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Halt beim fünften Kind?

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Universitätsprofesor Dr. Hermann Knaus hat sich als Gynäkologe gar nicht hoch genug einzuschätzende Verdienste um die Familien erworben. Die nach ihm benannte Methode der Geburtenregelung durch periodische Enthaltsamkeit erweist ungezählten Ehegatten die Wohltat eines naturgetreuen ehelichen Beisammenseins, wobei ihnen das Recht, die Zahl ihrer Kinder in freier, persönlicher Verantwortung selbst zu bestimmen, gewahrt bleibt. Die wissenschaftlichen Leistungen von Professor Knaus auf diesem Gebiet sind heute von weltweiter Bedeutung.

Anders verhält es sich mit der Kritik, die Dr. Knaus in letzter Zeit an familienpolitischen Einrichtungen Oesterreichs übt. So trat er kürzlich in einem Artikel „Halt beim fünften Kind“, den die österreichische Wochenzeitung „HEUTE“ (Nr. 42 v. 17. X. 1959) in großer Aufmachung brachte, mit weitgehenden Aende- rungsvorschlägen zum Familienlastenausgleichsgesetz an die Oeffentlichkeit.

Zum Beispiel sollten die Kinderbeihilfen nach Knaus nicht progressiv gestaffelt sein, wie derzeit in Oesterreich, sondern degressiv. Sein Vorschlag geht dahin, für das erste Kind 500 S, für jedes weitere um 100 S weniger, ab dem fünften Kind aber überhaupt nichts mehr zu zahlen.

Damit leistet Knaus zunächst einmal der weit verbreiteten irrigen Meinung Vorschub, die derzeitige Beihilfenprogression stelle .eine Begünstigung der kinderreichen Familien gegenüber den kinderarmen dar. Der Irrtum ist leicht nachzuweisen. Da die heutige Kinderbeihilfe beim ersten Kind keineswegs die entstehenden Mehrkosten des Haushaltes voll deckt, sinkt der Lebensstandard der Familie trotz der Kinderbeihilfe schon beim ersten Kind. Schon in der Familie mit einem Kind muß viel Angenehmes und Nützliches vom Budget gestrichen werden. Wären nun die Beihilfen für jedes weitere Kind nicht höher als die für das erste, würde sich dieses Manko bei jedem Kind voll vervielfältigen. Es müßte dapn bald nicht nur auf alles Angenehme verzichtet, sondern auch immer mehr . hlijtsUijhes gestrigen, tyerden, ja,sehr bald wjirde es auch am Lebensnotwendigen ermangeln.

Erst dann, wenn einmal die Beihilfe für das erste Kind bereits so hoch bemessen werden könnte, daß durch sie ein voller Ausgleich erzielt wird, bedürfte es keiner Progression. In diesem Fall, den Prof. Knaus mit seiner Beihilfe von 500 S für das erste Kind vielleicht im Auge hat, wäre sogar eine degressive Staffelung vertretbar. Aber selbst dann wäre der Vorschlag: je Kind 100 S weniger weit übers Ziel geschossen, weil die möglichen Einsparungen bei mehreren Kindern, die eine solche Degression recht- fertigen könnten, erfahrungsgemäß heute nur sehr geringfügig sind.

Eine Beihilfe von 500 S für das erste Kind ist aber im gegenwärtigen Zeitpunkt eine völlig irreale Forderung. Von den beihilfenberechtigten Kindern Oesterreichs sind 866.000 erste Kinder (630.000 =z 58,9 Prozent aller Kinder der Unselbständigen und 236.000 = 49,7 Prozent aller Kinder der Selbständigen). Die Aufwendungen aus den Ausgleichsfonds betrugen im vergangenen Jahr für alle Kinder insgesamt rund 2,9 Milliarden Schilling. Nach dem Vorschlag von Prof. Knaus wären aber für die ersten Kinder allein bereits 5,2 Milliarden Schilling erforderlich!

Aber dem Vorschlag liegt auch eine völlige Verkennung der familienpolitischen Zielsetzung überhaupt zugrunde. Wie auf dem Wiener Internationalen Familienkongreß anfang September d. J. überzeugend herausgearbeitet wurde, zielt der Familienlastenausgleich dahin, die Unterschiede im Lebenszuschnitt zu beseitigen, die sich aus der unterschiedlichen Kinderzahl einer Familie ergeben. Bei gleicher beruflicher Leistung und Verantwortung soll der Familienerhalter nicht auf einen niedrigeren Lebensstandard herabgedrückt werden, als er dem Kinderlosen zukommt. Daher sollen die mit dem Großziehen von . Kindern verbundenen wirtschaftlichen Mehrlasten der Familien innerhalb der Gesamtgesellschaft ausgeglichen werden, was am besten durch eine abgewogene Kombination von Beihilfen und steuerlichen Maßnahmen erreicht werden kann. Das ist eine in der modernen industriellen Gesellschaft notwendige. unabdingbare Forderung sozialer Gerechtigkeit. die das oberste Prinzip der Familienpolitik darstellt.

