7099102-1995_05_08.jpg
Digital In Arbeit

Haß begleitet Juden ein Leben lang

19451960198020002020

Es gibt wohl keinen Juden, der noch nicht Vorurteile und Verachtung zu spüren bekommen hat. So auch der Autor dieses Beitrags.

19451960198020002020

Es gibt wohl keinen Juden, der noch nicht Vorurteile und Verachtung zu spüren bekommen hat. So auch der Autor dieses Beitrags.

Werbung
Werbung
Werbung

Ach, Sie sehen gar nicht jüdisch aus”, sagte mir dieser Tage ein Bekannter in Würzburg. Er wollte mir eine besondere Ehre erweisen, denn ich bin 1,88 Meter groß, breitschultrig und war jahrelang in der israelischen Armee. Ich hatte ein komisches Gefühl, so als ob jeder Jude einen Buckel, eine Hakennase haben und klein von Wuchs sein müßte. Mir ist noch niemals in den Sinn gekommen, zu jemandem zu sagen: „Ach, Sie sehen gar nicht deutsch aus”, um ihm ein besonderes Kompliment zu machen.

Als ich Bilder der 19 jungen israelischen Soldaten sah, die kürzlich bei dem Terroranschlag nördlich von Tel Aviv umkamen, sahen sie nach dem Maßstab des obigen Kompliments alle gar nicht jüdisch aus. Aber sahen die Opfer von Auschwitz, die sechs Millionen Juden, die beim Holokaust umkamen, jüdisch aus? Die meisten sahen aus, wie jeder andere, den man auf der Straße trifft. Daß ich nicht selbst im Holokaust umgekommen bin, hing allein von der Tatsache ab, daß mein verstorbener Vater schon in den dreißiger Jahren von der Gestapo verfolgt wurde und mit seiner Familie fliehen mußte.

Ich betrachte wieder die Bilder der letzten Opfer. Alle fast noch Kinder. Ich konnte nicht umhin, dabei zu denken: Es hätte ja genauso ein Sohn von mir sein können - handelte es sich doch um nichts anderes als um einen puren Zufall. Daß der Mord nicht gegen den einen oder anderen gerichtet war, sondern nur gegen die Tatsache, daß sie Juden waren, liegt auf der Hand. „Das Schlimmste ist die schreckliche Wahrheit”, schrieb der Dichter Efraim Sidon, „daß, wenn Du aufatmest, weil Dein Kind nicht unter den Opfern war, jemand anderer vor Schmerz stöhnt. Dem einen ist ein Morgen sicher, der andere bleibt beim Gestern. Ein Name ist Dir unbekannt, dem anderen bedeutet er alles... Der eine ist wie neugeboren, der andere wird zu Grabe getragen.”

Auch im Gaza-Streifen herrschte bedrückte Stimmung. Keiner durfte den Streifen verlassen, um in Israel zu arbeiten. Die israelischen Soldaten an der Militärsperre standen mit ihren Maschinenpistolen im Anschlag. Nur im Haus des Selbstmordattentäters, Muchamad Atia Anwar Sukar, im Sadschai-Viertel herrschte Euphorie. Einige Schüsse, die von Zeit zu Zeit abgefeuert wurden, zeigten an, wo sich das Trauerzelt der Familie befindet. Lautsprecher verkündeten Koranzitate, Dutzende Männer saßen auf den Bänken. In der ersten Reihe konnte man Scheich Abdallah Schami sehen, einen zirka 35jährigen Mann, der an der Spitze des „Dschihad Islami” im Gazastreifen steht. In seiner Nähe befanden sich einige palästinensische Polizisten. Keiner dachte daran, ihn festzunehmen, denn er ist ja nur ein Politiker, der die anderen „ins Paradies schickt”. Er sagte: „Anwar Sukar, der neue Sahid (Heilige) verbringt seine Zeit nun im Paradies. Er hat dort ein gutes Leben und 70 Frauen zu seiner Verfügung ...” Der Sprecher läßt seiner Phantasie freien Lauf, und ich, der Journalist, muß immer daran denken, wie dieser Sexprotz mit 70 Frauen fertig wird.

