6685997-1962_16_26.jpg
Digital In Arbeit

Harmonisch in der Landschaft

Werbung
Werbung
Werbung

Ein kleines Stück Papier, die kürzlich erschienene Postmarke zu 3 S mit dem Bild des sauber und harmonisch in der Landschaft liegenden Ennskraft-werkes Großraming, gibt Anlaß, daran zu erinnern, wie aus tiefstem Niederbruch, dank der Tatkraft einiger Männer, neuer Mut und Aufbauwille entstanden.

Hunger, Elend und Sorgen allerorten im Lande; Straßen, Brücken, Bahnanlagen, Häuser und ganze Straßenzüge zerbombt; rückflutende, in Auflösung begriffene Heeresteile, zehn-tausende Flüchtlinge verschiedenster Nationalität auf den Landstraßen, in den Wäldern; ein Chaos, ein Inferno: das war der herzbeklemmende Zustand in unserem Lande zu Maianfang 1945.

Wien hungerte erbärmlich nach elektrischem Strom. Die stadteigenen Kraftwerke waren zum Teil zerstört, die noch betriebsfähigen litten unter vorerst unbehebbarem Mangel an Kohle; auch das übrige Österreich benötigte Strom.

Oberösterreich opferte sich damals für die Bundeshauptstadt auf, es führte im eigenen Land strenge Stromsparmaßriahmen ein, um Wien helfen zu können. Durch die Hochspannungsfreileitung Linz—Wegscheid—Wien flössen durch Tag und Nacht große Mengen elektrischen Stromes nach Wien. Aber angesichts des schnell wachsenden Bedarfes war diese Hilfe doch nicht ausreichend. Es mußte möglichst bald noch wesentlich mehr Strom aufgebracht werden, sonst würden die durch Strommangel arbeitslosen Menschenmassen radikalisiert und zu nicht wiedergutzumachenden Taten hingerissen werden.

Was tun? Konnte man nicht die schon ab 1939 im Entstehen begriffenen Ennskraftwerke Thernberg, Mühlrading, Staning und Großraming schleunigst fertigstellen?

Die vermessene Frage beantwortete sich so: Diese begonnenen Werksbauten lagen genau in der Demarkationslinie — am linken Ennsufer herrschten die Amerikaner, am rechten die Russen (und keiner traute dem anderen!). Die Baustellen samt ihren Wohnlagern, von ihren tau-senden Arbeitern beim Zusammenbruch verlassen, waren entweder geplündert und zerstört oder aber von fremden Truppen besetzt. Hochwässer, denen niemand entgegenwirkte, hatten

Schaden gestiftet, wertvolle Baumaschinen verrosteten und erwiesen sich ihrer Buntmetallteile beraubt, die Werkzeuge und Vorräte waren gestohlen. Es gab keinen Verkehr von Ufer zu Ufer; es sah — mit einem Wort — trostlos aus!

Lind vordem: Mit welcher Zuversicht waren schon seit vielen Jahren von der Österreichischen Kraftwerke AG, Linz (ÖKA), diese Werke geplant und baulich vorbereitet worden, wieviel an Vorarbeit des Geistes und der Hand steckte schon in ihnen, wie viele Millionen waren für diese Bauten schon ausgegeben worden! Bereits 1939 war der ÖKA ein Schlag dadurch versetzt worden, daß die Berliner Reichsstellen verfügten, das Kraftwerk Thernberg müsse an die Hermann-Göring-Werke abgetreten werden. Mit um so mehr Eifer baute die ÖKA dann an den Werken Mühlrading, Staning und Großraming weiter.

Und nun dieser Zusammenbruch! Diese vollkommene Ausplünderung der Baustellen und diese Unmöglichkeit, sowohl den Russen als auch den Amerikanern zu beweisen, daß es an den drei Baustellen keine Demarkationslinie geben dürfe, daß man bauen, bauen und wieder bauen müsse, um elektrischen Strom zu erzeugen, der so notwendig zum Ingangbringen der österreichischen Wirtschaft gebraucht werde.

Aber war es wirklich so unmöglich, so unbedingt hoffnungslos?

Nein — gerade in dieser Zeit der fast allgemeinen riefen Resignation fanden sich, so wie in anderen also auch in diesem Bereich, ein paar fähige, tatkräftige Männer, die in gemeinsamer, unermüdlicher Arbeit damit begannen, die vielen Hindernisse aus dem Weg zu räumen, um an den Werken wieder weiterbauen zu können.

Es gelang, wie wir alle wissen, denn die inzwischen vollendeten Ennskraftwerke sind eine Hauptstütze der heutigen österreichischen Elektrizitätsversorgung. Staning, das bei Kriegsende schon fast fertig war, konnte im November 1946 den Betrieb aufnehmen, Mühlrading folgte 1948. Mit dem wichtigsten und größten Werk der ÖKA, eben Großraming, dauerte es bis zum 26. Juni 1950.

Aber just das Markenbild „Großraming“ ruft in Erinnerung, daß auf dieser Großbaustelle, wo zeitweise bis zu 2800 Menschen beschäftigt waren, beim Umbruch 1945 praktisch alles Leben erstarb. Mühevollst mußten die führenden Männer der OKA, voran der damalige Baudirektor der ÖKA (heute Generaldirektor der OKA und Baurat h. «.-), Dipl.-Ing.. Viktor Frisch', die Arbeiten“ wieder in Garrsr bringen. Ihm und seinen ebenfalls agilen Mitdirektoren, stand ein zwar bescheiden kleiner, aber tüchtiger und einsatzfreudiger Mitarbeiterstab an Technikern, Baukaufleuten und anderen Spezialisten getreu zur Seite, so (um nur einige zu nennen) die Prokuristen Dipl.-Ing. Wilhelm T h e u e r f, Dipl.-Ing. Karl Faehndrichf, Dipl.-Ing. Karl Netzker, Dr.-Ing. Adolf Pfeiffer, Dipl.-Ing. Max Englisch, Ingenieur Josef U h r m a n n. Zu ihnen gesellten sich, erfüllt vom gleichen Aufbauwillen, Bauleiter Ing. Alfred K i r s t e i n (der später das Donaukraftwerk Jochenstein baute und jetzt in Afghanistan tätig ist) mit seinem Stab und die Leiter der zu einer Arbeitsgemeinschaft vereinigten Baufirmen mit Direktor Ing. Carl Rind von H. Rella & Co. an der Spitze.

Es war damals durch die Besatzungsmächte noch verboten, Volksdeutsche zu beschäftigen, und es mußten lange Wege gegangen werden, um wenigstens teilweise Arbeitserlaubnis für diese arbeitswilligen Menschen zu bekommen. Gefangene aus der Strafanstalt Garsten konnten sich für den Bau melden, und es arbeiteten ihrer bis zu 200 in Großraming. Flüchtlinge wollten zwar arbeiten, aber begreiflicherweise nur dann, wenn sie die Familie bei sich haben konnten. Nicht nur für Unterkünfte mußte gesorgt werden, sondern auch für Lebensmittel, für die Küche, eine Schule für die Flüchtlingskinder wurde errichtet und noch andere notwendige Einrichtungen mußten gewissermaßen aus dem Boden gezaubert werden, um die Arbeitsfreudigkeit erhalten zu können.

Heute hört sich das alles an, als seien es Kleinigkeiten. Damals war die Beschaffung einer Fuhre Kartoffeln oder Kraut, eines Sackes Erbsen oder etwa gar die von Fett und Heisch unsäglich schwierig, zeitraubend und kostspielig.

Aber die Ingenieure und Baukaufleute der ÖKA mit ihrem bewährten Mitarbeiterstab ließen nicht locker. Alsbald waren in Großraming wieder 2600 Menschen im Dreischichtenbetrieb tätig, im Lager aber wohnten zusätzlich noch 592 Familienangehörige, für die die ÖKA mit-sorgen mußte.

Gut — es wurde wieder gebaut, es ging vorwärts, wenngleich auch jeder auf dem Weg befindliche Lastkraftwagen, der Bauholz, Eisen oder Zement bringen sollte, mit Bangen erwartet wurde: Wird er das Material überhaupt bekommen haben? Wird er weder von den Amerikanern noch von den Russen aufgehalten werden? Wird er keine Panne haben (und dann mangels Ersatzteilen auf der. Strecke liegenbleiben)?

Wie gesagt, der Bau war dank der ÖKA-Initiative im Fortschreiten, aber verschiedene Maschinenteile, schon 1942 in Berlin bestellt, lagen noch dort in der vierfach besetzten Stadt, in der die beiden Hauptgruppen der Besatzungsmächte einander Schwierigkeiten sonder Zahl machten, unter denen auch der normale Wirtschaftsablauf litt.

