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„Halbzeit“ für Kennedy

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Man hat, als er ins Weiße Haus einzog, J. F. Kennedy vielleicht in der in- : ternationalen Presse zuviel Vorschuß- . lorbeeren gespendet. Freunde warnten immer wieder, keine Wunder zu er- warten und auf Rückschläge und ‘ Fehler auch bei dem Aufbruch nach „neuen Grenzen" gefaßt zu sein. Kuba ] und Laos in der Außenpolitik, die Renitenz des Kongresses bestimmten 1 sozialpolitischen Plänen des Präsidenten gegenüber bewiesen, daß sie Recht 1 hatten.

Jetzt-nach Wien und im ständi- gen Notenwechsel zwischen Moskau i und Washington — ist mit der Ver- , schärfung der Diskussion um das 1 Schicksal Berlins der Kalte Krieg in : eine neue Phase getreten, die die i Führerrolle der USA für den westlichen Gesprächs- (oder Konflikts?-) f Partner definitiv unter Beweis zu stel- len haben wird. i

Und es scheint, daß die in der i Sache unmißverständliche, im Ton i maßvolle Synthese von Kampfbereit- i schaff und Verhandlungswilligkeit, die i die Proklamationen Kennedys in mehr s als einer Hinsicht von der Rhetorik 1 von John Foster Dulles unterscheidet, ihren Zweck nicht verfehlt: Der Kreml i fügt seinen Drohungen mehr denn je Zusagen der Friedenswilligkeit an, und das Land beginnt, sich jenseits der Parteigrenzen hinter ihn zu stellen.

Die „rechtsrepublikanische“ Opposition um Senator Goldwater, die sich bereits jetzt auf die nächste Kongreß- s und die daran anschließende Präsi- , dentenwahl unermüdlich vorbereitet, beobachtet zwar jeden seiner Schritte 1 mit Argusaugen, Munition für : Attacken sammelnd, hält sich aber in i der Sprache ihrer Kritik bemerkens- t wert zurück. Um der „nationalen Ein- I heit” willen, aber auch, weil Kennedy 1 klug genug ist, offenen Konflikten im c Augenblick aus dem Weg zu gehen. S Das führt zu Akzentverschiebungen a der Demokratischen Politik, teilweise r zu — vorübergehenden? — Positions- e Verschiebungen. Es ist deutlich, daß 1 die weltpolitische Situation, die es t notwendig macht, die Republikaner s zu einer überparteilichen Außenpolitik I zu bewegen, dem Präsidenten in der a Innenpolitik in steigendem Maße Kon- r Zessionen abnötigt, oder ihn doch c wenigstens veranlaßt, bestimmte Pro- - jekte vorerst zurückzustellen.

Das hat naturgemäß in erster Linie , mit der Ausbalanzierung des Budgets r zu tun. Da Steuererhöhungen einzu- ( führen für den Augenblick unratsam , erscheint — man will vermeiden, die e deutlich vorhandene Steigerung der , Wirtschaftskapazität damit zu „stra- 1 fen“! —, müssen die inzwischen vom \ Kongreß bewilligten beträchtlichen g Mehrausgaben für die Rüstung an an- ( derer Stelle eingespart werden. I

Was nur die eine Folge haben kann: g daß die mannigfachen Pläne der sozialen Reformen — Altersversicherung, Arbeitslosenunterstützung, Wohnungsbau-, aber auch Erziehungshilfe usw. — entweder in ihrem Umfang wesentlich vom Parlament beschnitten oder vom Weißen Haus zeitweise auf Eis gelegt werden.

Innerpolitischer Burgfriede

Kennedy, der alles andere als ein Dogmatiker ist, sieht klar genug, daß er nicht gleichzeitig die Unterstützung der Republikaner für die ihm im Moment am dringlichsten erscheinende „starke" Außenpolitik in der Berlinfrage haben kann, wenn er sie gleichzeitig mit zu „liberalen“ Vorschlägen in der Innenpolitik verärgert.

Wie sehr ihm an dieser „Einheitsfront" liegt, bewiesen die demonstrativ von ihm gesuchten Unterredungen mit den republikanischen Expräsidenten Hoover und Eisenhower und dem republikanischen Kriegshelden Mac- Arthur, beweist schließlich, daß er nach dem Besuch des nationalchinesischen Vizepräsidenten nicht nur die Versicherung abgab, für Formosas

Verbleiben in den Vereinten Nationen einzutreten, sondern auch entschieden gegen die Aufnahme Rotchinas Stellung nahm — im deutlichen Gegensatz zu früher erfolgten Erklärungen liberaler Demokraten, die es für unklug halten, sich so starr festzulegen, und anrieten, die endgültige Stellungnahme zu der Frage vom konkreten Zeitpunkt und seinen Notwendigkeiten abhängig zu machen —, aber in Übereinstimmung mit der republikanischen Plattform.

Umwege zu den „neuen Grenzen"

Ein anderes Feld, auf dem die Kennedy-Administration möglicherweise gezwungen sein wird, etwas „kurz zu treten", dürfte die Auseinandersetzung mit dem „Kolonialismus" sein. Es kann kaum ein Zweifel daran bestehen, daß Amerikas junger Präsident ehrlich davon überzeugt ist, daß Amerikas Platz an der Seite der farbigen Völker — mit moralischer und faktischer Hilfe — sein muß. Dennoch blieb nicht unbemerkt, daß die Formulierung seines Afrikadelegierten, „Afrika gehört den Afrikanern", in

England verschnupfte und die Tatsache, daß die amerikanische Delegation bei den UN durch ihre Zustimmung in der Generalversammlung zur Resolution des afrikanisch-asiatischen Blocks, die Zustände in Portu- giesisch-Angola zu untersuchen, nicht nur Salazar verstimmte. So war es verständlich, daß er zögerte, beim Biserta-Zwischenfall sich mit Tunis zu solidarisieren, als die französischen Paratrooper einen regelrechten Miniaturkrieg einleiteten, und die Schiedsrichterrolle Dag Hammarskjöld überließ — mit dem Ergebnis, daß Tunis, bisher einer der wenigen eindeutig „prowestlichen“ afrikanischen Staaten, tief enttäuscht, im Begriff ist, sich ostentativ den neutralistischen bzw. ostorientierten Ländern zuzuwenden, die nicht zögerten, es ihrer Hilfe zu versichern.

Es hat sich gezeigt, daß die „neuen Grenzen" nicht im Sturmlauf zu übersteigen sind. Es scheint, daß manche Umwege vonnöten sind, sie vorwärtszutreiben. Das Merkwürdige aber ist, daß Amerika seinem Präsidenten Zeit gibt — und Vertrauen hat. Es dürften heute mehr Leute hinter Kennedy stehen als zur Zeit seiner Wahl, trotz der Fehler, die er gemacht, trotz der Rückschläge, die ihm zuteil wurden.

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