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Harte Kritik am Nobelpreis

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Die Verleihung der Nobelpreise begegnet in Schweden einer immer härter werdenden Kritik. Gleichzeitig bemühen sich ganz oder teilweise vom Staat finanzierte Informationsstellen um eine kritiklos beschönigende Darstellung aller Erscheinungen um den Nobelpreis. In diesem Artikel wollen wir auf einige wichtige, bisher kaum bekannte Umstände hinwiesen.

Niemand verlangt von den Mitgliedern der Königlichen Schwedischen Akademie in Stockholm, daß sie ihre Entscheidungen auf Grund profunder Kenntnisse des Werkes der vielen Nobelpreiskandidaten fällen — die Berater und Spezialisten spielen hier verständlicherweise eine große Rolle. Doch möchte man wünschen, daß die Wahl einigermaßen dem entspricht, was auch dem durchschnittlich begabten und gebildeten Bürger noch verständlich erscheint. Und in dieser Beziehung wird man von Jahr zu Jahr mehr enttäuscht.

Sagen wir es einmal ganz offen: Wenn in den vergangenen Jahren am 17. Oktober der Sekretär der Akademie die Tür zum Sitzungssaal öffnete und den gespannt lauschenden Vertretern der Weltpresse den Namen des Nobelpreisträgers in Literatur bekanntgab, dann waren in einigen schwedischen Zeitungen längst jene Seiten gesetzt, in denen das Leben und Wirken des Auserwählten von der Wiege an geschildert war, mit einem Verzeichnis aller Bücher, die er geschrieben, einschließlich jener, die ein mit einem großen Ahnungsvermögen ausgestatteter Verleger gerade jetzt und höchst zufällig in das Schwedische übersetzt hatte. Kurz gesagt: Immer weniger Leute glaubten daran, daß der Rat der Achtzehn eben erst jetzt oder in der vorhergegangenen Sitzung den Preisträger auserkoren hatte, bei flackerndem Kerzenlicht und nach strengster Prüfung der Kandidaten, die man der Welt verkündete.

Die heurige Wahl des Japaners Yasunare Kawabata ist sicher nicht die schlechteste Wahl, die man bisher getroffen hat. Zwar kennt man von ihm nur ein paar Bücher, die man über das Deutsche in das Schwedische übersetzt hat, doch in optimistischen Schätzungen wird immerhin angenommen, daß 10.000 bis 15.000 Schweden schon einmal etwas von Kawabata gehört oder gelesen haben. Außerdem erscheint es ganz in der Ordnung, daß man auch einmal einen Vertreter des Fernen Ostens gewählt hat.

Für die Kulturredaktion der „Dagens Nyheter” ist es allerdings peinlich, daß man, einem diskreten Wink folgend, doch in der Literaturlandschaft Japans völlig unerfahren, zwar eine umfassende Reportage des Nobelpreisträgers fertigstellte, reich bebilderte und setzte, um dann zu erkennen, daß man nicht Kawabata, sondern den Japaner Yukio Mishima zum Objekt aller Bemühungen und Aufmerksamkeiten gemacht hatte… Doch wer wußte schon etwas von diesen Japanern!

Und wer wußte etwas von Saint-John Perse, von Quasimodo; von;.Jämene Warum wählte man diese.Reihe von aktiven, oder pen-v.. sionierten Diplomaten? Was hatte eigentlich dieser1 Agnon geschrieben? Welchem Volk sollte man die Nelly Sachs zuordnen, dem schwedischen (dem sie als Staatsbürger angehört), dem deutschen (in dessen Sprache sie schreibt), dem jüdischen (das man doch mit dieser Wahl zugegebenermaßen ehren wollte)? Viele Male hat man in den letzten Jahren in Stockholm die Kommentatoren in Verlegenheit gebracht.

Der deutschsprachige Beobachter wird vielleicht auch die Frage stellen, ob es mit der deutschen Literatur wirklich so schlecht bestellt ist, daß man seit 22 Jahren keinen deutschen Dichter (1946 — Hermann Hesse) und seit nunmehr 39 Jahren (1929 — Thomas Mann) keinen in Deutschland oder Österreich lebenden Schriftsteller mehr belohnen konnte!

Und warum eigentlich niemals die Schweiz oder Österreich? Diese Frage wurde auch in der „Furche” wiederholt gestellt, blieb aber bisher ohne Antwort. — Bei der Wahl dieses Jahres sollen wiederum Heinrich Böll und Friedrich Dürenmatt bis in die Gruppe der engeren Wahl gelangt sein, doch die Japanreise Harry Martinssons, der heute das einflußreichste Mitglied der Akademie ist, hat dann anscheinend doch schwerer gewogen als einige zaghafte Hinweise auf den vernachlässigten deutschen Sprachkreis. Als dann die Neuherausgabe eines Romanes Kawabatas, „Kyoto, oder die jungen Liebenden”, angekündigt wurde, konnte man die deutschen Kandidaten für diesmal von den Diskussionen ausnehmen.

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