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Hic Rhodos …

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Die weiße Fahne über Palästina — das bedeutet dem Heiligen Lande vorläufig Frist zur Erholung, Ruhe und zur Lösung des Konflikts. Ein Heer von USA-, französischen und belgischen Offizieren überwacht als Gehilfe des Grafen Bernadotte die Einhaltung der Waffenstillstandsbedingungen — keine leichte Aufgabe bei dem wirren Ubergreifen der Feldlinien inmitten abgebrochener Kampfhandlungen — und sichern als „Linienrichter” das vorläufige Abpfeifen des traurigen Matches, während beide Teile sich ihre Schäden besehen, die eine unheilvolle Politik über das Gelobte Land gebracht hat. Daß eine Granate in die Kuppel der Grabeskirche einschlug und nur durch einen Pfeiler von der Zerschmetterung des Heiligen Grabes selbst abgelenkt wurde, stellt wohl den Höhepunkt des Grauens dar, das während dieser Wochen sich über Palästina niedergesenkt hatte. Der einhellige Entrüstungsschrei, den alle christlichen Religionsgemeinschaften des Heiligen Landes — von den Katholiken und Orthodoxen bis zu den Kopten — über diese Schändung dieses Heiligtums der gesamten Christenheit an das Weltgewissen richteten, verhallte fast un- gehört im Kampfeslärm und — in den Hallen von Lake Success. Prophetisch hatte der Heilige Vater schon in der Ansprache zu seinem Namenstage am 2. Juni ausgerufen: „Wie könnte die christliche Welt gleichgültig oder in unfruchtbarer Entrüstung zuschauen, wie das Heilige Land, dem sich jeder in tiefster Ehrfurcht nähert, von Kriegstruppen zerstampft und von Luftangriffen getroffen wird? Wie könnte sie die Verwüstung der heiligen Stätten sich vollziehen lassen, wie das Heilige Grab Christi verschütten lassen? Gebe Gott, daß die Gefahr so grauenvollen Unheils endgültig beschworen sein möge!”

Die weiße Fahne über Palästina bedeutet zweifellos nach Indonesien einen zweiten großen Erfolg der UN, wenn sie auch — wie die Verhandlungen von Samarang — vorerst nur eine bedingte Freude bietet. Denn nicht nur, daß die Radikalen, wie Irgum Zwai Leumi und die Sternleute, gegen die Zustimmung der provisorischen Regierung Israels zur Waffenruhe protestierten, nicht nur, daß die Beduinenhorden, die sich den arabischen Heeren angeschlossen haben, in ihren Plünderungsinstinkten und in ihrer barbarischen Vitalität — um ein Wort Santayanas anzuwenden — schwer im Zaume zu halten sind: auch im Grundsätzlichen muß erst eine Annäherung zwischen Juden und Arabern erreicht werden. Der Außenminister Israels, Dr. Schertok, hat noch im April im Sicherheitsrat erklärt: „Die Juden vertreten ihr international anerkanntes Recht der Einwanderung und Ansiedlung in allen Teilen Palästinas westlich des Jordans, so daß nach Bildung einer jüdischen Mehrheit dieses i h r Territorium ein Judenstaat werden sollte.” Inzwischen haben sie sich damit abgefunden, auf einem Achtel des damals auf Grund der Balfour-Deklaration von ihnen erhofften verheißenen Landes ihren Staat zu gründeh, dessen Existenz aber immer noch von den Arabern als Landraub und als Gefährdung ihrer inneren und äußeren Sicherheit als unerträglich bezeichnet wird. „Wir werden so lange nicht schlafen, als nicht Palästina als unabhängiger arabischer Staat gerettet ist”, rief der Ministerpräsident des Libanon, also eines der friedlichsten Länder der Welt, aus, und die anderen arabischen Staatsmänner sind noch weit radikaler in ihren Pronunziamentos. Zu viele Melodien sind in der Kakophonie Palästinas zu hören, und die Großmächte brauchen nicht darauf stolz zu sein, daß sie den UN-Diplomaten und dem Orchesterdirigenten von Rhodos, Graf Bernadotte, das Leben nach Möglichkeit erschwert haben. Der Menschheit ganzer Jammer faßte uns an, als der britische Delegierte im Sicherheitsräte, Cadogan, offen aussprach, daß, solange das Mißtrauen zwischen den Großmächten bestehe, eine Intervention der UN zum Schutze ihrer Mitglieder und in Durchführung der Charta unmöglich sei. Ein amerikanisches Blatt schrieb hiezu: „Die schwachen und unentwickelten Völker haben nun erfahren, daß militärische Macht und vollzogene Tatsachen allein es sind, die bei den Großmächten zählen.” Und eigentlich hat König Abdullah einem Österreicher aus dem Herzen gesprochen, als er den Fragebogen der UN mit dem Bemerken unbeantwortet zurückschidkte, die UN habe die Aufnahme Transjordaniens abgelehnt und die Note sei von Mächten unterzeichnet, die gegen sein Land aufgetreten seien. Wie viele solcher Ressentiments spielen in der Palästinakrise mit!