Jeder junge Mann hier kann morgen ein Selbstmordattentäter sein. Hier in dieser Siedlung Gazas herrschen die Fundamentalisten. Kinder verteilen Flugblätter, Erwachsene laufen mit Trauerabzeichen herum. Abdallah Schami verspricht den Israelis weitere Anschläge, weitere Tote, bis sie ihre Städte Tel Aviv, Haifa und andere verlassen und - wenn sie nicht schon tot sind - ins Ausland fliehen. Hier protestiert niemand gegen solche Worte, denn der Haß gegen die Juden liegt allen Anwesenden im Blut.

Ich erinnerte mich an meine Kindheit, als ich jahraus, jahrein, jeden Tag mit dem Nachbarskind, meinem Spielkameraden Norbert, spielte. Eines Tages, kurz nachdem die Nazis ans Ruder gekommen waren, sagte mir Norbert, daß ich ein jüdisches Kind und deswegen schlecht sei und seine Eltern ihm nicht mehr erlaubten, mit mir zu spielen. Zur gleichen Zeit grüßten seine Eltern meine Eltern nicht mehr. Sie schauten uns nur mit haßerfüllten Blicken an. Scheich Abdallah Schami, der selbst niemanden umgebracht hat, nur andere in den Tod und ins Paradies schickt, erinnert mich irgendwie an Adolf Eich-mann, der seinerzeit in seinem Prozeß in Jerusalem hoch und heilig beteuerte, niemals selbst Juden umgebracht zu haben. Er hatte sie ja „nur” in die Gaskammern geschickt.

Woher kommt dieser Haß? Als die Christen im Laufe der Jahre nach der Zeit der Verfolgung in den „Juden die Mörder von Jesus Christus” sahen, wurde dieser Haß auf Kinder und Kindeskinder dieser Mörder übertragen - und jedes Kind in Europa lernte mit dem Katechismus die „Tatsache”, daß die Juden Jesus Christus ermordet haben. Als Anders- oder Ungläubige waren die Juden zudem hassenswert. Wenn sie sich außerdem mit Geldverleih beschäftigten, weil ihnen andere Berufe nicht offenstanden, so war dies ein weiterer Grund zum Haß.

Beim Islam war es ähnlich. Erst schlug der Prophet Mohammed den Juden vor, sich ihm anzuschließen, und als sie sich weigerten, wurden sie zu Ungläubigen.

Der Haß gegen die Juden besteht auch heute noch, obwohl sie schon längst in ihre Umgebung integriert sind. Die Nazis „erfanden” und übernahmen teilweise die Rassen - theorie, um ihrem Judenhaß einen wissenschaftlichen Anstrich zu geben. Aber schon lange vor den Nazis gab es Juden, die man nur allzu gerne haßte. Man dachte sich nicht viel dabei. Der Jude ist eben ein Jude. Bei den Moslems war es nicht viel anders, obwohl deren Haß nicht so ausgeprägt war wie in Europa. Die Juden waren vogelfrei. Entführungen von jüdischen Frauen waren gang und gäbe in einigen arabischen Ländern.

Der Zionismus sollte eine Antwort auf den Antisemitismus sein. Die Zionisten sagten sich: Nur in ihrem eigenen Land könnten die Juden ohne Antisemitismus leben, doch hatte er eines vergessen: daß das damalige Palästina kein leeres Land war, das nur auf die Juden wartete. Es lebten hier schon seit Generationen Araber, die auch auf ihre Beeilte pochten. Schon 100 Jahre dauert das Ringen zwischen den Palästinensern und den Juden.

Auch nach Auschwitz ist der Antisemitismus ein konsistenter Teil des gesellschaftlichen Lebens auf der ganzen Welt. Obwohl der Glaube schon längst nicht mehr die dominante Rolle wie früher spielt und auch der Papst gegen den Antisemitismus kämpft, bestehen immer noch tief eingeprägte Vorurteile. Wir Juden müssen mit dem Haß gegen uns leben. Es gibt wohl keinen Juden, der Haß nicht in irgendeiner Weise zu spüren bekam. Man spürt ihn, auch wenn er nicht da ist, und ist immer bereit, sich irgendwie zu verteidigen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung