch nicht dem Moskauer Einfluß ganz eröffneten Ostseestaaten eine beherrschende politische und wirtschaftliche Stellung zu schaffen. Was Polen und die DDR anlangt, sind für den Kreml keine besonderen Anstrengungen nötig. Dagegen gehören Dänemark und Norwegen dem Atlantikpakt an, Schweden ist neutral und wirklich unabhängig. Finnland muß zwar sorglich Rücksicht auf die UdSSR nehmen, beharrt aber außerhalb des kommunistischen und jeden Blocks. Die sowjetische Staatskunst hat sich nun zu unmittelbaren, dem von uns dargetanen Fernzweck vorangehenden, Nahzielen folgende gesetzt: Norwegen und Dänemark aus dem Bündnis mit den USA und deren Alliierten herauszuholen oder mindestens diese zwei skandinavischen Länder von militärischer Hilfe an die potentiellen Gegner der Sowjetunion abzuhalten. Schwedens Neutralität soll eine für Moskau möglichst freundliche Färbung erfahren. Finnland aber ist, ohne daß seine Gesellschaftsordnung schon jetzt geändert würde, eng an die UdSSR angenähert worden. Um die eben aufgezählten Vorhaben zu verwirklichen, bedienen sich die russischen Politiker und Diplomaten einer Reihe je nach den Umständen verwendeter Mittel. Zunächst der besonders friedlichen und kriegsgegnerischen Gesinnung der Bewohner Norwegens, Dänemarks und Finnlands, die sich noch der schrecklichen Jahre zwischen 1940 und 1945 wohl, also übel, entsinnen. Auch die damals von Kampf und Invasion verschonten Schweden hegen keine Lust, in eine künftige internationale Auseinandersetzung hineingezogen zu werden. Der Abscheu vor dem Krieg wird heute in den nordischen Staaten durch die Atomangst verschärft. Man sucht es zu vermeiden, daß Abschußrampen für Atomwaffen auf norwegischem oder dänischem Boden errichtet werden; den sonst hätte man ja binnen kurzem die Russen zu ungebetenen Gästen. Und man sehnt sich begreiflicherweise noch weniger darnach, durch diesen Besuch hernach amerikanische und britische Geschoße auf sich zu lenken. Zweites Argument, dessen sich die Sowjetpropaganda wirksam bedient: die in weitesten Kreisen Skandinaviens herrschende, von der primitiven Atomangst unabhängige, humane Denkungsart, die den Krieg aus christlicher und sozialistischer Weltanschauung prinzipiell ablehnt. Drittens, die Aussicht auf regen Warenaustausch rät zu guten Beziehungen mit der UdSSR. In geringerem Umfang macht sich, ein Viertes geltend: die sozialistische Solidarität, von der die Moskauer Kommunisten immer sprechen, wenn sie sich westwärts kehren. Dabei ist ein fünftes, allerdings in Norwegen und in Dänemark sehr, in Finnland noch immer und sogar in Schweden einigermaßen zugkräftiges Schlagwort der Moskauer Propaganda zu beachten, der Hinweis auf die in Westdeutschland drohende Gefahr eines erneuten Militarismus und Imperialismus. Hier greift, geschickt… und vom Kreml als brillanter Sekundant gesandt… die polnische Außenpolitik ein.

Russischen Besuchern begegnet man in ganz Skandinavien mit erheblichem Mißtrauen und mit betonter Kühle. Aber keine seiner Erwägungen und Reminiszenzen lastet auf dem Verhältnis zu Polen, das sich seit langem großer Sympathien im gesamten Norden erfreut. Der Umstand, daß dort heute eine mit dem Kreml verbündete kammrnistische Regierung am Ruder ist, hemmt nur in geringem Maße. Die Skandinavier haben für die polnische Zwangslage viel Verständnis; sie zweifeln weniger an der Aufrichtigkeit des polnischen Friedenswillens als an der zur Schau getragenen polnischen Begeisterung für den Leninismus und die Sowjetallianz.

Die polnische Intervention ist freilich nur Fühlungsversuch eines tastenden Vortrupps. In Moskau verzichtet man keineswegs darauf, bei günstiger Konjunktur selbst das Gespräch mit den Skandinaviern zu führen. Mikojan hat es am 22. Jänner dieses Jahres in Kopenhagen eröffnet. Chruschtschow will zu diesem Zweck in eigener Person nach Stockholm, Oslo und Kopenhagen reisen. Darüber wie über den Gesamtkomplex der Beziehungen zur UdSSR ist vor allem auf der Tagung der fünf nordischen Regierungschefs und ihrer Vertreter am 24. und 25. Jänner 1959 verhandelt worden. Einladung an den Moskauer Allgewaltigen’wurde grundsätzlich für heuer beschlossen. Unmittelbar zuvor hat dieser bei einer, die Uneingeweihten völlig überraschenden, Zusammenkunft mit dem finnischen Staatspräsidenten Kekkonen den unter der Koalitionsregierung des Rechtssozialisten Fagerholm verminderten sowjetischen Einfluß in Finnland wiederhergestellt und dem dortigen Kabinett Sukselainen den Moskauer Segen erteilt.

Es sieht also für die russischen Pläne derzeit nicht schlecht aus. Die innenpolitisch in ihrer Existenz ständig bedrohten, weil über keine stabile ausreichende Parlamentsmehrheit verfügenden sozialistischen Regierungen Dänemarks und Norwegens sind für den Atlantikpakt recht unbequeme, störrische Partner. Die Agrarier in Finnland, wo ein Viertel der Abgeordneten kommunistisch ist, sind der UdSSR gegenüber weit gefügiger als die nun ausgeschalteten dortigen Sozialisten. Sogar bei den am wenigsten den Moskauer Methoden von Zuckerbrot und Peitsche, schottischer Douche und kundiger Aushöhlung zugänglichen Schweden wirken sich die beiden Tatsachen, daß auch in Stockholm die Regierung des festen Bodens unter den Füßen ermangelt und daß sie von den Sozialisten Erlander und Unden maßgebend gestempelt wird, eher günstig für die Sowjetunion aus.

Des britischen Premiers harrt nun eine Aufgabe, die, wenn sie gelingt, ein diplomatisches Meisterwerk wäre: die Bemühungen der Sowjetunion um die skandinavischen Länder dahin zu verwerten, daß diese Staaten nicht etwa von der englischen Freundschaft abgezogen werden, sondern daß sie. allesamt, vereint mit Großbritannien, einerseits eine Brücke zwischen dem Ostblock und dem Atlantikpakt bilden — diesem Zweck dienen auch die von der Oeffentlichkeit wenig bemerkten regen Kontakte zwischen London und Warschau. Daß ferner Engländer und Skandinavier bei einer Zuspitzung der europäischen Situation, etwa im Spätfrühjahr, infolge der Berlin-Krise, geme;nsam im Kreml mäßigend auftreten können: schon im Hinblick darauf, daß sie auch innerhalb des Atlantikblockes die mildere Tonart verfechten.

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