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Hier kam es zum Startschuß

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Ganz neue Quellen zeigen, daß in Osterreich vor 50 Jahren, als es auf den Schauplatz der Weltbühne zurückkehrte, der Kalte Krieg begann.

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Ganz neue Quellen zeigen, daß in Osterreich vor 50 Jahren, als es auf den Schauplatz der Weltbühne zurückkehrte, der Kalte Krieg begann.

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Bis zur Anerkennung der neu gewählten Figl-Re-gierung im Jänner 1946 konnte von einer österreichischen Außenpolitik eigentlich kaum die Bede sein. Nach der Befreiung Österreichs betrieben die vier alliierten Mächte bis zur Einrichtung des Alliierten Bates am 11. September 1945 eine autoritäre eigenmächtige Zonenpolitik. Im Sommer 1945 war das in vier Zonen geteilte Land wie von chinesischen Mauern getrennt. Es gab kaum interzonale Wirtschaftskontakte, geschweige denn eine gemeinsame „österreichische” Außenpolitik. Dies begann sich erst nach der Länderkonferenz Ende September zu entwickeln und kam im Grunde nach den November-Wahlen zustande, die dem Land wieder eine gesamtösterreichische Regierung brachte und mit Karl Gruber auch einen „Außenminister”.

Neue Quellen wie das lebendige Tagebuch des Wiener Diplomaten Josef Schöner und die verdienstvolle Edition der jüngst veröffentlichten Protokolle des „Kabinettsrates der Provisorischen Regierung” von Ende April bis Anfang Juli 1945 zeigen, wie sehr die am 27. April in Wien konstituierte Provisorische Regierung unter der autoritären Führung von Karl Renner von der totalen Abschottung des „Grenzkordons” der sowjetisch -besetzten Zone zur Außenwelt litt. ' Die Kabinettsratsprotokolle legen auch Zeugnis dafür ab, daß die Sowjets der Provisorischen Renner-Regierung im Sommer 1945 weit mehr Spielraum zugestanden, als die Westmächte ihren Zonenregierungen nach der Befreiung erlaubten. Gerade aber diese Patronanz Moskaus machte die Benner Regierung besonders bei den Briten höchst suspekt. In Anbetracht der totalen Unkenntnis der Wiener Lage, ging man in den westlichen Hauptstädten davon aus, das eigenmächtige Vorgehen der Sowjets in Wien mache Osterreich nach Bulgarien und Bumänien zum nächsten Satelliten des Kremls. Die Folge war ein gemeinsames anglo-amerikanisches

Protestschreiben bei Stalin über das unilaterale Vorgehen in Wien - ein Akt, der schon den Zusammenbruch der ost-westlichen Kriegsallianz gegen HitleY und als ein früher Startschuß im ausbrechenen Kalten Krieges interpretiert werden kann.

Die anglo-amerikanischen Begie-rungen vernahmen die Bildung der provisorischen Renner Regierung aus einer Meldung von Radio Moskau am 28. April. Die britischen und amerikanischen Geschäftsträger in Moskau, Frank Roberts und George Kenn-an, reagierten beide unisono und informierten ihre Regierungen, daß der Kreml den Westen in Wien mit einem „fait accompli” konfrontiere. Premier Winston Churchill und hohe Beamte im Londoner Außenministerium hegten diese Befürchtung aufgrund der Kriegslage seit Wochen.

Das Kommen der westlichen Hochkommissare nach Wien und die in Wien heißersehnte Einrichtung einer interalliierten Viermächtekommission sollte bis Anfang September auf sich warten lassen. Sie kam erst zustande, nachdem die Westmächte mit der „ Vienna Mission” Mitte Juni und ihren ersten offiziellen Verbindungsleuten seit Ende Juli sich ein eigenes Bild über die Lage in Wien machen konnten.

Die ursprüngliche „Außenpolitik” der isolierten Benner-Begieruwg bestand darin, mit der sowjetischen Besatzungsmacht einen regelmäßigen Kontakt aufzubauen, um sich für die dringendsten Belange der Bevölkerung einzusetzen — das waren Fragen der Ernährung, der Sicherheit und des Aufbaus eines geregelten Wirtschaftslebens sowie die Währungsfrage. Nachrichten von den anarchischen Zuständen an Österreichs Grenzen -über die brutalen „wilden Vertreibungen” der Deutschen im mährischen Grenzbereich sowie die Besetzung südsteirischer Städte wie Rad-kersburg durch Titofreischärler -stand man ohne bewaffnete Polizei oder Armee machtlos gegenüber. Alle Versuche, erste handelspolitische Kontakte zu den traditionellen Partnern in Osteuropa aufzunehmen, um die katastrophale Ernährungslage in der Sowjetzone zu verbessern, wurden von der sowjetischen Besatzungsmacht nicht gestattet. Es blieb lediglich bei zweideutigen Kompensationsgeschäften mit den Bussen für die Wiener Lebensmittelspende.

