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Heimat für vier Jahre

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Im Wintersemester 1956 57 waren 2400 Ausländer an den Wiener Hochschulen immatrikuliert. Damit rangiert Wien wohl an der Spitze aller deutschsprachigen Universitäten. Von diesen Auslandstudenten kommt nur der kleinere Teil aus Uebersee. Dagegen wächst die Zahl der afro-asiatischen Studenten sprunghaft an. So stieg zum Beispiel die Zahl der Aegypter an den Wiener Hochschulen .von 30 Studenten im Wintersemester 1954 5 5 auf 141 im Wintersemester 1956 57. Der allgemeine Grund dieser Entwicklung liegt wohl in der Beendigung der kolonialen Epoche und damit im großen Bedarf an leitenden Persönlichkeiten für den technischen und wirtschaftlichen Aufbau der Entwicklungsländer. Daß in jüngster Zeit gerade Oesterreich wieder wachsendes Interesse als Studienland findet, hat verschiedene Gründe: so vor allem den verhältnismäßig billigen Lebensunterhalt, dann die östliche Lage von Wien und Graz (so war z. B. Griechenland im Wintersemester 1956 57 mit 800 Studenten an den Wiener Hochschulen vertreten). Nicht nur die Wiener medizinische Fakultät, sondern das wissenschaftliche Niveau der österreichischen Hochschulen im ganzen hat sich mit dem Wiederaufbau von neuem guten Ruf verschafft. Man hört ferner von asiatischen und afrikanischen Studenten sehr häufig, daß unser österreichischer Lebensrhythmus von allen westeuropäischen Ländern ihrem Empfinden am meisten entspreche. Hinzu kommt dann noch, daß Oesterreich in keiner Weise kolonial vorbelastet ist.

Der. unvermittelte Zusammenprall mit ganz verschiedenen Kulturen und Lebensauffassungen löst besonders im afro-asiatischen Studenten mannigfache psychologische Entwicklungen aus, denen wir hohe Aufmerksamkeit zu schenken haben.

In der Frage der Auslandstudenten handelt es sięh in erster Linie um ein menschliches Problem. Zum Gefühl der Fremde kommt besonders bei den Asiaten und Afrikanern neben den sprachlichen Schwierigkeiten noch das fremdländische Aussehen hinzu, das sie in der Regel sehr kontaktscheu macht. Wenn der farbige Student merkt, daß das '-Jnreresse'setffer Umgebung, de Sfloßea,Neugier įįir entspringt und er von seinem Partner nicht voll; genommen wird, sondert er sich bewußt ab. Entscheidend wichtig sind für den Uebersee- studenten die ersten Eindrücke. Bei der Einführung in die neuen Verhältnisse kommt den inländischen Studenten die Hauptaufgabe zu. Der österreichische Student muß sich bewußt werden, daß er das gastgebende Land regelrecht vertritt. In England und den USA besteht die Gewohnheit, daß ein Student seinen ausländischen Kollegen mit seiner Familie und seinen Freunden bekannt macht. Das macht gerade auf Asiaten, denen die Gastfreundschaft noch immer als ein heiliges Recht gilt, einen besonderen Eindruck; sie sehnen sich darnach, daß ihre Vereinsamung durch die Initiative eines anderen gebrochen wird. Die weitaus überwiegende Anzahl der Ueberseestudenten findet von sich aus keinerlei Anschluß, insbesondere nicht an die richtigen Kreise. Unsere Studenten dürfen sich im Eifer nicht von der kommunistischen akademischen Jugend übertreffen lassen. Diese hat in allen Arbeitsgruppen Leute, die sich vor allem der Neuankömmlinge annehmen; da sie genau weiß: wer dem fremden Studenten in den großen Anfangsnöten bei der Besorgung der Unterkunft, der Erlernung der Sprache, bei der Einführung ins Studium und in unsere Lebensgewohnheiten hilft, der gewinnt sein Vertrauen und bahnt ihm so oft den Weg für seine spätere' Entwicklüng.

Verkehrt wäre es, dem farbigen Studenten mit Mitleid begegnen zu wolletn. Um das anfängliche Mißtrauen beziehungsweise die Zurückhaltung des Ueberseestudenten zu überwinden, braucht es eine Zeit des Sichkennen- lernens, gegenseitige Hochachtung, echtes Interesse an der Persönlichkeit, Kultur, Religion und Heimat des anderen. Der Asiate vor allem will selbst geben, bevor er etwas annehmen kann. Wenn er einen Dienst geleistet hat, z. B. einen Vortrag über sein Land, kann er ohne Beschämung Hilfe annehmen. Er zieht es vor, auf gleicher Ebene behandelt zu werden wie seine Mitstudenten, statt unsere besondere Aufmerksamkeit und Güte zu empfangen. Die apostolische Wirkung der Einführung ins österreichische und akademische Leben, Unterbringung der Studenten in katholischen Familien während der Ferien, Studienfahrten, Ausflüge sind bei Nicht.christen von besonders nachhaltiger Wirkung. Die Bereitschaft des Gebens und Emp-

fangens werden die Schranken niederlegen, die ein jahrhundertealtes Kolonialsystem aufgerichtet hat.

Eine nicht geringe Gefahr für den afroasiatischen Studenten bildet die starke Neigung, sich auf mehr oder weniger rezeptive Weise ein möglichst großes Fachwissen anzueignen, was von Seiten unseres Hochschulbetriebes eher noch begünstigt wird. Eine bloße Fachausbildung genügt jedoch nicht für diese Studenten, die in wenigen Jahren mitbestimmend werden für die Zukunft der Welt.

Die Spezialausbildung dieser Studenten muß vielmehr in einer Allgemeinbildung verankert werden, die den großen Problemen der Menschheit gewachsen ist. Gerade heute, da sich die Entwicklungsländer in den gleichen Mythos der Technik stürzen wollen, durch den Europa eine Kette von internationalen Krisen heraufbeschworen hat, sollte dem Ueberseestudenten die Möglichkeit zu einer ruhigen und sachlichen Auseinandersetzung zwischen seiner Verwurzelung in alter Tradition und seinem radikalen Fortschrittsglauben geboten werden. Anderseits ist es vielleicht die größte Tragik der westlichen Hochschulen, daß sie der Elite Asiens und Afrikas wohl unsere wissenschaftlichen Errungenschaften vermitteln, ohne sie mit den besten Werten des Abendlandes bekannt zu machen: mit der christlichen Kultur in allen Formen, mit dem abendländischen Denken und Empfinden. Wohl jeder Ueberseestudent lernt den Marxismus in seiner Idealform kennen, die wenigsten erfahren jedoch etwas von der christlichen Soziallehre.

Wenn man Oesterreich eine besondere Bedeutung als Mittler zwischen Ost und West zu mißt, so dürfte es wohl ganz besonders im Sinne der Sendung Oesterreichs sein, unter seinen Auslandstudenten ganz bewußt alles zu tun, was den Geist der internationalen Solidarität fördert. Oesterreich kann den Entwicklungsländern keine großen Wirtschaftshilfen zukommen lassen, um so mehr aber sollte Oesterreich als kulturelle Macht den wirtschaftlichen Aufbau der afro-asiatischen Länder geistig mitbeeinflussen können. Dieser geistige Einfluß müßte auf der Grundlage des christlichen Naturrechts aufbauen. In einer Atmosphäre des Solidarismus könnten die Voraussetzungen geschaffen werden, die Hindernisse einer internationalen Zusammenarbeit sowohl auf Seiten des Westens wie auf Seiten der Entwicklungsländer allmählich abzubauen. Die Erkenntnis müßte sich auch allmählich in der Oeffentlich- keit Bahn brechen, daß das Wohl der afroasiatischen Völker zum mindesten mittelbar im Interesse des Westens liegt. Besonderen Takt erfordert bei den afro-asiatischen Studenten die Behandlung von politisch-ideologischen Fragen. Unsere Berichterstattung über den Osten ist oft sehr einseitig, so daß sie auf einen Großteil dieser Studenten ähnlich wie auf uns eine einseitige Parteipublizistik wirkt. Neben dem Bemühen, den Auslandstudenten als gleichberechtigten Menschen zu behandeln, müßte ihm vor allem auch Gelegenheit zu einer möglichst objektiven Auseinandersetzung mit den verschiedenen Sozial- und Wirtschaftssystemen geboten werden. In diesem Sinne sollten unsere Hochschulen unseren afro-asiatischen Studenten soweit entgegenkommen, daß sie die Möglichkeit haben, neben dem pflichtgemäßen Fachstudium auch noch zu einem allgemeinen Studium zu kommen.

Anderseits aber müßte auch unsere westliche Studentenschaft die volle Bereitschaft aufbringen, das kulturelle Gut ihrer afro-asiatischen Kollegen in sich aufzunehmen und zu verarbeiten. Kerngruppen aus verantwortungsbewußten In- und Auslandstudenten müßten gebildet werden, die dann durch wechselseitige Einflußnahme der Idee der Solidarität Geltung zu verschaffen suchen. So haben wir Aussicht, die Kluft zwischen Ost und West zu überbrücken.

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