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Hat das Schwert eine Seele?

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In China und Japan legitimiert noch immer das „Mandat des Himmels” den Anspruch auf die Herrschaft - sogar über das eigene Land hinaus.

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In China und Japan legitimiert noch immer das „Mandat des Himmels” den Anspruch auf die Herrschaft - sogar über das eigene Land hinaus.

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Die in Asien heimische Auffassung eines sakralen Königtums fand in China - und davon abgeleitet - in Japan ihre typische Ausgestaltung in der Idee, der Kaiser sei ein Sohn des Himmelsgottes (China) oder der Sonnengöttin (Japan). Der in Japan verwendete Begriff des Tenno dürfte dem Taoismus entstammen. Er setzte sich ursprünglich aus den zwei Schriftzeichen für Himmel und König zusammen.

In chinesischer Vorstellung thront der höchste Gott, Schang-di, auf dem Polarstern und regiert von da aus die Welt. Der Kaiser übt als sein Stellvertreter die höchste Macht auf Erden aus. Sein Reich heißt darum: Tien hsia, alles, was unter dem Himmel west. Damit ist mit aller Selbstverständlichkeit der Anspruch verbunden, daß China das „Reich der Mitte” ist, das heißt das vom höchsten Gott geschaffene Weltzentrum, von dem aus er seine wohltätige Herrschaft allen Völkern zugute kommen läßt. Deshalb nahmen die chinesischen Kaiser bis in die Neuzeit (zum großen Mißvergnügen der englischen Händler und Diplomaten) Handelsbeziehungen nur auf als Tributzahlungen der am Rand der als Scheibe auf dem Urmeer ruhenden Erde lebenden Barbaren-Völker, die noch nicht in vollem Maße in dieses göttlich begnadete Reich der Mitte integriert waren. Selbst das Römer-Reich wurde in China als Tributstaat registriert.

Die Durchsetzung solcher religiös begründeter Machtansprüche hing nur von dem Ausmaß der zur Verfügung stehenden militärischen und diplomatischen Mittel ab. Im Prinzip glich China einem Luftballon. Wenn das Zentrum seine Machtmittel konzentrieren konnte, sandte der Kaiser seine Armeen gegen Tibet, Vietnam, Korea, Zentralasien, zweimal sogar gegen Japan, auch gegen Indien und. Persien, das heißt der Ballon dehnte sich unter dem inneren Druck aus. Wurde das Zentrum aber durch Katastrophen oder Bürgerkriege geschwächt, schrumpfte der Ballon zusammen. Der Anspruch auf Weltherrschaft wurde aber nie in Frage gestellt - und wird heute wieder, ohne religiöse Verbrämung, neu erhoben.

Eine Korrektur war im System eingebaut: Der Kaiser vermochte das „Mandat des Himmels”, die Grundlage seiner Machtstellung, nur auszuüben, solange er die von Konfuzius geforderten Tugenden ausübte. Verließ er diesen Pfad, suchten Naturkatastrophen, Hungersnöte, Meteor-'Einfälle und so weiter das Reich heim als Zeichen göttlicher Ungnade; und dann durfte der Kaiser abgesetzt werden. Das erklärt den für China typischen Wechsel der Dynastien: Eine starke Dynastie dauerte zirka 300 Jahre und wurde dann in einer Periode von Bürgerkriegen bekämpft, bis ein neuer Räuberhauptmann sich zum Kaiser aufschwang.

Japan übernahm zwar die Idee des Kaisers als Himmelssohn und weitete sie noch aus, indem man den Kaiser nun als Ikigami (das heißt lebender Gott, Gott in Menschengestalt) verehrte, doch wurde die Idee, der Kaiser könnte das „Mandat des Himmels” verlieren, von jeher heftig abgelehnt.

Japan entwickelte nie das Ideal eines Naturrechtes, dem auch der Kaiser verpflichtet wäre. Er allein ist das Maß alles Guten und Rechten. Was in seinem Namen von den Untergebenen getan wird, ist deshalb moralisch richtig. Ein Problem der „Bewältigung der Vergangenheit” angesichts der im Krieg begangenen Verbrechen besteht deshalb nicht. Zudem gelten alle moralischen Gesetze nur im Innern des Inselreiches; was im Ausland geschieht, ist ethisch unanfechtbar. Würde man jetzt nachträglich Schuld für Kriegsverbrechen anerkennen und sich entschuldigen, würde man die toten Soldaten als Schuldige anprangern und damit ihre Rachegelüste wecken, die noch heute dem Lande Schaden verursachen könnten.

Der Shinto (das heißt Weg der Götter) umfaßt die aus prähistorischen Riten einer Agrargesellschaft stammenden religiösen Bräuche des japanischen Volkes, entwickelte aber nie ein System von Doktrinen und kennt keine Heiligen Schriften. Wesentlich ist im Shinto der Glaube des japanischen Volkes an seine historische Mission, als einzige von Göttern abstammende Rasse in Japan ein Modell eines idealen Staates zu verwirklichen und die Barbaren außerhalb an seinen Segnungen zu beteiligen. Deshalb wird heute noch, 50 Jahre nach Kriegsende, von den meisten Japanern die Auffassung abgelehnt, man habe einen Angriffskrieg geführt. Die herrschende Auffassung ist, Japan habe Asien vom Fluch des Kolonialismus erlöst. Der Einsatz von Waffengewalt war daher berechtigt.

Heute hat sich die kaum je geäußerte Theorie von einer religiös fundierten Berufung zur Vorherrschaft über Asien, die unbewußt das ' staatliche Handeln bestimmt, nicht in der Zielsetzung geändert, wohl aber in den Mitteln. Wenn die Armee versagte in der Errichtung einer asiatischen Wohlstandssphäre unter japanischer Führung, hatten die Kaufleute, Ingenieure und Finanzexperten Erfolg: Japan erreichte durch sie seine Kriegsziele: Ende des Kolonialismus und die japanische Einflußsphäre in Südostasien. Auch nach Ende des Kalten Krieges geht der Kampf um die Weltherrschaft weiter, aber nicht mehr die Armeen sind das geeignete Instrument, sondern die Forscher und Bastler der zukunftsträchtigen Technologien. Und hier nimmt Japan eine führende Rolle ein. Es ist billiger, die Regierungen der asiatischen Länder zu kaufen, als Armeen zur Eroberung auszusenden.

Die Sakralisierung der Waffen und des Wehrsports ist ein besonderes Kapitel der asiatischen Religionen.

In Japan entwickelte sich im Rahmen des Feudalstaates im 12. Jahrhundert eine Kriegerklasse, die dem Sieg der Minamoto-Familie die Oberherrschaft im ganzen Land errichtete und während fast sieben Jahrhunderten die absolute Macht ausübte. Der Samurai war von der übrigen Gesellschaft geschieden. Sein Beruf war das Töten; seine Aufgabe, diese Kunst zu vervollkommnen. Ein Problem stellte sich von der Religion her.

Der Shinto verabscheute Blutvergießen, weil es kultisch unrein macht.

Der Buddhismus verbot jedes Töten, auch der Tiere, und setzte darauf die Strafe, in die Hölle verdammt zu werden, ohne Möglichkeit einer Wiedergeburt zu einer höheren Existenz.

Der Taoismus forderte Aufhebung aller Widersprüche in einem höheren Prinzip und verdammte den Krieg. „Wer nach dem Weg (Tao) einem Menschenherrscher beisteht, wird nicht mit Waffengewalt das Beich niederschlagen. Waffen sind Geräte des Unheils” (Tao Te Ching). Trotzdem verstanden die Samurai, religiöse Meditation als Konzentrationsübung einzusetzen mit dem Ziel, dadurch den Gegner effizienter umbringen zu können.

„Das Schwert ist die Seele des Samurai” war Redensart. Das Schwert, das der Bruder der Sonnengöttin dem Schwanz des erlegten Drachen entnahm, ist eines der drei Reichskleinodien; ihr Besitz begründet die Legitimation des Kaisers als Nachfolger der Sonnengöttin.

Von alters her glaubte man, daß dem Schwert eine eigene Seele einwohne. Das Schmieden war mit Shinto zeremoniell verbunden, ein heiliges Ritual im heiligen Bezirk ausgeführt vom kultisch reinen Meister. Der im Kampf ausgestoßene Schrei soll als Ausfluß von meditativ erworbenen geistigen Kräften den Gegner erstarren lassen. Durch Zen-Medita-tion soll ein Trance-ähnlicher Zustand erreicht werden, daß der Kämpfer automatisch handelt, ohne auch nur den Bruchteil einer Sekunde nachzudenken.

Deshalb wurden in China Klöster der Taoisten und in Japan der Zen-Mönche Zentren der Kampfeskunst, des Fechtens und des Bogenschießens. In Japan erwarben die Klöster in der Zeit des Feudalismus großen Grundbesitz. Zu dessen Verteidigung bildeten sie Kämpfer aus und griffen selber zur Waffe. Auf dem Berg Hiei, in Osaka, auf dem Berg Negoro, auf dem

Berg Köya, entstanden Kloster-Burgen mit eigenen Armeen. Die Einiger Japans, Oda Nobunaga und Toyotomi Hideyoshi führten einen zehnjährigen Feldzug zu ihrer Ausschaltung. In ländlichen Gebieten schlössen sich die schwer gedrückten Bauern unter Führung von Mönchen der IKKO-Sekte zu Widerstandsgruppen zusammen, die ebenfalls in jahrelangen Feldzügen niedergerungen wurden.

Im Paragraphen IX der neuen Verfassung verzichtet Japan auf jedes Kriegspotential. Gleichzeitig bringt Japan das drittgrößte Verteidigungsbudget der Welt für seine Streitkräfte auf. Solche Widersprüche stören nur Leute, die nach den Regeln griechischer Logik denken, die auf dem Widerspruchsprinzip beruht. Dieses Prinzip besaß hier nie Geltung, denn der Buddhismus anerkennt keine Logik. Widerspruch ist hier Prinzip.

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