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Hebron — Modell des Hasses?

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Hebron im besetzten Westjordanland: die einzige palästinensische Großstadt mit jüdischen Siedlern. Sie sollen nun weg - doch dagegen wehren sie sich.

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Hebron im besetzten Westjordanland: die einzige palästinensische Großstadt mit jüdischen Siedlern. Sie sollen nun weg - doch dagegen wehren sie sich.

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Das ganze Land ist von Grenzen durchzogen. Sie verlaufen zwischen den besetzten Gebieten und dem Kernland Israel, sie teilen aber auch beinahe jede Stadt, in der Juden und Araber leben. Diese Grenzen sind zwar nicht markiert, sie werden von den Einheimischen aber dennoch respektiert. Weswegen sich auch ohne bauliche Behinderungen oder administrative Beschränkungen kaum ein Araber in die jüdischen und kaum ein Jude in die arabischen Viertel verirrt.

Wenn diese Beschränkung auf den eigenen Bereich nicht akzeptiert wird, kommt es rasch zu Feindseligkeiten. So wie in Hebron. Dort sah sich die Begierung gezwungen, vorübergehend eine etwa 100 Meter lange und zwei Meter hohe Mauer zu errichten, um zu trennen, was nicht einmal nebeneinander existieren kann: 100.000 Palästinenser von 500 Siedlern.

Der aktuelle Grund für diese einmalige Visualisierung der Grenze innerhalb einer Stadt: das Massaker, bei dem am Morgen des 25. Februar 1994 der jüdische Arzt und Siedler Baruch Goldstein 29 betende Moslems in der Abraham-Moschee getötet und weitere 90 verletzt hat.

Die Mauer selbst wird freilich von keiner der beiden Seiten akzeptiert. Die Araber sagen, sie sei ein „Angriff”, die Meinung der Juden steht an den grauen Klotz gesprüht: „Hoch lebe Baruch Goldstein.”

Fährt Isaak auf Eindringlinge los?

Warum, so fragen sich viele Europäer, müssen Siedler sich provokant inmitten arabischer Städte niederlassen? Der Grund ist in diesem Fall ein denkbar einfacher: Hebron ist die Stadt der Patriarchen Abraham, Isaak und Jakob und zugleich jener Ort, an dem David seine erste Haupststadt errichtete, ehe er nach Jerusalem wechselte - was das Zentrum im südlichen Westjordanland dazu berechtigt, sich neben Jerusalem, Zefat und Tiberias zu den vier heiligen Städten des Judentums zu zählen.

Wie bemerkte doch Friedrich Dürrenmatt zynisch und doch so unwiderlegbar wahr? „Der Glaube allein versetzt Berge. Unter ihnen sind Millionen Menschen begraben, Völker, Kulturen.”

Nachdem Abraham von Ägypten nach Kanaan zurückgekehrt war, ließ er sich in der Gegend um Hebron nieder, wo er eine Höhle erstand, die fortan als Familiengruft diente und in der neben Abrahams Frau Sara der Tradition nach auch Isaak und Jakob sowie deren Gattinnen Bebekka und Lea beigesetzt sind.

Herodes der Große, der die Patriarchengräber mit einer prächtigen Umfriedung versehen ließ, tat dies aus zwei Gründen: Zum einen schmückte er damit seine Heimatstadt, zum anderen erwies er den Juden einen Gefallen, die ihn, den NichtJuden, nur ungern als Regenten über sich sahen. Diese Mauer (34 x 59 x 18 m), die heute noch den Außeriteil des Heiligtums bildet, wird allgemein als das „vollendetste Bauwerk der Antike in Palä-stina”eingestuft.Im Inneren, exakter: in der Ibrahim-Moschee, in der man noch die letzten Spuren der Kreuzfahrerkirche erkennen kann, befindet sich das Allerheiligste: die sechs Ke-notaphe der Erzväter und ihrer Frau- I en, die im 14. Jahrhundert aus färbi- I gern Marmor gefertigt wurden. Darunter soll sich die in Genesis 25,7 ff. beschriebene Höhle Machpela befinden. Genaueres weiß man allerdings nicht, denn es ist striktest verboten, sie zu betreten, was heute religiös erklärt wird: Abraham würde in seiner Güte zwar ein Eindringen verzeihen, aber der eifernde Isaak würde auf jeden Eindringling losfahren.

„Tut er aber nicht”, konnte dazu nur ein im Jahre 1968 zwölfjähriges Mädchen sagen, das in einer Nachtund Nebel-Aktion von israelischen Archäologen an einem Strick in die finstere Tiefe gelassen wurde. Sie sollte Klarheit über die Beschaffenheit der Höhle bringen. Was sie entdeckte waren bloß zwei, durch einen niedrigen Gang verbundene kahle Räume.

Dennoch: Der literarische Beleg reichte vollkommen aus, um den Ort als einen heiligen zu erachten, was seit dem 16. Jahrhundert Juden aus ganz Europa bewog, sich in Hebron anzusiedeln.

Es war ein Schabbatabend im August 1929, als die Gemeinde ihr jähes Ende fand. Dem Ruf aus den Moscheen „It-bah al-yahud” - „metzelt die Juden nieder” folgte die Tat. Araber erschlugen, angestachelt durch den Aufruf zur rituellen Schlachtung, brutalst den sephardischen Oberrabbiner und seine Frau und mit ihnen weitere 67 Personen. Die restliche Gemeinde wurde auf Befehl der britischen Behörden evakuiert.

Für knapp 40 Jahre sollte es keine jüdische Kommunität in der Stadt mehr geben. Bis am 4. April des Jahres 1968, am Vorabend des jüdischen Pessach-Festes, mehrere orthodox-jüdische Familien unter der Leitung der Rabbiner Mosche Levinger und Elie-ser Waldmann kamen, um dort zu siedeln, wo ihr Urvater Abraham einst für 400 Silberstücke sein erstes Grundstück in Palästina erworben hatte.

„Rache für Baruch Goldstein”

Der Tag, den Goldstein für seine ver-abscheuungswürdige Tat wählte, war kein Zufall: Es war der Tag nach Pu-rim, einer Art jüdischem Faschingsfest.

Und es war auch 1929 Purim gewesen, als sich die Araber nicht weniger verabscheuungswürdig an ihren jüdischen Mitbewohnern vergangen hatten. Goldstein wollte - und das ist auch der Grund, warum nicht wenige Radikale seine Tat gutheißen - einen späten Ausgleich vollzogen wissen.

Und diese Extremisten meinten auch unmittelbar nach der Tat, es seien bei der Rechnung noch „40 Araber” offen. Und nicht weniger Versessene unter den Palästinensern entgegneten: „Männer werden unter uns aufstehen, um zu vergelten.” Tatsächlich: Die ersten palästinensischen

Selbstmordkommandos in israelischen Autobussen taten dies ihrem Verständnis nach als „Rache für Baruch Goldstein”.

Nur leise sind unter dem Geschrei die Besonnenen beider Seiten zu vernehmen, die sagen: „Keine Grausamkeit rächt die andere.” Für die Siedler in den besetzten Gebieten wird es künftig vermutlich auch die Möglichkeit geben, sich gegen finanzielle Ablöse aus den besetzten Gebieten nach Israel zurückzuziehen.

Viele, vor allem jene, die religiös bewegt in das Westjordanland kamen, wollen dies aber nicht, weil sich „die biblische Geschichte nicht in Tel Aviv und nicht in Netanya, sondern in Hebron, Betlehem, und Nablus ereignet hat”. Die Argumente stimmen und sie sind bestechend - sie lassen immer nur eine Frage offen, nämlich: Wie weit kann man die Geschichte zurückdrehen, um daraus aktuelle politische Forderungen abzuleiten?

Fromme Juden, Christen und Moslems in der ganzen Welt beten, daß sie das Gemeinsame in ihren Erzvätern erkennen mögen. Aber noch sind Berührungspunkte wie die Patriarchengräber nicht Orte der Vereinigung, sondern allzuoft Brennpunkte gefährlicher Zwietracht, an denen das Modell des Hasses konstruiert wird.

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