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Hie Amateur, hie Professional?

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Gegenwärtig bewegt einen nicht geringen Teil der Bevölkerung unseres Landes die bange Frage, wie lange unsere Spitzensportler noch als Amateure gelten und an Olympisdien Spielen teilnahmeberechtigt sein werden. Unter „Amateur“ versteht man bekanntlich einen Sportler, der in Ausübung seiner Leibesübung keinen materiellen Vorteil gewinnt; der Professional, kurz „Profi“ genannt, wird für seine Mitwirkung bei Wettkämpfen bezahlt — aber auch sonst weiß er geschickt bei Werbung für Mittel und Marken seine Leistung mit diesen Artikeln in Verbindung zu bringen. Wo liegt die Grenze zwischen beiden?

Die Uranfänge

Beim Urmenschen war der Erwerb fast ausschließlich von seiner körperlichen Komponente abhängig: Was man in der Jugendzeit spielerisch-heiter erlernte, wurde zur ernsten Tätigkeit im gereiften Alter. Dieser triebgesteuerte, der Not gehorchende und doch harmonische Verlauf erhielt nicht nur den Körper leistungsfähig, sondern auch gesund; es war für ihn ein zwar erbarmungsloses, aiber doch goldenes Zeitalter. Mit dem Seßhaftwerden schwand die Notwendigkeit weiter Streifzüge, mit der Anlage geschlossener Siedlungen begann die Naturentfremdung, mit dem Ausbau des Rechtsstaates erübrigte sich die Notwehr, mit dem Vorantreiben der Verkehrsmittel bis zum Auto „vor der Türe“ wurde selbst das Gehen überflüssig; Marksteine auf dem Wege des geistigen Fortschritts und des körperlichen Verfalls. Mit Wehmut begann der Kulturmensch sich allmählich des „verlorenen Paradieses“ zu erinnern, erkannte die Gefahren seiner künstlichen Lebensweise, schuf sich Reservate und fand Gefallen an staunenswerter körperlicher Fähigkeit anderer: es war die Geburtsstunde der Artisten, der circenses und der Profi; für Geld setzten diese selbst das Leben aufs Spiel.

Brot und Spiele, Erwerb und Hobby sind auch heute noch lebenswichtig: der Beruf, der Geld einträgt, womit man alles Nötige — manchmal auch Unnötige — erstehen kann, und jene Spiele, die der Gesundheit dienlich sind; hängt doch das Leben an dem Körper; er muß gesund sein, um das Leben erhalten zu können, hierzu aber sind heute die Leibesübungen unerläßlich. Wäre dem nicht so, könnte man heute ruhig den Körper verfallen lassen. So aber sind wir gezwungen, die mit dem Fortschritt zwangsläufig verbundenen nachteili gen Folgen für unseren Leib zu mildern.

Dabei können wir uns auf die Urquellen der Leibesertüchtigung, die Lust am Sich-Regen und -Bewegen und die Freude an der Leistungssteigerung — beides Triebe, die heute noch in jedem Kinde so lebendig sind wie am ersten Schöpfungstag — stützen. Sie durch geeignete Leibesübungen zu fördern und über das gereifte Alter hinaus zu erhalten, ist Sinn und Zweck allen körperlichen Strebens.

Wir Menschen besitzen wohl die gleiche Freude, nicht aber die gleiche Eignung für Leibesübungen. Darum bei Wettkämpfen — die Leistung und Steigerung ersichtlich werden lassen — eine Gliederung nach Geschlecht, Alter und Leistungsvermögen. So kommen alle auf ihre Rechnung, lernen das Bangen und Hoffen, den Kräfteeinsatz bis zum Äußersten und die Siegesfreude kennen. Die Besten des Landes aber sollen mit den Besten anderer Länder ihre Kräfte messen. Dabei gewesen zu sein, ist eine große Ehre, gesiegt zu haben aber das höchste Glück.

Die Olympischen Spiele liegen somit am Ende des aufwärts führenden Stammes aller im Interesse der Gesundheit erfolgenden körperlichen Ertüchtigung, sie sind somit das „Non plus ultra“ der berufstätigen oder in Berufsausbildung stehenden körperlich strebsamen Kulturmenschen: der Amateure.

Die Spitzenkönner

Nun gibt es in jedem Lande eine verschwindend kleine Gruppe von Leuten, die, von Natur aus körperlich überreich begabt, zunächst in lustvollem Spiel, später in der Absicht, damit Geld zu verdienen, ihre Fähigkeiten bis zur Vollendung steigern. Sie sind Spitzenkönner wie die Amateure, und doch können sie ihnen nicht gleichgestellt werden:

Der Amateur betreibt Leibesübungen als Hobby, allein von der Lust am Üben und dem Ehrgeiz beseelt, noch mehr zu erreichen.

Der Profi wählt Leibesübungen als Beruf, zur Lust am Üben gesellt sich die Sucht nach Geld, besonders dann, wenn man einmal „Blut geleckt hat“. Für Schulung und Wettkämpfe steht unbegrenzt Zeit zur Verfügung.

