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HANS KELSEN / ÖSTERREICHS ERSTER BOTSCHAFTER

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El gran maestro de Vienna, ei juristą de la epo ca contemporänea, so nennen ihn die Rechtskundigen und die Diplomaten Mittel- und Südamerikas. Unauslöschliche Verehrung zu den Austrias, Stolz auf die Geschichtsgemeinschaft mit Wien und Bewunderung für den größten Juristen der Gegenwart spiegeln sich gleichermaßen darin. Zum zweitenmal herrscht Österreich über die Hispanität diesseits und jenseits des Ozeans. Auch in Nordamerika, wo Hans Kelsen lebt und wirkt, in der englisch sprechenden Welt, wird seine Meisterschaft bewundert und befolgt. Freilich, nicht immer kommt der gute Rat an. Vor mehr als eineinhalb Jahrzehnten, als es galt, die Satzung der Vereinten Nationen zu entwerfen, da wurde die Stimme des Mentors überhört. Kelsens Gedanke, wonach steh die Staaten, die im Begriff standen, die neue Völkerorganisation zu errichten, bedingungslos und immerwährend der internationalen Gerichtsbarkeit hätten unter ordnen sollen, drang nicht durch; der Staatssolipsismus, der Staatssubjektivismus, die Ideologie des Imperialismus, sie zerschlugen die Chancen, die der Idee beschieden waren. „Hätte man meine Empfehlung beachtet und statt der vielen Artikel einen einzigen beschlossen, einen, der zwingend allę zwischenstaatlichen Streitigkeiten einem völkerrechtlichen Entscheidungsorgan anheimgibt, so würde man sich die ganze, übrige Charter erspart und den Weltfrieden gesichert haben“, sagt Kelsen — und resigniert nicht.

Sein Glaube ist das Geheimnis der Frische, die an ein biologisches Wunder grenzt, der Frische eines Mannes, der am 11. Oktober das SO. Lebensjahr wird vollendet haben, aber wie ein Fünfziger wirkt. Was ist die Sache, woran Hans Kelsen glaubt? Das Recht.

In den verflossenen Jahrhunderten entglitt das Naturrecht dem Bewußtsein der Menschen und Völker nach und nach; Leerräume taten sich auf, in die Taschenspieler aller Art vorstießen mit ihren Tricks. Unter dem

Schranken zu halten, auf daß die Menschenwürde und das Gemeinwohl gesichert seien? — das hat der Urheber der reinen Rechtslehre als Schöpfer der österreichischen Bundesverfassung institutionell aktualisiert. Durch Hans Kelsen repräsentiert, hat Österreich im 20. Jahrhundert den entscheidenden Fortschritt gewagt und getan: mit der Verfa,ssungsgerichtsbarkeit und mit der Völkerrechtsgerichtsbarkeit. Im vergangenen Jahrhundert galt der Kampf dem Legalitätsprinzip, es ging um die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und um die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Auf diesen ,,Rechtsstaat“ folgt in der Gegenwart der „Verfassungsstaat“, den die gerichtsförmige Garantie der Verfassungsmäßigkeit, der Legitimität der Gesetzgebung und Regierung charakterisiert. Den Komperativ übertrifft der Superlativ: der „Völkerrechts- Staat“, der seine Ordnung am Völkerrecht mißt und als Bürgen das nämliche Verfassungsgericht einsetzt. Auch diesen weit in die Zukunft weisenden Gedanken hat Kelsen in der Bundesverfassung schon vor vierzig Jahren konzipiert.

Wie ein Leuchtturm ragt unser Jubilar mitten aus dem Völkermeer und zeigt die fahrbaren Routen an. Daß ein Österreicher den Dienst versieht, ist unser Stolz und lädt uns eine Dankesschuld auf, die abzutragen eine Generation nicht imstande ist.

Ren Mar c i c

Mantel des Rechts trieben Amoral und Wille zur Macht ihr Unwesen. Wie der Herr die Kaufleute aus dem Gotteshaus, so vertrieb Hans Kelsen die Rabulisten und Hofjuristen, die Parteigänger der Macht aus dem Tempel des Rechts, schlug die Tore zu, verschloß sie von innen und reinigte den heiligen Bezirk. Die reine Form des Rechts ist die taugliche untere Grenze der Moral. In unserem, im christlichen Raum wird diese gewaltige Leistung noch nicht klar erkannt: Der Bundesgenossenschaft, die sich im Streben nach einer Renaissance des Rechts als der Mitte des menschlichen Zusammenlebens öffnet, ist die katholische Jurisprudenz zunächst nicht beigetreten; zum Teil verharrt sie in der platten Ablehnung einer Leistung, an der sie vorbeisieht. Durchstieße man die Oberfläche und blickte man schärfer hin, man sähe, daß Hans Kelsen dem Aquinaten näher steht als manch ein Repräsentant der katholischen Rechts- und Staatslehre. Die „Grundnorm“ birgt in ihrem innersten Kern den V/esensbau des katholisch entworfenen Naturrechts. Es fragt sich nur, ob der Sprung vom Logischen zum Ontologischen geplant ist, und ob er gelingt.

An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen (Matth. 7, 16). Nun, worum die katholische Naturrechtslehre und alle ontologisch orientierten Rechtsanschauungen sich zwei Jahrtausende bemühen, um die Frage nämlich: Wie ist die Staatsgewalt rechtswirksam in

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