In dieser Phase des politischen Vakuums in Österreich und der Impotenz der als zentral gedachten Begierungsstellen in Wien, unternahmen einzelne provisorische Landesregierungen in den Westzonen den Versuch, in der Außenpolitik das Heft selbst in die Hand zu nehmen. Sie machten sich daran, die internationale Isolierung des viergeteilten Landes mit einer Art „Zonenaußenpolitik” zu durchbrechen und zeigten sich dabei sehr kreativ in der Entwicklung außenpolitischen Spielraums. In einem chaotischen nationalen und internationalen Umfeld ging es vor allem darum, die Versorgung der Bevölkerung mit den lebensnotwendigsten Nahrungsmitteln zu sichern, da die traditionellen Handelsströme bei Kriegsende zusammengebrochen waren. Im Aufbau eines nachbarschaftlichen Handels, scheinen die Vorarlberger im äußersten Westen das größte Geschick bewiesen zu haben.

Auch in politischen Fragen wurden Provisorische Begierungen in den Bundesländern in Anbetracht des Fehlens anerkannter zentralstaatlicher Instanzen in Wien aktiv, vor allem in der Sicherung der staatlichen Grenzen. Tiroler Lobbies auf beiden Seiten des Brenners versuchten Südtirol zurückzugewinnen, die Salzburger den Bayern das Berchtesgadener Land abzuluchsen, und die Kärntner die Tito-Partisanen von der Übernahme Südkärntens abzuhalten. Das wohl größte Kopfzerbrechen für die Provisorische Benner Begierung im Sommer 1945 bereiteten nicht nur die Flüchtlingsmassen von vertriebenen Deutschen, die sich über die grüne

Grenze nach Niederösterreich bewegten, sondern auch die Plünderungszüge von tschechischen „Banditenbanden” im Grenzbereich.

Am erfolgreichsten war die Benner Begierung in der oberflächlichen „Bereinigung” der Vergangenheit. Schon in den ersten Tagen nach Kriegsende wurde damit begonnen, die Moskauer Deklaration der Alliierten vom November 1943 zu Österreichs „Opferdoktrin” hochzustilisie-ren (vgl. Die furche vom 18. März 1993). Auch den Mitläufern - den „kleinen Nazis” - versprach Benner von Anfang an Milde. Die ersten Ministerratssitzungen sind gespickt mit

Diskussionen über „Entnazifizierung” - etwa einen Fonds für die Opfer des Nationalsozialsimus einzurichten beziehungsweise eine scharfe und schnelle Bestrafung der schwerbelasteten Nazis und Kriegsverbrecher vorzunehmen. Hier machte sich aber rasch die Parteipolitik breit. Man konnte sich nicht einigen, wer denn die „Opfer” des Nazismus waren, und nur schwer, welche Kategorien zu den „Schwerbelasteten” zählen sollten.

Mit der Einrichtung des Alliierten Bates und der gesamtösterreichischen Länderkonferenz vom 24. bis 26. September kam es zur de facto Anerkennung der Provisorischen Benner Begierung auch durch die Westmächte am 20. Oktober. Durch die Wahl vom November 1945 bekam das Land wieder eine demokratisch legitimierte gesamtösterreichische Begierung, die sich daran machen konnte, die totale Kontrolle und internationale Isolierung abzuschütteln. Die Entsendung von „politischen Vertretern” in die Hauptstädte der vier Besatzungsmächte im Februar 1946 war ein wichtiger erster Schritt in Richtung Aufbau eines regulären diplomatischen Dienstes im Ausland, der sich für die Relange Österreichs einsetzen konnte. Mit dem Zweiten Kontrollabkommen vom Juni 1946 konnte sich Österreich noch nicht gänzlich aus der quadri-partiten Bevormundung lösen, gewann aber ein Stück außenpolitischen Spielraums zurück und schickte weitere Vertreter ins Ausland, vorerst einmal ins benachbarte Ausland (noch nicht nach Deutschland).

Diese ersten Schritte der außenpolitischen Beemanzipierung wurden jedoch von Anfang an vom Ausbruch des Kalten Krieges in Österreich überschattet. 1945 waren es noch die Amerikaner, die in der spannungsgeladenen Atmosphäre zwischen Briten und Sowjets zu vermitteln versuchten. Allen voran Churchill drängte nach dem eigenmächtigen Vorgehen der Boten Armee in Osteuropa und bei der Einrichtung der Benner Begierung in Wien darauf, die Russen zumindest aus Mitteleuropa hinauszudrängen. Nach der unerwarteten Wahlschlappe der Kommunisten im November, die hauptsächlich auf das Wüten der Roten Armee in den ersten Wochen nach der „Refreiung” zurückzuführen ist, gingen die Sowjets in Österreich endgültig auf Konfrontationskurs mit der Figl-Regie-rung und begannen die gnadenlose wirtschaftliche Ausbeutung ihrer Zone. Diese Reparationsentnahmen (die sich im Laufe der nächsten 15 Jahre auf gut 1,5 Milliarden Dollar belaufen sollten) brachten nun die Amerikaner nicht nur als Schutzherrn Österreichs, sondern auch als westliche Führungs- und globale Ordnungsmacht auf die Weltbühne. Österreich wurde zu einem Hauptschauplatz im frühen Kalten Krieg, wo es galt, die Kommunisten mit allen Mitteln einzudämmen. Um das Land gegen hausgemachte und ausländische kommunistische Bedrohung zu wappnen, begannen die Amerikaner gewaltige Mengen an Wirtschaftshilfe nach Österreich fließen zu lassen. So entscheidend diese Wirtschaftshilfe vor allem in den Jahren 1946 bis 1952 für das Überleben des Landes war, so abhängig machte es die österreichische Begierung aber politisch von Washington.

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