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Herausforderung und Friede

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Dem unaztnnwin aer evangelischen Kirchentage gebührt nicht nur durch seine bewegte Vorgeschichte, sondern vor allem durch seinen faktischen Verlauf zweifellos ein besonderer Rang gegenüber seinen Vorgängern. Zwar mangelte es keiner dieser Großveranstaltungen an besonderer Atmosphäre und Aktualität. Diese Kirchentage waren aus dem Kampf der bekennenden Kirche um die Reinheit des Evangeliums hervorgegangen und 1949 in Hannover unter dem Stichwort „Kirche in Bewegung“ konstituiert worden.

Reformerische Tendenzen ...

Bis zum Kirchentag in Berlin 1961 hatten die Kirchentage auch eine bedeutende nationale Funktion: sie vereinigten Christen aus beiden Teilen Deutschlands. Der faktische Wegfall dieses Moments seither brachte eine neue Note mit sich, die sich allerdings schon länger zu Wort gemeldet hatte: Die Aufmerksamkeit wird weniger der Proklamation der Geschlossenheit und Bedeutung der Kirche als solche zugewendet, sondern ihrer inneren Struktur, ihrer Arbeit in der Gesellschaft und vor allem ihrer Glaubwürdigkeit. Damit trug der Kirchentag dem Umstand Rechnung, daß einerseits die Entfremdung zwischen der Kirche in ihrer traditionellen Gestalt und dem geistigen Gegenwartsbewußtsein wieder stark in Erscheinung getreten war und anderseits in der Kirche selbst. sich gewisse Klerikalisierungserscheinun-gen zeigten, die im politisch-kulturellen Raum entsprechend von wieder erstarrten national-bürgerlichen Denkweisen begleitet wurden.

Es war nicht zu übersehen, daß diese Tendenzen auch die Gestalt der Kirchentage selbst zu vergiften drohten, und so kam es nach 1961 zu einer stillen Reform. Das Ergebnis war zunächst der erste tastende Versuch 1963 in Dortmund, während 1965 in Köln die reformerischen Schritte im Blick auf das Neue, das man wollte, schon etwas erkennbarer waren.

Dies hatte bedeutsame Wirkungen im Gesamtraum des deutschen Protestantismus: eine breite Schicht derer, die diese regelmäßigen Veranstaltungen vor allem unter dem Gesichtspunkt erlebt hatten, an diesen Kirchentagen würde der kirchliche und nationale Status quo aufrechterhalten und verteidigt, verlor ihr unmittelbares Interesse, da diese Tage nicht mehr das ganze Deutschland repräsentieren konnten und in der geistigen Auseinandersetzung ungewohnte Wege unter die Füße zu nehmen begannen. In bestimmten Kreisen wuchs sich das Des-änteressement zu einem venitablen Ärger aus, der desto größer zu werden schien, je weniger sich die Verärgerten um Intention und Geäst des neuen Kirchentagweges bemühten.

Gefahr für den Kirchentag

So haben maßgebliche Führer der „Kein - anderes - Evangelium“-Bewe-gung, die es verstanden hatten, im Frühjahr 1966 in Dortmund 23.000 Menschen zu einer Gegen-kundgebung gegen die moderne Theologie zu mobilisieren, zugegeben, daß sie selbst die beiden letzten Kirchentage nicht erlebt und die Bücher derjenigen Theologen, deren Kopf sie forderten beziehungsweise deren Nichtauftreten in Hannover sie durch Boykott erzwingen wollten, gar nicht gelesen hatten.

Die Linie der Kirchentagsleitung blieb in den spannungsvollen Monaten des letzten Jahres elastischund eindeutig, wobei sie maßgebliche Unterstützung durch einzelne Kirchenführer fand, vor alem die des Landesbischofs Dr. Hanns Lilje von Hannover, der als Gastgeber dieses Kirchentages ohnehin im Mittelpunkt der Dinge stand. Der

Kirchentag wollte und konnte sich nicht von bestimmten „pressure-groups“ unter Druck setzen lassen; sein Versuch, sich selbst und damit vielleicht auch den kirchlichen Protestantismus überhaupt wieder flott zu machen, um in die hohe See der Geschichte und des Reiches Gottes zu segeln, durfte weder durch die ewig Gestrigen noch durch gutgemeinte, aber ängstlich-einsichtslose Frömmigkeit gehindert werden.

Damit haben wir bereits angedeutet, vor welcher Aufgabe der Kirchentag von Hannover stand. Die Gefahr eines Debakels war nicht von der Hand zu weisen. Die zum Teil dann auch tatsächlich durchgeführte Boykottdrohung durch die weitverzweigte Gruppe der Bibelfrommen, also durch die nicht zu unterschätzende massive Organisation gläubiger Pietisten, die früher einen bedeutenden Anteil des zu den Kirchentagen strömenden Volkes bildeten, war allein schon ernsthaft genug. Da mit ihnen auch maßgebliche kirchliche Kreise, ja kirchenleitende Funktionäre sowie eine Reihe konservativer Theologen sympathisierten, was in Hannover etwa dadurch symbolisch zum Ausdruck kam, daß sich der Vorsitzende des Rates der evangelischen Kirchen in Deutschland, der lutherische Landesbischof von Bayern, nur zu einem Blitzbesuch zur Eröffnung des Kirchentages entschließen konnte, schien die Prognose nicht von der Hand zu weisen, in Hannover würde sich bloß ein kläglicher Rest, aber keine Repräsentanz des deutschen Protestantismus zusammenfinden.

Tradition und neues Weltbewußtsein

Das Debakel trat nicht ein, im Gegenteil, die ruhige und klare Entschlossenheit der Kirchentagsleitung, also vorab des Präsidenten Doktor Richard von Weizsäcker und des Generalsekretärs Dr. Hans-Hermann Walz sowie des Hannoverschen Landesbischofs Dr. Lilje, machte sich bezahlt. Ihr Mut gründete in der Tiefe einer kirchlichen Verantwortung, die sich, um das auf einen ganz einfachen Nenner zu bringen, aus einer besseren Theologie und aus einem tieferen Verständnis der biblischen Botschaft, als sie die Gegner aufzuweisen hatten, speiste. Wenn sie „Kirche“ dachten und „Wort Gottes“, dachten sie verantwortlich an und für das ganze Kirchenvalk und hörten auf das vollmächtige Wort des Evangeliums, während die fromm-bürgerlichen Kritiker des neues Weges sich ängstlich an die überlieferten Strukturen evangelischer Kirchlichkeit hielten und dadurch notwendig in eine Fülle von Kurzschlußhandlungen und verfälschende Beurteilungen gerieten, vermochte es der

Kirchentag selbst, sowohl die reformatorische Tradition aufzunehmen und weiterzugeben als diese auch in das Gespräch mit dem veränderten Selbst- und Weltbewußtsein der Generation von heute zu bringen.

Man muß es schonungslos sagen, daß die kritisierenden und mäkelnden Hyperkonservativen sich schon einfach dadurch blamierten, daß sie nicht denken, ja nicht einmal lesen wollten: Um dies an einem typischen Beispiel anzuzeigen, sei bemerkt, daß sie sich den Tübinger Professor für Neues Testament Ernst Käsemann als Zielscheibe ihrer Angriffe ausgesucht hatten, so daß an ihrer Forderung, er müsse von der Rednerliste in Hannover gestrichen werden, die Verhandlungen mit der Kirchentagsleitung zerbrachen. Sie, die in der theologischen Schule von Rudolf Bultmann die Hauptquelle der von ihnen bekämpften modernen Theologie sahen, wußten ganz einfach nicht, was ihnen jeder Theologiestudent seit 15 Jahren sagen konnte, daß Käsemann seit zirka 15 Jahren einen ganz neuen Weg eingeschlagen hatte, der ihn von seinem Lehrer Bultmann trennte: die für sie peinliche, aber für die Kirche außerordentlich erfreuliche Quittung bekamen sie schon am ersten Tag von Hannover, als Käsemann, wie andere in ähnlicher Weise, einen ganzen Tag lang in der ständig überfüllten 7000-Mann-Halle am Messegelände seine Theologie in einer Art vertrat, die selbst den ihm Widersprechenden den Eindruck abnötigte,“ daß hier das ganze und ungekürzte Evangelium von Jesus Christus in Vollmacht zur Sprache kam. Mir ging an diesem Tage ungewollt das Bibelwort aus der Josefsgeschichte nicht aus dem Kopf: „Die Menschen gedachten es böse zu tun, aber Gott hat es gutgemacht.“

Mit Absicht habe ich die eigentlichen theologischen Hintergründe des Kirchentagsgeschehens von Hannover in den Vordergrund gestellt, denn der sogenannte neue Weg des Kirchentages ist nichts anderes als ein.Versuch, die Wahrheit des ungeteilten Evangeliums mit Hilfe der Verstehensweisen, DenkmodeMe und Sprachmittel einer veränderten menschlichen Gesellschaft zur Geltung zu bringen.

Die Besucher der Bibelarbeiten, die sich in den riesigen Hallen nicht nur im geduldigen Hören übten, sondern in zahllosen schriftlichen Beiträgen die Diskussionen am Podium dazu zwangen, die tiefsten theologischen Probleme unter der Wahrheitsfrage nach dem lebendigen Christus hart, offen, aber auch in letzter großer Einmütigkeit zu diskutieren, waren nicht die einzigen, die das Kirchentagsgeschehen so erfreulich gestalteten.

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