Bei den Darlegungen von Prof. Knaus steht jedoch ein ganz anderer Gesichtspunkt im Vordergrund. Er begründet nämlich seinen Vorschlag damit, daß „die progressive Steigerung der Kinderbeihilfen zu keiner nennenswerten Steigerung der Geburtenziffer geführt“ habe, und daß „durch diese Art der Unterstützung“ nur wenige Ehepaare „zur Gründung einer großen Familie angeregt werden". Knaus will also die menschliche Fortpflanzung gelenkt wissen, er will größere Familien, aber er ruft „Halt beim fünften Kind“! (Tatsächlich gebietet sein Vorschlag dieses Halt bereits beim vierten Kind).

Damit erweist sich, daß ein Gynäkologe von Weltruf deswegen noch lange kein Fachmann auf dem Gebiete der Familienpolitik sein muß: Was Knaus im Sinne hat, ist eindeutig Bevölkerungspolitik, nicht Familienpolitik' Denn in der Familienpolitik geht es nicht darum, die Kinderfreudigkeit zu heben, sondern es geht darum, die wirtschaftlichen Voraussetzungen zu schaffen, daß die Ehegatten die Zahl ihrer Kinder in freier, persönlicher Verantwortung selbst bestimmen können. Es geht um „d'e Freiheit, Kinder haben oder nicht haben zu wollen“ (Schmitz). Bestrebungen, die Familien durch Prämien zu größerer Fruchtbarkeit anzuregen oder ihren Fortpflanzungswillen durch wirtschaftlichen Druck einzudämmen, sind der Familienpolitik diametral entgegengesetzt.

Es verdient. festgehalten zu werden, daß auch die jüngst abgehaltene familienpolitische Tagung des Frauen-Zentralkomitees der SPOe nunmehr zu demselben Ergebnis gelangte:

„Die Familie darf im modernen Staat nicht zu einer Instanz der Bevölkerungspolitik werden. Familienpolitik heißt nicht, daß die Mütter zu einer bestimmten Kinderzahl gezwungen werden .. . Aber das Recht auf das Kind und die reale Möglichkeit, Kinder großzuziehen, muß die Familienpolitik gewährleisten“. („A.-Z.“ v. 2. X. 1959).

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Aber nicht nur in diesem Punkt müßte Professor Knaus seine Ansichten revidieren, wenn er nicht Außenseiter bleiben, sondern — was dringend zu wünschen ist — sich fruchtbar in die familienpolitische Diskussion einschalten will. So findet er es „paradox, wenn Familien, die in sehr guten finanziellen Verhältnissen leben, auch Nutznießer dieses Lastenausgleichsgesetzes werden können. Es würde dem Sinn des Wortes .Beihilfe“ entsprechen, wenn dieses Gesetz für alle Familienerhalter, die über ein monatliches Einkommen von mehr als 5000 oder 10.000 S verfügen, keine Anwendung fände und sie damit auf diese Beihilfen zugunsten der weniger bemittelten Familienväter verzichteten. Diese noble Geste wäre psychologisch und auch politisch sehr geeignet, die Gemüter der vielen Unzufriedenen zu beruhigen.“ Das heißt also: statt eines Rechtes aller Familien auf Ausgleich ihrer Mehrlasten — eine Fürsorgeunterstützung für minderbemittelte Familienerhalter! Statt eines gerechten Einkommensausgleichs zwischen Kinderlosen, Kinderarmen und Kinderreichen — eine „noble Geste" der besser verdienenden Familienerhalter gegenüber den schlechter verdienenden!

Professor Knaus ist sich dabei offensichtlich nicht bewußt, daß er sich damit zu anderen von ihm vertretenen Ansichten in Widerspruch setzt. Da überdurchschnittliche Leistungsfähigkeit — von Ausnahmen abgesehen — im allgemeinen auch einen Niederschlag in der Einkommenshöhe findet, würde sein Vorschlag einer negativen Auslese Vorschub leisten, von der er an anderer Stelle warnt. Um in den mittleren und höheren Einkommensstufen eine ausreichende Einkommensdifferenzierung zwischen Kinderlosen und Familien verschiedener Größen zu bewerkstelligen, bedarf es neben den Beihilfen noch zusätzlicher steuerlicher Maßnahmen.

Daß die österreichische Familienpolitik erst am Anfang steht, daß unsere Kinderbeihilfen und ebenso die steuerlichen Maßnahmen für Familienerhalter völlig unzureichend sind, steht außer Frage. Und darum geht das ernste Bemühen aller, die um das Wohlergehen der Familie besorgt sind, nach einer folgerichtigen Weiterentwicklung des Familienlastenausgleichs. Deshalb wäre es zu wünschen, daß ein Gelehrter von Weltruf wie Professor Knaus sich ein klares familienpolitisches Konzept erarbeitet und sich dann mit konstruktiven, realisierbaren Vorschlägen zu Wort meldet.

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