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Halsbrecherische Übungen am Seil

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Die Kommunistische Partei Italiens geht ihrem Kongreß am 8. Dezember in Livorno mit den düstersten Vorgefühlen entgegen; das Jahr 1956 hat eine ununterbrochene Reihe von Rückschlägen und keinen einzigen Lichtblick gebracht: Niederlagen auf gewerkschaftlichem Gebiet bei den Betriebsrätewahlen, sinkende Einnahmen aus den Mitgliedsbeiträgen und Abschnürung der Geldquellen aus dem verlorengegangenen Monopol im Osthandel, geringere Auflagen der Parteipresse; die Verurteilung des Stalinismus und das notwendige Eingeständnis, mitgeirrt zu haben; schließlich die ungeheure Tragödie Ungarns, die den sozialistischen Einigungsprozeß beschleunigt und zu einer vollkommenen Isolierung geführt hat. Die Ergebnisse der jüngsten Regional- und Gemeindewahlen liefern nur die Bestätigung, wenn es einer solchen noch bedurft hätte, für die schwere Krise des italienischen Kommunismus.

Die Wahlen vom 11. November in den autonomen Regionen Südtirol-Trentino und Aostatal sowie die Erneuerung der Gemeinderäte in 223 anderen Wohnzentren mit einer Einwohnerschaft von weniger als 10.000 haben sich in einer internationalen Atmosphäre abgespielt, die mit jener des April 1948 verglichen werden kann, ein Wahltag dunkelster Erinnerungen für Italiens KP. Die Oeffentlich-keit stand damals noch unter dem Eindruck des Prager Staatsstreichs, die Wählerschaft verteidigte sich durch die Stärkung des demokratischen Zentrums. Aber Prag war im Vergleich zur Niederwälzung des ungarischen Freiheitswillens nur ein übler Scherz gewesen. Die Kommunisten mußten also in den Provinzen Bozen und Trient den Verlust eines Viertels ihrer Wählerschaft hinnehmen, in absoluten Ziffern ausgedrückt, erhielten sie im Vergleich zu 1952 nur 14.799 statt 17.972 Stimmen. Im industrialisierten Aosta ist ihr prozentueller Anteil von 47,4 auf 38,1 zurückgegangen, während die christliche Demokratie von 26,4 auf 33,5 vorrückte, was einer Vermehrung der Stimmenzahl um fast 50 Prozent gleichkommt. Den Zahlenalchimisten der extremen Linken stand diesmal kein Stein der Weisen zur Verfügung, mit dem sie die Niederlage in einen Sieg umwandeln hätten können.

Zu dem bitteren Wermutstrank gesellte sich noch die Galle des Fortschrittes der beiden sozialistischen Parteien, besonders dort, wo sie mit getrennten Listen auftraten, wie in der Provinz Bozen, wo die Sozialdemokraten 176B und die Linkssozialisten 827 Stimmen hinzugewannen; in Aosta-Stadt 103 und 539; in der Provinz Trient, wo sie eine gemeinsame Liste bildeten, 3301 Stimmen. Die Beziehungen zwischen den Kommunisten und den Linkssozialisten, durch zehn Jahre treue Weggefährten, sind nunmehr in offene Polemik gemündet. Nennis Beurteilung der ungarischen Katastrophe hat Togliatti außer Rand und Band gebracht. Zwar wird Nennis Meinung nicht von der Mehrheit des sozialistischen Zentralkomitees geteilt, wo die Vertrauensleute Togliattis sitzen, aber der kommunistische Parteiführer weiß gut genug, daß Nenni bei dem im Februar stattfindenden Kongreß die Mehrheit der Delegierten auf seine Seite ziehen wird. Für Nenni hat nicht bloß der alte „Aktionspakt“ mit den Kommunisten keine Gültigkeit mehr, sondern auch der „Konsultationspakt“ vom vergangenen September, der. also dem Kongreß nicht mehr zur Ratifizierung vorgelegt werden wird. Was hilft es, wenn Togliatti Nennis Urteil über den Genossen Kadar als „ungerecht, kleinlich und falsch“ bezeichnet und behauptet, „lieber allein bleiben zu wollen, als seine Stimme mit jenen der Partisanenmörder zu vereinigen, wie es die Linkssozialisten im Gemeinderat von Ferrara getan haben“. Was hilft es ihm, wenn er Nenni beschwörend zuruft, nicht zum Feind überzugehen und die Freiheit, die er erlangen will, an die Sozialdemokraten und deren noch stärkere Freunde zu verlieren — der Leader der Kommunisten sieht sich nicht allein der sozialistischen Flankendeckung beraubt, sondern auch die eigenen Reihen wanken.

Die vergangenen Wochen haben eindrucksvolle Desertationen vor dem Feind gezeigt, Proteste kommunistischer Intellektueller gegen die offizielle Linie der Parteidirektion, den Rücktritt einer ganzen Reihe kommunistischer Redakteure, ein Aufmucken in den Provinzorganisationen, wie in Bologna, die Verurteilung der sowjetischen Intervention in Ungarn seitens kommunistisch-linkssozialistischer Organisationen, wie in der Unione Donne Italiane (italienische Frauen-Union), im Partisanenverband (ANPI) und in jener seltsamen, häretischen Erklärung des Gewerkschaftssekretärs Giuseppe Di Vittorio, die er allerdings dann zurückgenommen hat mit der Begründung, er habe erst als Gewerkschaftsführer, dann jedoch als Kommunist gesprochen: ein merkwürdiger Fall politischer Bewußtseinsspaltung.

Solange die Stalinisten Moskaus das Seil straff hielten, konnte Togliatti seine seiltänzerischen Fähigkeiten erweisen; aber man weiß, wie schwierig diese Kunst bei lockerem Seil ist. Eine Furcht hat sich der italienischen Kommunisten bemächtigt, die Furcht, immer geirrt zu haben; erst, als man auf Stalin hörte, und dann, als man ihn schmähte. Es ist nicht mehr möglich, in der Vergangenheit einen festen Punkt zum Anklammern zu suchen, und noch weniger wagt man es in der Gegenwart zu tun. Was Togliatti den Schwankenden in diesen Wochen sagt, ist ungefähr das: Ich verstehe eure Verwirrung, aber gartet nur ein paar Monate zu, und ihr werdet erkennen, daß ich, also die Sowjetunion, recht gehabt habe. Erinnert euch der Verwirrung nach den Moskauer Säuberungsprozessen, nach dem Pakt mit Hitler. Ist nicht auch damals alles zum besten gewendet worden?

Es bleibt abzuwarten, ob sich die „Basis“ der Partei mit derlei Injektionen einer Art metaphysischer Hoffnung auf dem kommenden Parteikongreß zufrieden geben wird. Zum erstenmal hat sich eine Fronde der Gegner Togliattis bemerkbar gemacht. Sie kritisiert, daß der Erneuerungsprozeß in der Partei nach dem zweiten Chruschtschow-Bericht fragmentarisch und unsicher geblieben ist. Wo blieb der „italienische Weg des Sozialismus“, wo der „polyzentrische Kommunismus“, wo die Erkenntnis, daß die Diktatur des Proletariats nicht das einzige Mittel zu sein braucht, um dem Sozialismus zum Sieg zu verhelfen? Wo blieben alle diese Zu* geständnisse Togliattis, wenn er bei der ersten Rückkehr zu stalinistischen Methoden ohne Zögern in die alte Straße einlenkt? Oder ist etwa das Leben iii der Partei demokratischer geworden? Ist etwa die mechanisch verstandene Disziplin, die Gleichschaltung, die Verbürokratisierung, die autoritäre Methode, die Taktik der Einschüchterung aufgegeben worden?

In Wirklichkeit hat sich seit dem XX. Kongreß der KPdUSSR im italienischen Kommunismus nicht mehr geändert, als Togliatti wollte. Es konnte auch nicht anders sein, denn so, wie sie ist, bleibt die italienische KP die einzig mögliche Konstruktion. Ein Titoismus ist nur in Staaten möglich, wo der Kommunismus bereits zur Herrschaft gelangte. In jenen, wo er noch um die Macht kämpft, bedarf es eines festeren Rückhalts, als es das Vorbild Jugoslawiens sein kann, da bedarf es der Gewißheit, eine bis an die Zähne bewaffnete Großmacht hinter sich zu haben. Togliatti hat das, nicht genau mit diesen Worten, demnach auch so zu verstehen gegeben.

Und wenn die kollektive Führung und die Koexistenz nichts ist, was sich den kommunistischen Parteien im Westen schickt, und ihnen nur Schwierigkeiten bringt und sie zu halsbrecherischen Uebungen am Seil zwingt, ist auch ein Stalinist von altem Schrot und Korn, wie es Togliatti ist, der einzige richtige Mann am Platz* Hier beginnen die Schwierigkeiten seiner Opposition: sie haben ihm niemanden entgegenzustellen. Der Gewerkschaftssekretär Di Vittorio könnte am ehesten noch auf Gefolgschaft rechnen, aber er ist beim ersten scharfen Blick Togliattis zusammengesunken; Gullo und Gio-litti, die Anti-Stalinisten, haben zu geringes Ansehen; Terracini, der in der Vergangenheit aus der Reihe tanzte, ist ein gewiegter Polemiker, aber er führt nie etwas zu Ende. Vor allem aber wacht der „Apparat“ Togliattis im Lande darüber, daß die Gegner den Kongreß nicht mit ihren Delegierten beschicken. So ist es durchaus möglich, ja wahrscheinlich, daß Togliatti gegenüber einer gezähmten Opposition auf dem Kongreß neuerlich Sieger bleiben wird. Aber die Krise in der Partei bleibt weiterbestehen.

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