Heute Kosovo, damals Albanien

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Der heutige Konflikt und seine erschreckenden Parallelen in den Balkankriegen vor 86 Jahren.

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Der heutige Konflikt und seine erschreckenden Parallelen in den Balkankriegen vor 86 Jahren.

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Britische Truppen in Pristina, deutsche in Prizren mit ihnen unterstellten österreichischen und niederländischen Einheiten; Massaker zwischen Serben und Albanern, Differenzen zwischen Rußland und den westlichen Mächten, schier vergebliche Bemühungen der fremden Besatzer, aus dem Chaos wieder friedliche Strukturen aufzubauen - alles schon dagewesen? Auch die Bedenken der Militärs, sich durch ein Engagement in den "Schluchten des Balkan" zu übernehmen, in weiterreichende Konflikte verstrickt zu werden - auch sie gab es einst wie jetzt: vor 86 Jahren, rund 200 Straßenkilometer weiter westlich bei der Entstehung eines unabhängigen Albaniens.

Der gegenwärtige Konflikt um das Kosovo begann 1989 mit den Aktionen Slobodan Milosevic'', das mythenumwitterte Amselfeld den Serben allein zu sichern, die Shqipetaren, die Mehrheit der Bevölkerung, daraus zu vertreiben.

Der Konflikt um Albanien begann schon vor Beginn des Jahrhunderts: Damals näherte sich die Macht des Sultan in Konstantinopel ihrem Ende. Auf die Aufteilung der europäischen Gebiete des Osmanischen Reichs lauerten Serben, Montenegriner, Griechen und Bulgaren, einig nur in der Gegnerschaft gegen die Türken. Die Albaner fürchteten, zwischen den Nachbarn zerrieben zu werden. Schon 1878 versuchte die "Liga von Prizren" die albanischen Forderungen zu vertreten.

Heute stehen die europäischen Staaten nach dem Zerfall Jugoslawiens vor der Notwendigkeit, die von den Serben attackierten Völker - Bosnier, Kosovo-Albaner - zu schützen.

Handfeste Interessen Damals hatten die Großmächte sehr handfeste eigene Interessen an der Balkanregion: Hinter den Serben , die den Zugang zur Adria anstrebten, standen schon damals die Russen als orthodoxe Schutzmacht - also durfte Serbien nicht zu stark werden, um nicht Rußland zu viel Einfluß in der Region gewinnen zu lassen - das hätte Österreich-Ungarns Interessen widersprochen. Nur 40 Kilometer westlich von Valona /Vlone ragte Italiens östlichster Zipfel in die Straße von Otranto. Für die Italiener galt die Adria als "mare nostro" - am gegenüberliegenden Ufer sollte daher Österreich-Ungarn nicht zu stark werden.

Milosevic'' Schikanen gegen die Kosovo-Albaner zwangen die Menschen, ihre zerstörten Dörfer zu verlassen und in den Wäldern, und im benachbarten Albanien oder Mazedonien Schutz zu suchen.

Damals, 1910, sollten türkische Strafexpeditionen Unruhen in Mazedonien und Albanien, von Serbien und Montenegro geschürt, niederwerfen. Sie verursachten Flüchtlingsströme nach Montenegro, Griechenland und Italien. Eine neue Revolte, 1912, löste den ersten Balkankrieg aus - montenegrinische und serbische Truppen belagerten Skutari/Shkodra. Die Griechen griffen von Thessalien auf den Epirus und Makedonien, die Bulgaren stießen nach Süden zur Ägäis, die Serben nach Westen in Richtung Durazzo/Durres vor.

"Dabei kam es auch zu erbitterten Auseinandersetzungen zwischen Angehörigen verschiedener Volksgruppen: Die amerikanische Carnegie-Stiftung publizierte 1914 eine erschütternde Dokumentation über Menschenrechtsverletzungen und Greueltaten, die den Schrecken der Jugoslawischen Erbfolgekriege ab 1991 nicht nachstehen," berichtet Erwin A. Schmidl vom Militärwissenschaftlichen Büro des Verteidigungsministeriums in der Österreichischen Militärischen Zeitschrift (4/1997).

Als sich Milosevic' nach dem Ende des Bosnienkriegs dem Kosovo zuwandte, drohten die USA und die EU durch Monate, bis endlich 1998 in Rambouillet die Streitparteien zur Beilegung des Konfliktes versammelt werden konnten.

Damals, 1913, trafen die siegreichen Balkanvölker mit den geschlagenen Osmanen in London zusammen und kamen relativ rasch am 30. Mai zum Friedensschluß. Damit war die Beute aber noch nicht verteilt - und hier sahen sich die Großmächte veranlaßt, ihre Interessen zu wahren. Während in Mazedonien Serben und Bulgaren zusammenstießen und im albanischen Bereich Griechen, albanische Clans, Serben und Montenegriner gegeneinander Krieg führten, trafen in London - parallel zu den Friedensverhandlungen - die Botschafter des Deutschen Reichs, Frankreichs, Italiens, Österreich-Ungarns und Rußlands zusammen, "so wenig formell, als handle es sich um eine Zusammenkunft von Freunden, die wir ja auch tatsächlich waren," erinnerte sich später der Ehrenvorsitzende der Konferenz, der englische Außenminister Sir Edward Grey (Zitat Schmidl). (Da alle Beteiligten einwandfrei Englisch und Französisch sprachen, brauchte man auch keine Dolmetscher).

77 Tage Bombardierung Als auf Milosevic' weder die Drohungen des Westens, noch die Verträge von Rambouillet Eindruck machten, mußten NATO-Bomber 77 Tage lang Ziele in Serbien und im Kosovo in Schutt und Asche legen.

Damals, 1913, genügten acht Kriegsschiffe der Mächte, darunter drei österreichische, um die montenegrinischen Häfen zu blockieren und zu erreichen, daß König Nikita schließlich die Belagerung von Skutari aufgab.

Nach dem Ende der Bombardements sollten nun 50.000 Mann NATO-Truppen unter dem Kommando des britischen Generals Michael Jackson dafür sorgen, daß nach dem Abzug der serbischen Einheiten die Flüchtlinge wieder heimkehren können und im Kosovo Frieden eintritt. Damals, 1913, übernahmen Marinetruppen "im Namen der Großmächte" die Verwaltung der Stadt Skutari von den Montenegrinern. Sie wurden im August von Infanterieeinheiten abgelöst - 1.800 Mann unter dem Kommando des britischen Colonel George Fraser Phillipps. Davon stellte Österreich-Ungarn mit 581 Mann das größte Kontingent. Deutschland begnügte sich mit 112 Mann. Rußland beteiligte sich weder an der Flottendemonstration, noch am internationalen Truppenverband, um seine Position als Schutzmacht der Serben nicht zu gefährden. (Auch heute treten die Russen im Kosovo-Konflikt als Freunde der Serben auf.)

Damit enden zunächst die Parallelen zwischen damals und heute. Unmittelbar nach dem Londoner Frieden fielen die Sieger übereinander her - Serben, Griechen und Bulgaren konnten sich nicht über Mazedonien einigen. Der Zweite Balkankrieg ließ jedoch den Kriegsparteien keine Kraft, sich auch noch um Albanien zu kümmern.

Vergeblicher Friede Hier saß die internationale Friedenstruppe in Skutari/Shkodra, deren französischer Kommandant als Gouverneur je einen britischen, italienischen und österreichischen Offizier neben sich hatte. Internationale Offiziere organisierten oder überwachten das Sanitätswesen, die Polizei, die Justiz, die Hafenverwaltung; sie ließen Straßen bauen, den von den abziehenden Montenegrinern niedergebrannten Bazar wieder errichten und den Unterlauf des Drinflusses ausbaggern. "Durch ihre Präsenz ermöglichte die internationale Truppe eine Normalisierung des Lebens" (Schmidl) - Aufgaben, die wohl nun den Kfor-Truppen im Kosovo auch zufallen werden.

In Valona/Vlone hatte sich schon im November 1912 eine provisorische Nationalversammlung gebildet und die Unabhängigkeit Albaniens ausgerufen. Ihre Macht reichte aber nicht weit ins Hinterland. In Mittelalbanien etablierte Essad Pascha, einst als türkischer General Verteidiger der Festung Shkodra gegen die Montenegriner, eine eigene Herrschaft. Und im Süden war der griechisch sprechenden Bevölkerung statt des Anschlusses an das griechische Mutterland wenigstens Autonomie zugesichert worden.

Im Frieden von Bukarest, der den zweiten Balkankrieg abschloß, war Albanien die Unabhängigkeit zuerkannt worden - aber um seine Grenzen sollte sich erst eine "Delimitierungskommission" kümmern. Diese war bis in den Spätherbst 1913, dann wieder ab Frühjahr 1914 unterwegs - der Ausbruch des Weltkriegs brach ihre Arbeiten ab, ebenso wie die Aktivitäten des Fürsten Wilhelm zu Wied, der von den Großmächten zum König von Albanien bestimmt worden war. Er bemühte sich vom März bis zum September 1914 weidlich, Frieden und Ordnung in "seinem" Land zu schaffen, mußte aber aufgeben, als die Großmächte andere Sorgen hatten, als für die Sanierung Albaniens zu zahlen. Albanien aber blieb bis 1923, ja bis 1945 Spielball der Mächte wie der internen Streitparteien.

Das Kosovo und Nord-Mazedonien übrigens, wo damals 40 Prozent der albanischen Bevölkerung lebten, wurde von der Grenzkommission Serbien zugesprochen. Als k.u.k. Truppen 1916 Nordalbanien besetzten, plante das Wiener Außenministerium die Schaffung eines "Großalbanien" einschließlich des Kosovo, kam dabei aber mit Bulgarien in Konflikt. Später, 1941, nach der Auflösung Jugoslawiens im Zweiten Weltkrieg, wurde das Kosovo erneut dem - damals italienisch besetzten - Albanien angegliedert, solange, bis der Sieg der Tito-Partisanen die alten Grenzen auf dem Balkan wieder herstellte. Werden diese Grenzen in naher Zukunft nicht erneut in Diskussion stehen?

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