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Herausforderung an die katholische Welt

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GOTTES ERSTE LIEBE. Von Friedrich Heer. Berhtle-Verlar, 1987. 141 Selten. dm 48.-

Wenin man nicht die schon iim Vorwort von ungeheuerlichen Schlampereien und Fenlzitatem wimmelnden Erzeugnisse ordentlicher Universitätsprofessoren kennte, so würde man zunächst Friedrich Heer, diesem außerordentlichen Professor, dessen Meiner Finger dicker ist als die Lenden der meisten ordentlichen Professoren, eine ordentliche Professur wünschen oder ein Institut, in dem er genug Mitarbeiter hätte, die die zahlreichen Ungenauigkeiten und Versehen für ihn korrigierten. Dieses Buch enthält viele solche Flüchtigkeitsfehler, der „Redeimptorist Pater Wilhelm Schmidt, SVD“, oder dieselbe Persönlichkeit, der Beichtvater Ludwigs des Frommen, wird einmal als Diakon und einmal als Bischof bezeichnet; Karl Kraus wird ein dreißigjähriger Kampf zur Verhütung des ersten Weltkriegs attestiert und dies positive Zeugnis auf Ernst Lothar zurückgeführt, der in Wirklichkeit die Schuld des Kraus am Nationalsozialismus beweisen möchte. Wie viele solche Fehlbeurteilungen vorliegen, kann nicht von einem Rezensenten, sondern nur von einer Armee solcher festgestellt werden, da sich kein einzelner die Kompetenz zur Beurteilung so vieler Personen und Fragen anmaßen kann. Einer großen Skepsis offizielle kirchliche Lehren betreffend steht eine oft blinde Gläubigkeit gegenüber, die einzelnen Gewährsmännern entgegengebracht wird. So ist die Person Hilaire Belioos und sein Buch über die Juden, das aus Liebe geschrieben wurde, in das Schema jener antisemitischen Bücher eingereiht, die wie Bellocs Buch mit der Behauptung beginnen. „Ich habe viele gute jüdische Freunde“. Überhaupt scheint der schottische Gewährsmann Friedrich Heers, Malcolm Hay, den nachweislichen Pro-faschi'smus katholischer Zeitschriften seit dem Lateranvertrag und deren proarabische Haltung in der Frage des Staates Israel zu simplifizierend als Antisemitismus auszugeben. Die liebenswürdige Erscheinung G. K. Chestertons muß einem oberflächlichen Leser ebenfalls im falschen antisemitischen Licht erscheinen. Das steht freilich in keinem Verhältnis zu der Einseitigkeit, mit der fast nur die Schattenseiten großer Kirchenväter wie Cyrills von Alexandrien, Hieronymus' und des hl. Bernhard dargestellt werden. Ähnlich besteht ein Mißverhältnis zwischen der radikalen Ablehnung Pius XII. — der nicht „Heil Hitler“ gesagt hat — und der milden freundlichen Einstellung zu Kardinal Innitzer. Dies erklärt sich allerdings aus dem allgemeinen Affekt des Autors gegen jede Vaterfigur, sie heiße denn Marx oder Freud. Überhaupt wird 'die Psychoanalyse ein Arbeits-Instrument für die Beurteilung einzelner sowie für die von kollektiven Gruppen mit allen Gefahren, aber auch Reizen, die eine assoziativ gehaltene Geschichtsschreibung mit sich bringt. Heer schreibt alles, was ihm zu etwas einfällt Gewisse Mitteilungen nebensächlicher Art kehren fünf bis zehnmal im Lauf des Buchs wieder. Z. R wird mindestens fünfmal erwähnt, daß der Großvater Hugo von Hofmann&thal der Synagogen-vorsteher des Seitenstättner Tempels war. Heers Sprache ist wie in anderen seiner Bücher voll von eigenen Bildungen: „klerisch“, wo klerikal mißverstanden werden könnte, „je-swanisch“, wenn von den eigentlichen Worten und Handlungen Jesu die Rede ist. Es spricht fast kein zitierter Autor etwas aus, er spricht es an, wie im üblichen Sprachgebrauch doch nur ein Jüngling ein Mädchen,

wenn er es nicht „ansagt“. Jeder „weiß sich“ als irgend etwas, das Wort „erlaucht“ wird fast immer ohne, einmal mit Anführungszeichen für gräßliche Äußerungen oder Auffassungen großer Männer verwendet. Manchmal werden, wie im Falle eines österreichischen Bischofs, Titel, wie Exzellenz und DDr., gegeben und seine Fortschrittlichkeit betont, nur um einen Schlag zu mildern. Wenn schon „Deutschland erwache!“ wie „Juda verrecke!“ im Analphaibeten-stil des Dritten Reiches ohne Komma gebraucht wurden, so darf doch wohl nicht „England erwache!“, „Frankreich erwache!“ usw. ohne Komma stehen„ denn zur These des Buchs gehört zweifellos, daß es sich nicht um einen frommen Wunsch, sondern um einen Imperativ gehandelt hat. (Vergleiche „Die Dritte Walpurgisnacht“ von Karl Kraus.)

Man könnte glauben, das Ziel des Buchs, eine direkte Verbindung zwischen dem chriistiichen Antisemitismus des Altertums, des Mittelalters und der Neuzeit und dem bestialischen Antisemitismus des Nationalsozialismus herzustellen, müsse mißglückt sein, und so viel Polemik gegen kanonisierte Heilige und Hagiogiraphie über Marx, Engels, Freud müsse die pathologische Übertreibung eines Vogels sein, der sein eigenes Nest beschmutzt. Karl Kraus hat bewiesen, daß solche Vögel die einzig anständigen sind und es die größere Schweinerei ist, wenn der Vogel das fremde Nest beschmutzt. Was auch immer an Ungenauigkeiten, perspektivischen Fehlern (der Pornograph und Schmock Felix Saiten wird z. B. in einer Reihe mit „erlauchten“ jüdischen Schriftstellern wie Peter Altenfoerg und anderen genannt) gefunden werden mag: die These Friedrich Heers ist leider Gottes bewiesen. Eine lückenlose Kette von richtigen Zitaten katholischer und evangelischer sowie postkatholischer Antisemiten belegen die Kontinuität einer bestialischen Vereinfachung in der Anklage gegen die Juden. Und die genaue Darstellung der Verfolgung in Spanien, Frankreich, Deutschland, Rußland, England läßt keinen Zweifel und keine apologetische Entschuldigung übrig, es sei denn, wir betrachten in aller Nüchternheit die geistige Blindheit als die größere und wirksamere Hälfte der Erbsünde oder als das noch nicht ritualisierte aggressive Erbe der vormenschlichen' Ahnen des Menschen (Konrad Lorenz). Heer hat auch manchmal dort recht, wo er unrecht hat. Es läßt sich zweifellos nicht beweisen, daß der Arianismus, wenn er gesiegt hätte, den Antisemitismus verhindern hätte können. Es stimmt nicht, daß offiziell der Mono-physitisimus sich durchgesetzt hat, wenngleich ein gewisser Monophysi-tismius die Volksfrömirnigkeit seit Jahrhunderten charakterisiert. Das Ausweichen vor der Menschheit und der Menschlichkeit Jesu, und damit die Trennung von dem jüdischen Hinergrund; das „Überschweigen“ (ein anderer Lieblingsausdruck Heers) des Jüdischen im Christentum hat zweifellos den Antisemitismus erleichtert und gefördert. Das schändliche Buch gegen die Juden, das unter dem Pseudonym Pinay den Konizilsvatern des Zweiten Vatika-wutms und vielen Geistlichen beider Konfessionen sowie Ordensleuten in Deutschland und Österreich zugeschickt wurde, uim den Antisemitismus als kirchliche Tradition zu erweisen, braucht Heer nur mit umgekehrtem Vorzeichen zu zitieren, um seine These zu erhärten. Die assoziative Denk- und Sprechweise führt jedoch zu Verwischungen und Ver-

schwommenheiten, die das Argument schwächen. Der freilich in der Wahl der verurteilten Bücher groteske Index verhält sich zur Inquisition wie Papier zu Blut. Die Bezeichnung „Säuberungen“ unter Pius XII. im Konitext einer lebendigen und erschreckenden Darstellung aller Greuel des Nationalsozialismus und Stalinismus muß einen ungerechten, falschen Eindruck beim Leser erwecken, der dann aber doch erfährt, daß bloß einige Professoren versetzt wurden (Heer setzt das Wort „versetzt“ in Anführungszeichen, als würden sich dahinter weiß Gott was für sinistre Praktiken verstecken, erzählt aber dann sehr umständlich, wie eines der Opfer, Yves Con-gar OP., an das Jerusalemer Bibel-institut versetzt wurde, wo er ein von Heer kritisiertes Buch schrieb). Nur die Neuheit der demokratischen Freiheitsrechte in Zentraleuropa kann erklären, warum auch andere deutschsprachige katholische Schriftsteller (wie Hans Küng) mit solcher Vehemenz der Kirche das Recht streitig machen, geistliche Autoren zu hindern, im Namen der Kirche alles zu schreiben, was sie für richtig halten. Trotz dem Wort Heines, daß das Verbrennen von Büchern zum Verbrennen von Menschen führt, ist ein Sinn für Proportionen der Übel und auch die Wahl des kleineren Übels nicht immer ein Verrat am Geist und an der Wahrheit. Sie ist auch nicht, wie Heer behauptet, eine typisch katholische Lehre, sondern die normale Reaktion aller Menschen, die sehen, daß sie nicht gleichzeitig alle Übel bekämpfen können. Gerade Heer versteht vollständig und zeigt, wie fälsch es ist, milde Tyrannei und blutige Bestialität in das Klischee Faschismus zu pressen und etwa das Regime Sala-zars oder Dollfuß' mit dem gleichen Pathos zu bekämpfen wie den Nationalsozialismus. Auch wird die Argumentation der „Dritten Walpurgisnacht“ manche Korrektur von antifaschistischen Schablonen erleichtern, wenngleich, Friedrich Heer beweist es, Karl Kraus sich getäuscht hat, wenn er meinte, die Dinge des Geistes und der Moral den Faulhaber und Innitzer anvertrauen zu können. Die Hauptlehre des Buches, daß die Christen und NichtChristen im Juden Christus, ja Gott hassen, wird psychoanalytisch nahegebracht, sie kann nicht bewiesen werden. Aber sie ist für den Fühlenden einsichtig. Ebenso die Forderung, durch eine Selbstanalyse des Christentums auszuscheiden, was an nichteingestande-nem, latentem Haß im Christen wirkt und sich nicht nur gegen Juden, sondern gegen Ketzer, Sozialisten, Kommunisten, Neger im Sinne einer geistigen Blockbildung wendet. Dies geschieht, solange die menschliche Haupbwahrheit des Christentums und Judentums, die Liebe, zu einem Ornament erniedrigt wird oder zu einem weiblich-weibischen Hilfsdienst, der nur die materiellen Nöte schlecht und recht wahrnimmt, nicht aber 'das Unrecht, das erlitten und verübt wird. In diesem Sinne ist der Kritik des Autors an der Caritas zuzustimmen. Freilich täuscht er sich, wenn er meint, daß selbst diese reduzierte und von ihm kritisierte Caritas von der heutigen Kirche genug ernstgenommen wird.

Die falsche Jenseitigkeit eines Christentums, das wirklich Platonis-mus fürs Volk geworden ist, statt die Fortsetzung der geschichtlichen Religion Moses' und der Propheten, wird von Heer überzeugend dargestellt: Ein Conflteor, das nur gesprochen wird, um vergessen zu werden und im Alltag seiner Apologetik für die Schandtaten Platz zu machen, die

unsere Schuld, unsere Schuld unsere übergroße Sdiuld sind, verdient den Tadel, den Heer ausspricht, oder wie er sagen würde, „anspricht“. Die erschütternden Dokumente von unschuldigen jüdischen Kindern und Erwachsenen liegen tatsächlich mehr in der Enitwickiungsünie der Psalmen und der Propheten als manche Christkönigsfrömmigkeit oder

Renaissancehytmne zu Ehren von Be-kenne'im der Kirche wie das schrecklich banale „Iste Confessor“. Eine vehemente Kritik, die man nur als Abreagieren von Angstikomplexen erklären kann, findet sich in manchen Anmerkungen des Buchs. Man darf nicht übersehen, daß auch der Autor eine Selbstanalyse betreibt, für die der Leser Verständnis aufbringen muß, uim nicht zu glauben,

daß Gehässigkeit Äußerungen Inspiriert, die eher spontane Angst- und Schreckensrufe sind. Vielleicht erklärt -auch die Höllenangst Heers sein Abtun des Höllengiaubens. Heer ist das mutigste Espenlaub, das in der deutschen Sprachflora zittert, wie Fritz Wotruiba es ausgedrückt hat. Die Aggressivität auf dem Untergrund der lirchtsamkeit, die Flucht in die Attacke erklären manchmal deren Maßlosigkeit. Trotz allem wird Augstein nicht rechitbehalten mit der Behauptung, daß keine Kirche sich 'gefallen lassen kann, was Heer in diesem Buch geschrieben hat. Sie mag an seiner Theologie mit Recht vieles bemängeln. Vor dem Zeugnis der christlichen Liebe zum Juden wird sie guttun, sich zu beugen.

Leopold Ungar

GROSSARTIGE GELASSENHEIT VND DRAMATISCHE DICHTE, HEITERE HARMONIE UND LEUCHTENDE LEBENSFREUDE zeichnen die Werke der Renaissance aus. Souveräne Haltung gegenüber der Antike, Konfrontation mit dem weltlichen Leben sowie Abkehr von der starren Jenseits-Hörigkeit und der engstirnigen Grausamkeit des Mittelaltert erfüllt die Renaissancekünstler wie Bramante, Donatello, Michelangelo, Palladio, Raffael u. a. m. Zu ihnen gehört aber auch Vignola, dessen Umwandlung der Ruinen einer unvollendeten Festung in Caprarola in die Villa Farnese zu den größten Meisterwerken der Renaissance zählt. Der Treppenaufgang in der Villa (unser Bild), ein Paradebeispiel der Perspektive, vereinigt mathematische Präzision mit dichterischer Phantasie. Neben den auf der klassischen Vergangenheit aufbauenden Werken der Renaissance, vereinigt der Bildband „Italien, Schönheit und Schätze“ von Olive Cook und Edwin Smith (256 Seiten, Verlag Droemer Knaur, S 429.20). Aufnahmen von Kunstwerken der antiken Welt, des christlichen Italien beziehungsweise byzantinischer, romanischer und gotischer Kunst sowie des barocken Gesichtes der Halbinsel. Nur ein Bruchteil italienischer Kunstschönheiten konnte berücksichtigt werden, jedoch ein höchst repräsentativer „Bruchteil“. Ein Band, der durch Text- und Bildmaterial (131 Photos) eindrucksvoll den Dualismus Italiens christlichen und weltlichen Kunstschaffens konfrontiert. Eines widerspruchsreichen Kunstschaffens, das letztlich doch stets das Gefühl von Harmonie lebendig werden läßt. Olinda Pawek

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