Man hat den Palästinakrieg einen „Stellvertreter krieg” genannt und die Rückwirkung desselben auch auf den europäischen Aufbauplan und auf die westdeutsche Konsolidierung erkannt. Durch Beitritt zur UN-Resolution und Einstellung der Waffenlieferungen an die Araber — „weil die Verpflichtungen gegenüber der UN vertraglichen Bindungen vorangehen” — hat England eingelenkt. Durch kühlere Betrachtung der USA-Interessen im Nahen Osten und durch Belassung des Embargos und das Dementi der Anleihe an Dr. Weiz- mann, die für Waffenlieferungen an Israel bestimmt war, haben die USA trotz Präsidentschaftskampagne ihr primäres Interesse am Bestände der UN bekundet.

Es ist kein Zufall, daß daraufhin beide Streitteile in Palästina sich plötzlich zugänglicher erwiesen. Eine wirklich neutrale Haltung der Mächte würde auch den Palästinahorizont lichten und würde beiden Teilen die reale Wirklichkeit vor Augen stellen.

Reale Überlegung ist es wohl auch, die dieser Tage einen Sprecher von Tel Aviv andeuten ließ, daß der Judenstaat bereit wäre, in eine Föderation mit den arabischen Staaten einzutreten. Er sprach von den arabischen Staaten und nicht nur von Palästina oder Transjordanien, dessen König den Juden täglich die Autonomie anbietet. Dieser Versuchsballon ist imstande, neue Möglichkeiten und zage Hoffnungen zu erwecken. Ein Scherzwort besagt, daß ein kluger Freund einem Heiratslustigen riet, bevor er freie, sich vorzustellen, wie die Braut in zwanzig Jahren aušsehen werde. Wie wird aber der Judenstaat die nächsten zehn Jahre überstehen? Gewiß, die großzügige finanzielle Unterstützung der amerikanischen Juden hat die Zionisten zu einem Aufbauwerk im verödeten Palästina befähigt, das seinesgleichen sucht, aber sie haben auch gesehen, wie schnell ein Krieg Millionenwerte vernichten kann. Wohl wirkt diese Hilfe aus Amerika, von dem Solidaritätsbewußtsein der Juden getragen, auch heute noch weiter. Aber ei kommt auch in Betracht, daß die Zionisten, die bisher gegen jede Einschränkung der jüdischen Einwanderung mit Rücksicht auf die wirtschaftlichen Gegebenheiten protestiert haben, nun vor der großen Aufgabe stehen, dem ungeheuren Zustrom von Hunderttausenden, die seit Jahren darauf warten, DP.s und Flüchtlinge aus dem Osten, politisch und wirtschaftlich in dem neuen Staate Raum zu schaffen. Dabei bleibt Israel völlig von erzfeindlichen arabischen Staaten umgeben, die seine Existenz nicht verwinden werden.

Staatsmännische Einsicht in diese Hintergründe der Zukunft hat schon immer Präsident Weizmann in die Richtung einer Verständigung mit den Arabern gedrängt, wenn auch politische Verhältnisse und der Radikalismus im eigenen Lager ihn immer wieder behindert haben. Hat nun der Ölzweig des Rektors der hebräischen Universität, Dr. Magnes, auf den jüngst an dieser Stelle verwiesen wurde, der Vorschlag eines Kompromisses, sei es durch eine Föderation oder durch Kantonisierung des Landes, Wurzel geschlagen? Wirklichkeitssinn hat auch die Arabische Liga nach langen und schweren Beratungen bewogen zu der Entsendung Delegierter, wenn auch nicht zu einer Round Table Conference mit den Juden, so doch nach Rhodos gehen zu wollen. Die Einigkeit innerhalb der Liga hat durch die Entwicklung der Kampfhandlungen in Palästina nicht gewonnen. Die Nordaraber machen den Ägyptern heftige Vorwürfe ob ihrer lauen Kriegführung, und die Einladung König Abdullahs nach Riad zum 25. Juni ist notwendig geworden, um die hochfliegenden Pläne Abdullahs auf Arabisch-Palästina und Großsyrien mit den Primatsansprüchen des Wahabitenfürsten in ein Verhältnis zu bringen. Ebenso weiß König Abdullah, daß Transjordanien auch nach einer Einverleibung Arabisch-Palästinas nicht lebensfähig wäre und nicht ohne fremde Hilfe bestehen könnte. Er weiß ferner, daß ein anderer alter Widersacher, der einstige Großmufti, Anim Husseini, dort noch viele Anhänger zählt. Tausendfältig sind die Sonderinteressen der arabischen Staaten, und ihre Bindungen an die verschiedenen Mächte wirken gegeneinander. Sie erschweren wohl einerseits eine Einigung der Araber zu einer Verständigung mit den Juden, erleichtern aber andererseits das Werk und die Verantwortung der Großen für eine friedliche Lösung.

Hinter einem Rauchvorhang von Propaganda entwickelte sich bisher das Verhältnis zwischen den Großmächten rapid bis zur Drohung einer zweiten Weltkatastrophe. „Die zweite Front des kalten Krieges” ist Palästina genannt worden. Die Konferenz von Rhodos muß eine Bresche in die bisherige Aussichtslosigkeit dieser Konflikte schlagen. Sie wäre nicht der erste Lichtschimmer, an dem sich in diesen Tagen schüchterne Hoffnungen auf gerichtet haben. Die Angebote Albaniens und Bulgariens an Griechenland, die Friedensoffensive des Generals Markos, die Aufnahme diplomatischer Gespräche zwischen Moskau und Ankara, die Zustimmung der Sowjets zur Abhaltung der Donaukonferenz und die Zulassung Österreichs hiezu, wenn auch nur als „Berater”, und schon die Gerüchte von einer Teilnahme der Sowjetzone Deutschlands an der Währungsreform verraten zumindest Bemühungen, die sich dem UN-Erfolge in Palästina zur Seite stellen können.

In zitternder Freude suchen vor allem die Kleinen, di -wehrlosen Opfer dieser sdhwer- terklirrenden Kämpfe der Götter, sudien vor allem die Frauen und Mütter der ganzen Welt, denen die entsetzlichen Grausamkeiten der Kämpfe in Palästina neuerlich das Grauen vor dem Kriege vorgestellt haben, nach jedem Hoffnungsansatz. Und Rhodos ist immerhin eine Hoffnung: die Großen können aus dem Stellvertreterkrieg einen Stellvertreterfrieden machen, auch anderwärts. Geschichte und menschliche Kultur rufen ihnen ins Bewußtsein, was sie zu verantworten haben. Ja, jetzt ist Rhodos, hier zeigt eure Kunst!

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