Für den Amateur bedeuten „Olympische Spiele“ eine Bestätigung seines Leistungsvermögens und eine Erinnerung fürs Leben. Nachdem dieser Gipfel erklommen wurde, der Ehrgeiz verraucht ist, treten Beruf und Familie in den Vordergrund.

Für den Profi werden die Olympischen Spiele heute neben der Bestätigung des Leistungsvermögens zu einem Tanz ums „Goldene Kalb“, der sich bei jedem Wettkampf wiederholt. Unersättlich kann seine Gier werden, wobei nicht selten Leben, zumindest aber Gesundheit auf dem Spiel steht.

Es liegt mir fern, den Sport als Beruf herabzusetzen — zudem hieße es auch das eigene Bett beschmutzen. Die Ski-, Tennis-, Eislauf- und Turnlehrer usw., die durch entsprechende Übungen den Leib der Mitmenschen bilden und damit ihre Gesundheit fördern, haben einen heute wesentlichen und notwendigen Beruf; auch jene, die durch das bloße Zur-Schau-Stellen ihrer Körperkünste die Mitmenschen unterhalten, erfreuen, zu Beifallsstürmen hinrei- ßen und sich offen als Profi erklären in Ehren. Hier muß jedoch klare Trennung herrschen, Trennung, die nicht länderweise verschieden, sondern weltweit geregelt werden muß.

Die Rolle des Staates

Der Staat sollte im Interesse der Gesundheit seiner Bürger allgemein- pflichtige körperliche Übungen bis zum 17. Lebensjahr vorschreiben.

Das bewußte Leistungsstreben würde dann mit dem zehnten Lebensjahr einsetzen, ab dem 14. Lebensjahr für die Jugendlichen die Möglichkeit zur Ausbildung in jeder gewünschten Leibesübungsdisziplin bestehen. Ab dem 17. Lebensjahr werden alle angehenden Spitzenkräfte in staatlich finanzierten Kursen geschult. Nachher trennen sich die Geister: Wer Profi werden will, beteiligt sich an Wettkämpfen, die von Vereinen, Fremdienverkehrts- zentren usw. — zwecks Publikumsanlockung — ausgeschrieben werden, wobei die Teilnahme vergütet, der Erfolg aber prämiiert wird. Der Amateur betrachtet Wettkämpfe weiterhin als bloßes Vergnügen. Der Amateurismus gipfelt in den Olympischen Spielen — der Name wäre gesetzlich ZJU schützen —, der Professionalismus in Weltspielen.

Ist der Kulminationspunkt der körperlichen Leistungsfähigkeit erreicht, dann werden beide, Amateur wie Profi, abtreten und nunmehr sich dem Berufe und der Familie widmen; wobei dem Profi das verdiente Geld zu Hilfe kommt.

Auf die Gesinnung kommt es an

Die „Olympischen Spiele“ sind eine geschichtliche Tatsache. Mehr als 1000 Jahre lang 776 v. Chr. bis 393 n. Chr.) wurden sie alle vier Jahre zu Ehren des Zeus und der Hera veranstaltet. Ursprünglich ein Teil des Kultes, gewannen sie bald eigene Bedeutung und endeten mit dem 4. Jahrhundert im Beruf s- athletentum. Der Siegespreis war ein Ölzweig.

Die internationalen Olympischen Spiele wurden nach diesem Vorbild 1894 durch den Franzosen Coubertin ins Leben gerufen. Laut Satzungen dürfen daran nur Amateure teilnehmen; die Sieger erhalten Olympische Medaillen in Gold, Silber und Bronze.

Und nun scheint sich das Spiel, das sich im Alten Griechenland schon einmal ereignet hat, zu wiederholen: vom Hobby zum Beruf, vom Ölzweig zum Geld, vom Amateur zum Profi. Nichts einzuwenden für Artisten; sie „setzen ihr Leben aufs Spiel und wollen dafür bezahlt werden“ (nach dem Ausspruch eines bekannten Skiläufers) doch ohne „Olympische Spiele!“ Diese bleiben allein den Amateuren Vorbehalten.

Unsere Jugend braucht echte Vorbilder auch auf dem körperlichen Sektor; solche sind nur unter den Amateuren zu suchen. Hier spielen neben der körperlichen Leistung auch charakterliche Werte eine Rolle.

Hüten wir uns davor, Menschen zu glorifizieren, die ihr Leben leichtfertig aufs Spiel setzen und ihr Tun dann als Sport bezeichnen. Der echte Sportler denkt neben dem Körper auch an Geist und Seele; für ihn sind Leibesübungen nur ein Mittel zum Zweck. Die Gesinnung ist’s vor allem, die den Strich zwischen Amateur und Profi zieht und nur, wer siegreich den Kampf besteht und sich, von jubelnder Menge umgeben, des Segens von oben sicher weiß, ist wert, ein Idol für unsere Jugend genannt zu werden.

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