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Heraus aus der Sackgasse!

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Auch ein geübter Autofahrer mag einmal ein Warnsignal nicht beachten. Was wird er tun, sobald er bemerkt hat, daß er in eine Sackgasse eingebogen ist? Trotzig gegen die Mauer fahren, um zu versuchen ob diese vielleicht doch nachgibt? So etwas wäre sowohl für den Wagen wie auch für die Gesundheit des Fahrers gewiß nicht zuträglich. Geduldig warten, Tag und Nacht, bis zu dem in ferner Zukunft im städtischen Assanierungsplan vorgesehenen Mauerdurchbruch? Man könnte leicht graue Haare und einen Bart, wie weiland Kaiser Barbarossa im Untersberg, bei diesem Versuch bekommen. Abgesehen davon, daß man von seiner Umgebung bald nicht mehr sehr ernst genommen würde. Also bleibt nur eines übrig: den Rückwärtsgang einschalten und ebenso vorsichtig wie möglichst geräuschlos aus der Sackgasse herausfahren, um auf anderen Wegen seinem Ziel näherzukommen.

Die österreichische Integrationspolitik ist zweifellos in eine Sackgasse geraten. Das behaupten heute nicht nur Sprecher der Opposition und vielleicht irgendwelche Malcon-tenten, sondern auch der Bundesregierung durchaus ergebene Kommentatoren. Und sie haben recht. Vor spätestens zwei Jahren schon konnte map als unbefangener Beobachter der politischen Szene sich des Eindrucks nicht erwehren, daß der 1962 guten Mutes begonnene und seit 1966 von der monocoloren Regierung forcierte „Alleingang“ nach Brüssel nicht zu einem guten Ende führen werde. Wer dies damals freilich aussprach, wurde von dem Chorus des offiziellen Optimismus sehr rasch tot-geschrieen, wenn nicht sogar irgendwelcher Ressentiments, ja sogar des mangelnden Patriotismus bezichtigt. Spätestens aber der Podgorny-Besuch vor bald einem Jahr hätte zur „Stunde der Wahrheit“ (vgl. „Die Furche“, Nr. 49/3. Dezember 1966) werden können. Damals gewann auch zum ersten Male ein Integrationsrealismus Boden und verantwortungsbewußte Politiker — allen voran der Bundeskanzler — stellten sich die Frage, ob sie gut beraten waren, wenn sie bisher allein den „Integrationsmaximalisten“ ihr Ohr geschenkt hatten. Doch diese gaben so bald nicht auf. Mit dem Hinweis auf Frankreich, auf die von der französischen Regierung in Moskau zu erwartende Hilfe bekamen sie bald wieder Oberwasser. Souverän wurde von ihnen dabei die sich damals schon anzeichnende Schwenkung der französischen Haltung gegenüber dem EWG-Assoziierungsansuchen Österreichs „übersehen“. Dann kam der Kanzlerbesuch in Moskau, nach ihm gab es wieder eine kurze „reali-

stische Phase“. Der Kanzler konnte sich freikämpfen, zu jenen ernsten Ansichten, die er unter anderm in dem viel beachteten „Spiegel“-Inter-view zum Ausdruck brachte. Diese Stimmung hielt einige Zeit an, dann gelang es wieder, den Kern des Problems durch rosaroten Integrations-nebel zu verdecken. Reisen nach Paris und Brüssel dienten ebenso diesem Zweck wie hochgemute Prognosen über einen unterschriftsfertigen Vertrag im Herbst.

Der Probe aufs Exempel konnte man sich im maximalistischen Lager entziehen. Denn nun meldete sich Rom mit seinem Veto gegen alle weiteren EWG-Verhandlungen Österreichs. Aber noch war ja de Gaulle da. Frankreich würde die Intentionen der österreichischen EWG-Maximalisten schon mannhaft vertreten, die Bedenken in Moskau ebenso beseitigen wie vorher das Veto Roms aus dem Weg räumen.

Und dann kam Ministerpräsident Pompidou nach Österreich. Als er wegfuhr, war für alle, die Augen hatten zu sehen, diese Seifenblase endgültig geplatzt. Frankreich hat große Sympathien für Österreich, es denkt aber nicht daran, seine Ostpolitik durch Demarchen in Moskau in Sachen Österreichs EWG-Assoziierung selbst zu stören. Auch gab Paris ziemlich unverhüllt sein Interesse an einer ruhigen Entwicklung in Mitteleuropa zum Ausdurck. Zu all den schon bekannt gewordenen Argumenten trat noch ein neues. Das komplizierte Gebilde der EWG wäre im gegenwärtigen Zeitpunkt für Assoziierungsvorbehaite, wie sie Österreich aussprach, aussprechen mußte, nicht gerade disponiert.

Ziehen wir die Bilanz. Vor einem Jahr lastete nur Moskaus Schatten auf dem Alleingang nach Brüssel. Inzwischen schob Italien einen Riegel vor und Frankreich stellte klar, daß von ihm weder da noch dort energische Schritte zu erwarten sind. Das müßte eigentlich genügen, um — bleiben wir bei unserem eingangs deutlich skizzierten Bild — endlich den Rückwärtsgang einzuschalten, um aus der Sackgasse sich heraus-zumanövrieren. Doch ach, es fällt anscheinend so schwer, eine Fehleinschätzung zu revidieren.

Schon erheben sich wieder Stimmen, denen der bisher gebotene „Anschauungsunterricht“ anscheinend nicht genügt. „Weitermachen!“ ist ihr Kommando, wenn es auch zum Treten auf der Stelle führt. Je ungünstiger die Verhältnisse werden, desto verbissener halten sie an ihren Maximen fest: Diese Mentalität gleicht fatal den Parolen des Dritten Reiches im Jahre 1944: „Wir werden siegen, weil wir siegen müssen.“ Das Ergebnis ist bekannt.

Ein Abschied von den Leitlinien der bisherigen EWG-Politik bedeutet keineswegs einen ewigen Verzicht auf Teilnahme an der Integration, an ihrer Dynamik, an „Europa“ — oder, wie die schönen, die Tatsachen eher vernebelnden als klärenden Worte alle heißen. Ebenso wie Pod-gorny hat auch Pompidou das Wort „Handelsvertrag mit Brüssel“ fallen gelassen'. Auf welchen Wegen man aus einem solchen möglichst viel für die österreichische Wirtschaft herausholt: das soll unsere Experten beschäftigen. Auch mag vieles in den nächsten Jahren in Brüssel und anderswo in Fluß kommen. Je früher man jedoch der österreichischen Wirtschaft sagt, es wird noch viele Jahre dauern bis zu jenem großen Gemeinsamen Markt, um so besser.

Man kann diese aufs erste vielleicht schockierenden Wahrheiten ruhig mit der Feststellung begleiten: Trotzdem braucht ihr nicht die Köpfe hängen lassen! Wartet nur nicht auf irgendwelche Vorschriften einer „Höhen Behörde“, sondern macht selbst ernst mit der Lösung der Strukturprobleme der österreichischen Wirtschaft.

Lange blickten viele EWG-Maxi-malisten gebannt auf das Frankreich de Gaulles. Nur eines übersahen sie geflissentlich. Sein Beispiel für den österreichischen Hausgebrauch zu übernehmen. Mit anderen Worten, fest sich in der eigenen Existenz verwurzeln und aus ihr Kraft zu schöpfen. Nichts gegen die Wahrung österreichischer Interessen in Brüssel, alles aber gegen eine ebenso unwürdige wie unnötige „Bittstellermentalität“, in der die unseligsten Vorstellungen der Ersten Republik von der mangelnden eigenen Lebensfähigkeit unbewußt oder bewußt eine Neuauflage erfuhren. Dieses Schauspiel, das zu einem Trauerspiel werden kann, darf auf keinen Fall prolongiert werden.

Es hilft alles nichts. Mag man da noch zögern, dort widerstreben. Allzu lange hat das offizielle Wien unter dem Druck der einer maximalistischen EWG-Politik verschriebenen politischen und. journalistischen Pressure-Group versäumt, die Grundströme der europäischen Politik zu analysieren Warnende Stim-

men — und gehörten sie auch dem nach der Verfassung verantwortlichen Leiter unserer Außenpolitik — galten als die von Störenfrieden. Man lief lieber Gefahr, optisch Südtirol zu „verkaufen“, nur um das italienische Veto zu beseitigen, wobei wir die letzten sind, die gegen einen ehrlichen Ausgleich mit unserem südlichen Nachbarstaat das Wort führen. Aber umgekehrt ist auch gefahren. Nur ein Realismus in der Integrationsfrage entschärft Roms Veto. Wenn Fanfani merkt, daß hinter seinem Würgegriff kein Hals mehr ist, den er zudrücken kann, wird er die Freude an diesem Spiel bald verlieren. So hängt eine gute Südtirolpolitik wohl mit einer realistischen Integrationspolitik zusammen. Aber nicht so, wie man es bisher vielleicht vermeinte.

Es ist spät geworden. Aber nicht zu spät. Nun ist es aber allerhöchste Zeit auf die Straße des Realismus zurückzukehren, soll nicht die österreichische Politik in die bizarre Rolle jenes „standhaften Autofahrers“ verfallen, der die störende Wand nie-derwalzen will oder hinter Spinnweben auf ihr Fallen am Tage X wartet.

Wer anderer als der österreichische Bundeskanzler, der erst unlängst an anderer Stelle wieder den Mut zu sachlichen Lösungen das Wort redete, wäre berufener, den entscheidenden Schritt zu tun? Der Troß wird ihm folgen!

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