Es schien, als sollte es nicht möglich werden, diese für Großraming unerläßlich wichtigen, viele Tonnen wiegenden Maschinenteile aus Berlin herauszuholen. Aber die ÖKA sandte einen ihrer Angestellten nach Berlin, und was die Berliner Firma bei den Besatzungsmächten nicht erreicht hatte, das gelang der „österreichischen Gemütlichkeit“ (die vielmehr — auch in anderen Fällen! — eine liebenswürdige und zähe Beharrlichkeit ist!) innerhalb weniger Wochen. Wilhelm Weber, so hieß dieser ÖKA-Mann, brachte die erforderlichen Bewilligungen zur Ausfuhr zusammen, er verschaffte sich durch Aufmerksamkeit, Zufall, Beharrlichkeit und Glück auch Tiefladewaggons, und so rollten nun die sehnlichst erwarteten Maschinenteile nach Großraming, und immer näher rückte der Tag, an dem dieses Werk mit dem ersten Maschinensatz (27.000 kW) den Betrieb aufnehmen konnte.

Die österreichische Öffentlichkeit hatte inzwischen für den Fortgang der Arbeiten in Großraming größtes Interesse bekundet. Die Tageszeitungen brachten immer wieder hoffnungsreiche Berichte, wie wertvoll sich gerade dieses Ennskraftwerk für die Stromversorgung Österreichs auswirken werde. Die ÖKA konnte mit gutem Recht auch die Befürchtungen zerstreuen, durch den Kraftwerksbau werde die Gegend „verschandelt“. Einer der schon genannten Hauptinitiatoren und verdienstvollsten Förderer dieses Kraftwerksbaues, Generaldirektor Baurat h. c. Dipl.-Ing. Frisch, präzisierte das in einem Rundfunkvortrag am 27. August 1947 ungefähr mit den Worten:

„Wir beweisen, daß wir in Großraming keinesfalls alles der nüchternen Technik aufopfern, sondern daß wir dort in außerordentlichem Ausmaße das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden: Wir zwingen dem Ennsfluß die Energie ab, die mithilft, die österreichische Wirtschaft wieder in die Höhe zu bringen. Wir schädigen auch keineswegs die .unter Wasser gesetzten' Besitzer dieser Gegend, sondern erbauten für sie schöne, bequeme und gesunde Häuser, die sie voll Freude bezogen haben. Im Zuge der Bauarbeiten haben durch den Ausbau der Straße Wirtschaft und Verkehr gewonnen, die Holzbringung wurde wesentlich erleichtert und modernisiert. Was besonders wichtig und erfreulich ist: die Landschaft hat durch die Sanierung der Ufer, dwreh die schönen, neuen Brücken und durch die blitzsauberen neuen Siedlungen, im Verein mit der neuerstandenen seenhaften Wasserfläche, umkränzt von Wäldern und Bergen, sehr wesentlich an kultivierter Schönheit gewonnen. — Sie wird viele Fremde anziehen, und das Ennstal wird wirtschaftlich nicht mehr einen Dornröschenschlaf schlafen.“

Inzwischen war aber anderes geschehen: Das mit 26. März 1947 verkündete „Zweite Verstaatlichungsgesetz“ ordnete an, daß die von der ÖKA geplanten, ihr konzessionierten und von ihr gebauten Kraftwerke an der Enns verstaatlicht und vom Bund übernommen werden und daß zu diesem Behufe alle Geschäfte an eine eigens gegründete Sondergesellschaft, die „Ennskraftwerke Aktiengesellschaft“, überzugehen haben. Zugleich wurde die ÖKA (Österreichische Kraftwerke Aktiengesellschaft)' dazu verhalten, den Firmenwortlaut in Oberösterreichische Kraftwerke Aktiengesellschaft (OKA) umzuändern, und.irr Hinkunft als LandesgeSell-schaft lediglich um die Stromversorgung des Landes Oberösterreich bemüht zu sein. (Aus Zweckmäßigkeitsgründen verblieb bei den noch im Bau befindlichen Werken die Bauleitung einstweilen bei der OKA.)

Diese durch das Gesetz verfügte einschneidende Änderung war für die ÖKA-OKA ein schwerer Schlag: sie verlor ihre besten und stärksten Werke, und damit verlor sie auch, unmittelbar vor der Erreichung ihres Zieles, den Erfolg und den Lohn für jahrzehntelanges, opfervolles Bemühen.

Aber sie nahm dieses Opfer auf sich und betrachtete den Tag der feierlichen Inbetriebnahme des ersten Maschinensatzes des Ennskraftwerkes Großraming — es war dies der 26. Juni 1950 — als den Schlußstein ihrer jahrzehntelang an der Enns betriebenen Studien, Planungen, Vorarbeiten und Großbauausführungen. Was aber ihre Wasserbau- und Elektroingenieure, ihre Baukaufleute und die mitschaffende wackere Belegschaft damals geleistet haben, soll hiermit dokumentiert und für spätere Zeiten festgehalten werden. — Es war beste österreichische Art.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung