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Heiliger im Land ohne Heilige

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Zu dem Buch „Ein Heiliger steht aul. Klemens Maria Hofbauer“. Von DDr. Claus Schedl.Wiener Dom-Verlag. 90 Selten

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Zu dem Buch „Ein Heiliger steht aul. Klemens Maria Hofbauer“. Von DDr. Claus Schedl.Wiener Dom-Verlag. 90 Selten

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In seiner fast tausendjährigen Geschichte hat Österreich nur wenige Heilige hervorgebracht: den Babenberger Herzog Leopold III., die Tiroler Dienstmagd Notburga und den hl. Klemens Maria Hofbauer, während der Heiligsprechungsprozeß der seligen Hemma von Gurk steckenblieb. Drei Heilige innerhalb eines Jahrtausends: ein recht mageres Ergebnis, wenn man überlegt, wieviel Personen in dem gleichen Zeitraum in Frankreich, Spanien oder Italien zur Ehre der Altäre erhoben wurden. Selbst das Österreich benachbarte Böhmen, das gebietsmäßig nicht viel größer als Osterreich ist, kann auf eine stattliche Reihe berühmter Heiliger hinweisen. Mißgünstige, aber um so bessere Kenner der österreichischen Geschichte werden vielleicht auch noch versuchen, diese drei Heiligen Osterreich entweder 6treitig zu machen oder Zumindestens ihre Bedeutung zu verkleinern. Bei dem heiligen Hofbauer dürfte ersteres Unterfangen leicht gelingen: ist er doch kein gebürtiger Österreicher, sondern — wie sein ursprünglicher Name Dvorak sagt — tschechischer Abstammung und verbrachte außerdem nur zwölf Jahre seines sieben Jahrzehnte währenden Lebens in Österreich, Und die geringe Bedeutung der andern zu beweisen, diesmal allerdings ganz echten österreichischen Heiligen, scheint ohne weiteres zu gelingen: beide Heilige sind keine Märtyrer, beide keine Leuchten der theologischen Wissenschaft, beide keine Gründer von Orden, die das Antlitz der Welt veränderten. Der eine ist vielmehr „nur“ ein guter Landesvater, und die andere „nur“ eine einfache Tiroler Dienstmagd, die kaum in ihrem engeren Heimatland bekannt ist, geschweige denn über die Grenzen Tirols hinaus. Drei Heilige innerhalb eines Jahrtausends, davon einer vielleicht nicht einmal ein Österreicher, die beiden andern keine „großen“ Heiligen, wie ein hl, Franz oder ein hl. Thomas, dieses Fazit ist doch Beweis genug, daß Österreich ein „Land ohne Heilige“ ist und scheint darüber hinaus noch die Behauptung zu widerlegen, daß Österreich eines der katholischesten Länder der Erde ist. Was bleibt übrig nach dieser vernichtenden Kritik?

Die Geschichte verleiht oft Etiketten, die manchmal einen Wunschtraum darstellen oder ein Urteil aussprechen, die nicht der Wirklichkeit entsprechen. So hat sich zum Beispiel das „Volk der Dichter und der Denker“ immer als eines der militaristischesten und amusischesten erwiesen. Frankreich dagegen, die „älteste Tochter der Kirche“, war nur allzuoft ein recht unbotmäßiges Kind, das von seiner Mutter nichts wissen wollte. Ludwig XIV., der „allerchristlichste König“, wiederum genierte sich gar nicht, mit den Feinden des Christentums, den Türken, gemeinsame Sache zu machen. Das .Reich Gottes in Böhmen“ wiederum hat 6ich durch alle Zeiten nur als eine ewige Schimäre erwiesen. Und das jüdische Volk, welches den Titel .das auserwählte Volk“ trug, auserwählt im Hinblick auf das Kommen Christi, hat der Aufnahme eben dieser Lehre Christi den stärksten Widerstand entgegengesetzt.

Wenn nun Österreich von der Geschichte den Titel .Land ohne Heilige“ erhalten kann, so ist dies noch lange nicht gleichbedeutend damit, Österreich als ein unheiliges oder antichristliches Land zu bezeichnen. Im Gegenteil, im Laufe der Geschichte hat sich Österreich als eines der wenigen Länder Europas erwiesen, daß eine starke, unverwüstliche katholische Substanz besitzt, die immer im Stande war, über kurz oder lang alle Angriffe gegen den Katholizismus zu immunisieren. Der österreichische Katholizismus war und ist nicht immer 6ehr aktiv, aber in irgendeinem Winkel eines jeden österreichischen Herzens war und ist er immer da und lebendig. Nur so ist es zu verstehen, warum heute noch alle Österreicher sich taufen und firmen lassen, selbst die Kommunisten ihre Kinder in den Religionsunterricht senden, 98 Prozent, wie erst unlängst der sozialistische Justizminister im Parlament erklärte, die kirchliche Trauung wünschen, 80 Prozent Kirchensteuer bezahlen und fast hundert Prozent ein kirchliches Begräbnis fordern.

Aber in einem solchen Land ein Heiliger zu werden, ist vielleicht, menschlich gesprochen, schwerer als in einem unchristlichen. Denn der heroische Grad von Tugend, den der Kanonisationsprozeß fordert, wird sich leichter in einem Land entzünden, das in Feindschaft gegen die Kirche steht, als in einem, das vom Christentum durchsäuert ist. Die Heiligkeit wird in einem solchen Land fast immei nur im alltäglichen Leben verwirklicht werden können, durch den .kleinen Weg“, den die hl. Theresia von Lisieux gepredigt hat, Jahrhunderte vor der kleinen französischen Karmeliterin haben zwei Österreicher — eine einfache Tiroler Dienstmagd und ein hochbegabter, kluger Landesvater — den Österreichern gezeigt, wie mittels des „kleinen Weges“ die Heiligkeit im alltäglichen Leben, zu der doch jeder Christ berufen ist, erlangt werden kann und soll.

Kann somit die eine Anschuldigung, daß Österreich ein Lande ohne Heilige ist, damit entkräftet werden, daß es vielleicht mehr Heiligkeit, dafür aber um so weniger Heilige habe, so kann der andere Vorwurf, daß zwei der österreichischen Heiligen keine .großen“ seien, mit dem Hinweis erledigt werden, daß ihre Tat — der „kleine Weg zur Heiligkeit“ — nicht hoch genug gewertet werden muß. Bleibt somit nur noch der dritte Einwand zu ent-kräft, daß der hl. Hofbauer kein Österreicher gewesen ist.

Gewiß, der hl. Hofbauer stammt nicht aus dem eigentlichen österreichischen, sondern aus dem böhmischen Raum. Und sein Leben lang begleitet ihn als Erbe ein Stück böhmisches Schicksal: eine ständige Unrast, die ihn durch halb Europa treibt, ein scheinbar ewiges Scheitern aller seiner Werke, und wiederum die Kraft, mit der er Hoffnungslosigkeiten zu lieben vermag. All dies ist kein Argument gegen sein österreichertum. Die echtesten aller Österreicher stammen fast nie aus Österreich, und erst der österreichische Boden weckt oder vollendet ihre Begabungen, um sie dadurch gleichzeitig zu Österreichern zu machen. Man denke an das fränkische Geschlecht der Babenberger und das allemanische der Habsburger, an den Franzosen Prinz Eugen und den Balten Laudon, an den Rheinländer Metternich, an den Bonner Beethoven und den Hamburger Brahms, an den Dänen Theophil Hansen und den Niederländer Van Swieten, an den bayrischen Jesuiten Pater Abel und den Schwaben Abraham a Sancta Clara. Aber durch diesen Prozeß wird Österreich nicht nur bereichert, sondern gleichzeitig wird es zu dem, was es in seiner tiefsten Struktur nach ist, es wird — um einen Ausdruck der Bibel zu gebrauchen — „erkannt“.

So auch liegen die Verhältnisse bei Hofbauer: erst in Österreich erreicht er die letzte große Stufe seines Lebens. Erst in Österreich wird er der große Heilige, der Seelsorger der modernen Großstadt, der Wegbereiter des sozialen Denkens innerhalb des österreichischen Christentums. Und andererseits wird Österreich durch ihn wieder das, was es ist, nämlich ein katholisches Land: denn der ganze Katholizismus Österreichs der letzten 120 Jahre geht auf ihn zurück.

Aber auch sein Weg zur Heiligkeit ist der „kleine Weg“ des alltäglichen mühseligen Leben6, das immer wieder sein „Dennoch“ als Christ und als Priester spricht, und nicht verzagt. Aber dieser „kleine Weg“ Hofbauers ist vielleicht auch die Ursache, daß er ebenso wenig bekannt ist wie die beiden andern österreichischen Heiligen. Nicht einmal ein charakteristisches Bild gibt es von ihm. Die zwei großen Werke, die über ihn existieren — von Innerkofler und Hofer — sind längst vergriffen und erlangten nie Popularität. So ist es deshalb besondern zu begrüßen, daß aus Anlaß der 200. Wiederkehr seiner Geburt aus der Feder seines Ordensbruders P. Schedl eine kleine Broschüre erschien, die durch ihre Billigkeit und ihre Einfachheit geeignet ist, den Heiligen weithin in Österreich bekannt zu machen und seine Gestalt lebendig werden zu lassen. Aber nicht nur dies: auch ein Vorbild zu zeigen, das jeder Österreicher zumindest nachzuahmen versuchen sollte.

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