6685747-1962_16_04.jpg
Digital In Arbeit

Handel mit dem Todfeind?

Werbung
Werbung
Werbung

In der westlichen Welt wird wieder einmal das Problem des Osthandels diskutiert. Und das ist verständlich, denn die Stagnation auf dem Gebiet der Abrüstung, die Verhärtung der Fronten gegenüber dem Ostblock und das scheinbare Fehlen von politischen Entspannungsmomenten lassen die Beunruhigung des Westens.wachsen. Immer aber, wenn die Hoffnung auf Verständigung sinkt, werden neue Wege gesucht, um den Gegner in die Schranken zu weisen. Dann liegt es auch nahe, ihn wirtschaftlich zu packen und schädigen zu wollen. Der bekannte Schweizer Nationalökonom Wilhelm Röpke schrieb jüngst unter dem Titel „Handel mit dem Todfeind“, daß die Überzeugung immer weitere Schichten erfasse, die freie Welt müsse auch auf der freien Ebene des Wirtschaftsverkehrs auf weite Sicht und in dem entscheidenden politischen Sinne der Verlierer sein, wenn nicht rechtzeitig erkannt werde, daß auch diese Ebene einer der Kampfplätze ist, die der Kommunismus entsprechend seiner erweiterten Strategie für seine Welteroberung gewählt hat.

Röpke gibt damit einer Meinung Ausdruck, die in der Schweiz in der letzten Zeit nachgerade zu einer Volksbewegung wurde. Ernstlich wird der Boykott von Ostwaren erwogen.

Eine moderne „Kontinentalsperre“

Auch in den Vereinigten Staaten sind Bestrebungen vorhanden, zu einem Ostembargo zu gelangen. Man will also eine Art moderne Kontihen-talsperre einführen. Insbesondere verurteilt der republikanische Senator Kenneth Keating die gegenwärtige Osthandelspolitik.

Die Verfechter einer revidierten Osthandelspolitik betonen, daß für den Westen der Warenverkehr mit dem Osten nur drei bis vier Prozent seines sonstigen Außenhandels, für den kommunistischen Block aber der Welthandel doch fast 25 Prozent seines Gesamtaußenhandels beträgt. Embargomaßnahmen, also' eine ,Arrä!H£fla'fe|s-9 sperre, würden daher den Osten emp-fihcBichet treifffen^als den Westen.' I

Gegen diese theoretisch scheinbar richtige Ansicht muß aber eingewendet werden, daß ein Osthandelsembargo bei dem Souveränitätsgefühl der westlichen Verbündeten gar nicht durchführbar ist.

Und selbst wenn von Seiten der Regierungen ein Handelsverbot erlassen werden könnte, wäre es nicht zu überwachen. Es müßten Ursprungszeugnisse und Endbestimmungserklärungen eingeführt werden, damit sich bei dem blühenden Transithandel keine Schlupflöcher fänden. Ein utopischer Plan. Noch nie hat sich in der Geschichte eine Kontinentalsperre bewährt.

Im übrigen wäre wohl ein Embargo auch kaum zweckmäßig. Denn obwohl in den letzten Jahren die politische Spannung nicht nachgelassen hat, hat sich doch der Ost-West-Handel zwischen 1955 und 1960 fast verdreifacht. Man kann daraus ersehen, daß der Handel doch im gewissen Ausmaß einer Eigengesetzlichkeit unterliegt. Auch wenn auf der einen Seite (Ostblock) ein dirigistisches Monopol steht, das seine Wirtschaft ganz dem politischen Ziel unterordnen will, ist dieses doch selbst einem Diktat unterworfen, nämlich dem der Bedürfnisse seiner Gesellschaft.

Was sich aber im Westen, und zwar mit Recht, durchzusetzen scheint, ist die Forderung nach einem einheitlichen Wirtschaftskonzept gegenüber dem Osten. Dies muß keineswegs eine Beschränkung des Handels bedeuten. Im Gegenteil. Eine von Präsident Kennedy eingesetzte Arbeitsgruppe schlug die Schaffung eines „Code of fair practices“ mit dem Sowjetblock vor. Dieser soll der Ausweitung des Handels dienen, gleichzeitig aber die Preisunterbietungen und ein Dumping, beliebte Praktiken von staatlich gelenkten Außenhandelsgesellschaften, verhindern. In dem Bericht wird auch auf den „good will“ hingewiesen, den westliche Waren In den Ostblockstaaten erzeugen können. Als Kom-

Auf die durch die Neutralität bedingte Sonderstellung Österreichs soll in einem eigenen Artikel hingewiesen werden.

mentar hierzu könnte eine Erzählung von Touristen dienen, die aus Bulgarien heimkehrten. Als sie einige Leute in Sofia englisch sprechen hörten, sollen sie ihnen stolz ein Fahrrad gezeigt haben, das ein englisches Markenzeichen trug. t.

