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Halbzeit in Gibraltar

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„Posse“, „kolonialistische Verkleidung“, „Sabotage“, „unsauberes Manöver“ und ähnliche Bezeichnungen verwendet Spaniens Presse für den britischen Entschluß, im kommenden September ein Referendum in Gibraltar abzuhalten. In ihm soll sich die 30.000 Personen zählende Bevölkerung der britischen Kronkolonie entscheiden, ob sie weiterhin unter dem Schutz Ihrer Britischen Majestät oder unter Francos Führung leben will. Was die Spanier so in Harnisch bringt, hat drei Gründe. Erstens entschloß sich Gibraltar zu diesem Schritt, ohne Spanien und die Vereinten Nationen vorher um ihre Meinung zu fragen; zweitens ist die jetzige Bevölkerung Gibraltars „vorgefertigt“ — die ursprünglichen Bewohner leben seit dem spanischen Erbfolgekrieg als Vertriebene in der Nachbarstadt San Roque, und drittens geht es bei dem spanisch-britischen Disput um den wehrhaften Felsen nicht um das Volk, das nach dem im Vorjahr den Briten unterbreiteten spanischen Vorschlag ohnehin seinen derzeitigen Paß beibehalten soll, sondern um das Land. Und überhaupt: Wer könnte daran zweifeln, daß das Resultat des Referendums ein 99,9prozentiges „British we are, British we stay“ sein wird.

Der Felsen von Gibraltar ist, .seit er — wie die Sage zu berichten weiß — von Herkules in den Boden gerammt wurde, ein steter Stein des Anstoßes, gegen den zuerst die Phönizier, dann die Karthager, die Römer und die Westgoten anrannten, ihn eroberten, um schließlich wieder verdrängt zu werden. Die Mauren, die ihn 710 besetzten, verwandelten ihn in einen Gedenkstein für ihren siegreichen Feldherrn Tarik und nannten ihn „Dschefoel al Tarik“, was dann im Lauf der Zeit in Gibraltar verballhornt wurde. Jener Feldherr ist auch für den Bau der Feste verantwortlich, die es den Mauren ermöglichte, fast 700 Jahre lang dort durchzuhalten.

Erst dem spanischen Edlen Perez de Guzman el Bueno gelang die Einnahme der Festung. Sein Urenkel starb vor ihren Mauern bei einem Rückeroberungsversuch, und einer seiner direkten Nachkommen schließlich, der erste Herzog von Medina Sidonia, der den Titel eines Marques de Gibraltar trug, bezog mit seinen Kriegern wieder den Felsen. Lange sollten sich die Medina Sidonias ihres Besitzes nicht freuen; denn Königin Isabella die Katholische warf den Herzog von Medina Sidonia ins Gefängnis und erklärte Gibraltar zum Kroneigentum.

Ähnlich verfuhren die Briten mit den Spaniern zu Ende des Spanischen Erbfolgekrieges. Sie nahmen Gibraltar für den Thronansprüche auf Spanien erhebenden österreichischen Erzherzog Karl in Besitz, und obwohl der französische Gegenkandidat auf Spaniens Krone den Sieg davontrug, behielten sie die Festung al* Kolonie und Flottenstützpunkt. Im Utrechter Vertrag von 1714, in dem dies festgehalten wurde, steht jedoch ausdrücklich, daß bei einer Veränderung des Status von Gibraltar Spanien konsultiert werden müsse. Sollte sich England Gibraltars entäußern wollen, habe Madrid Prioritätsansprüche.

Diese Ansprüche brachte Madrid 1964 vor, als England sich anschickte, die rechtliche Struktur Gibraltars insofern zu verändern, als es ihm interne Autonomie gewähren wollte. Nach dem Utrechter Vertrag, auf den sich Spanien stützt, kann die Regierung Ihrer Britischen Majestät, Elizabeth II., dies jedoch nicht tun. Behält Großbritannien Gibraltar, so verstößt es gegen die UNO-Charta und gegen den vom 24er-Ausschuß für unselbständige Gebiete 1964 gefällten Enttkolonia-lisierungsspruch. Und die Spanier haben gar nicht so unrecht, wenn sie anführen, daß ein Referendum im Utrechter Vertrag nicht vorgesehen und daher eine Rechtsbeugung sei. Auch Luisa Isabel Alvarez de Toledo, Herzogin von Medina Sidonia hat nicht ganz unrecht, wenn sie launig bemerkt, daß die Engländer auch sie um ihre Meinung fragen könnten.

Die Engländer, die sich zwar zu den von der UNO empfohlenen Entkolonialisierungsgesprächen bereiferklärten, haben jedoch bisher den spanischen Rückgliederungsforderungen keinen Zoll nachgegeben. Auch Spaniens großzügige Offerte, den Briten die Benutzung des Flottenstützpunkts Gibraltar, nach dem Muster des spanisch-amerikanischen Stützpunktabkommens etwa, zu belassen, den wirtschaMichen und staatsbürgerlichen Interessen der Felsenibewohner Rechnung zu tragen und eine Freihandelszone einzurichten, sind bislang von den Briten unibeantwortet geblieben. So versuchten die Spanier ihrem Rechtsanspruch auf rechtlichem Weg, der die Gibraltareser etwas an die früheren Belagerungszustände erinnert, nachzuhelfen: Zuerst unterbanden sie den Schmuggel, Gibraltars Haupteinnahmequelle — von der allerdings auch ein Rinnsal in das spanische Hinterland versickerte. Dann sperrten sie die Landgrenze bei La Linea und machten somit die Felsenbewohner von Frischgemüse- und Obstlieferungen sowie Arbeitskräften aus Marokko abhängig. Im April dieses Jahres schließlich errichtete Madrid eine Flugsperrzone über seinem, Gibraltar benachbarten, Gebiet und wacht mit Jagdflugzeugen über deren Beachtung. Wenn der „Levante“, der Ostwind, über den Felsen fegt, haben die auf dem Rollfeld von Gibraltar landenden Flugzeuge ernstliche Schwierigkeiten zu überwinden, wollen sie nicht eine Luftraumverletzung, Zwangsibegleitung durch spanische Jagdflugzeuge, die wie Verkehrspolizisten ihre Zone bewachen, und einen Protest der Madrider Regierung riskieren.

Inzwischen geht den Bewohnern von Gibraltar etwas der wirtschaftliche Atem aus, da sie, wie gesagt,vom Schmuggel und dem Bollfreien Verkauf britischer, japanischer, marokkanischer und deutscher Waren an Touristen leben, die gewiß nicht wegen Strand und Sonne nach der Felsenfeste kommen — beides gibt es in greifbarer Nähe und im Übermaß an der spanischen Costa del Sol —, sondern des billigen Einkaufs und des eitlen Gefühls wegen, die letzte britische Kronkolonie auf europäischem Boden zu betreten. Großbritannien will seinen Untergebenen in diesem Jahr mit 900.000 Pfund Sterling unter die Arme greifen, will Hotels und Badestrände konstruieren. Spanien baut für seine ehemals in Gibraltar beschäftigten Arbeiter Fabriken und stampfte den Supertourismuskomplex Sotogrande aus dem Dünensand.

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