Es geht also nicht darum, eine Handelssperre zu verhängen, sondern neue Wege zu finden, daß der Ost-West-Austausch, politisch gesehen, nicht dem Osten mehr nützt als dem Westen. Dazu gehört in erster Linie eine Koordinierungsstelle. Wäre hierzu nicht die OECD, die neben den westeuropäischen Staaten auch die USA und Kanada einschließt, besonders geeignet? Neue, große Möglichkeiten ergäben sich da für eine Organisation, die durch die Schaffung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Europäischen Freihandelszone (EWG und EFTA) derzeit an Bedeutung verloren zu haben scheint.

Im Handel des Ostens mit dem Westen ist vor allem eine Tendenz bemerkbar: die Rückstellung der Verbraucherinteressen zugunsten der Investitionsgüterbeschaffung. In der Sowjetunion war z. B. in den ersten zwei Jahren des Siebenjahrplanes, und zwar 1959 und 1960, ein Anstieg der Industrieproduktion um 22,1 Prozent zu verzeichnen. Hierbei stieg die Baustoffindustrie um 18 Prozent, die

Bei entsprechender Koordinierung der westlichen Handelswünsche mit dem Osten könnten nämlich, wenn man ins Kalkül zieht, wie notwendig der Osten den westlichen Handel braucht, letztlich auch politische Erfolge erzielt werden.

Wie groß ist nun die Bedeutung des Westhandels für den COMECON, dem Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe in Warschau?

Der COMECON, im Jahre 1948 gegründet, ist gegenwärtig eine Art Gegenstück zur EWG und umfaßt neben der UdSSR die Satellitenstaaten sowie China.

Jeder Teilnehmerstaat besitzt ein lückenlos funktionierendes staatliches Außenhandels- und Devisenmonopol. Der Außenhandel untersteht direkt dem Zentralkomitee der Kommunistischen Partei.

Der Einfluß des Westhandels kann aus der Statistik entnommen werden:

Maschinenindustrie um 16 Prozent, die chemische Industrie um 12 Prozent, die Eisen- und Buntmetallurgie um 10 Prozent, die Leichtindustrie um 8 Prozent und die Lebensmittelindustrie nur um 4 Prozent an. Die beiden letzten Industriezweige, die dem Verbrauch dienen, wurden also am wenigsten gefördert.

Solche Maßnahmen gehen auf zentrale COMECON-Weisungen zurück.

Es ist selbstverständlich, daß auch der gesamte rote Außenhandel auf Zentralweisungen beruht. So scheint neuerdings die Richtlinie ausgegeben worden zu sein, den Export bei wichtigen Metallen zu drosseln. Tatsächlich macht sich diese Erscheinung in der Außenhandelsstatistik bemerkbar. Bei der westlichen Exportseite ist gerade das Gegenteil bemerkbar. Hier nahmen die Stahl- und Metallieferungen zu, während die Agrarexporte, trotz des westlichen Überschusses an diesen Artikeln, zurückgingen.

Ein eigenes Kapitel im Verkehr zwischen dem Osten und Westen bildet der Chinahandel. China spielt aus den bekannten politischen Gründen den Krösus innerhalb des Ostblocks. Es gewährt großzügige Hilfen an die Entwicklungsländer und Albanien. Trotz der katastrophalen Dürren in den Jahren 1959 bis 1961, die Mißernten im Gefolge hatten, trotz Verheerung der Hälfte der gesamten landwirtschaftlichen Anbauflächen durch Winterfröste und Überschwemmungen exportierten die Chinesen Lebensmittel. Selbstverständlich mußten dann Nahrungsrnittel eingeführt werden. Und da die Sowjetunion nicht imstande waf — oder dies zumindest vorgab —, Agrarprodukte zu liefern, mußte das Reich der Mitte im Westen einkaufen. So wurde im Jahre 1961 mit Kanada über die Lieferung von sechs Millionen Tonnen und mit Australien etwas über eine Million Tonnen Weizen ein Übereinkommen getroffen. Es ergaben sich somit neue Aspekte des West-Ost-Handels.

Gegenwärtig ist die wirtschaftliche Stärke Chinas noch nicht beachtlich, obwohl große Anstrengungen unternommen werden, die Industrieproduktion zu heben. Das Planziel ist, im Jahre 1965 das Produktionsniveau von Großbritannien zu erreichen. Ein bescheidenes Ziel für ein 700 Millionen Einwohner umfassendes Reich, das sich einen 52 Millionen Menschen umfästenden Staat als Vorbild nimmt. Und hierbei ist immer noch abzuwarten, ob dieses Ziel überhaupt erreicht wird. Die wirtschaftliche Schwäche Chinas wird wohl am besten durch eine Statistik gezeigt, die die Stahlproduktion pro Kopf der Bevölkerung in den verschiedenen Ländern vergleicht:

Rohstahlproduktion pro Kopf der Bevölkerung (1960)

kg

Bundesrepublik Deutschland 635 Benelux 620

Vereinigte Staaten 527

Großbritannien t 462

Frankreich 380

Sowjetunion 300

Japan 230

Übrige COMECON-Länder 207 Italien 164

Rotchina 27

Man sieht am Beispiel „Stahl“, dem Gold des Marxismus, daß die Möglichkeiten der chinesischen Wirtschaft und ihres Handels noch beschränkt sind.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung