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Himmelsstraßen nach Rom

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Rom, im Oktober 1949

Als Pius XII. am Vormittag des 26. Mai 1949, dem Tage Christi Himmelfahrt, mit der Proklamierung der Bulle „Maximum Jubilaeum" das 25. Heilige Jahr ansagte, dessen Beginn erst auf den 24. Dezember fällt, knüpfte er an eine von Bonifaz VIII- begonnene Tradition an. Man hörte damals Stimmen, die meinten, daß sich die Verkehrsmittel seit jenem fernen Jahr 1300 zu sehr geändert haben, um diese lange Zeitspanne zu rechtfertigen. Denn die päpstlichen Legaten und Pilger reisten damals zu Pferd und zu Fuß und brauchten viele Monate, um in die Stadt Petri zu gelangen, während heute selbst unsere Antipoden kaum mehr als eine Woche brauchen, um mit dem Flugzeug den halben Erdkreis zurückzulegen. Es hätte also genügt, die Proklamierung auf den Tag der Unbefleckten Empfängnis Mariä zu verlegen.

Die Überlegung wäre richtig, wenn sie nur den technischen Fortschritt in Betracht ziehen müßte. Aber mit diesem technischen Fortschritt hat der geistige leider nicht Schritt gehalten. Denn während man heute nur 26 Stunden braucht, um von Rom nach Detroit zu reisen, bedarf es mehrerer Wochen, um sich die nötigen Ein- und Ausreieedokumente zu verschaffen. Für andere Länder sind es Monate. Und es gibt Leute, die es aus materiellen oder ideellen Gründen auch heute verschmähen, das Flugzeug oder die Eisenbahn zu benützen, wie etwa der 80jährige Bayer Heinrich Metz, der sich zu Fuß auf den Weg gemacht hat, um die Wallfahrtsorte von Lisieux, Lourdes, Padua zu besuchen und pünktlich am 24. Dezember nach 9980 Kilometer Wegstrecke in Rom eintreffen will.

Immerhin hat es eine gewisse Überraschung ausgelöst, als der Generalsekretär des Zentralkomitees für das Heilige Jahr, Monsignore Pignedoli, auf Grund der Meldungen aus aller Welt errechnete, daß ungefähr 30 Prozent aller Pilger — deren Gesamtziffer sich auf etwa drei Millionen beläuft — auf dem Luftwege in Rom eintreffen werden. Wenn alle diese Pilger bei ihrer Absicht bleiben sollten, müßten sich die Flugeinrichtungen der italienischen Hauptstadt auf eine Frequenz von 900.000 ankommenden Passagieren allein vorbereiten. Sind sie dazu imstande? Eine rasche Anfrage ergab, daß dies nicht der Fall sei. Es entstand daher das Projekt eines neuen großen interkontinentalen Flughafens vor den Toren Roms. Unter dem Datum des vergangenen 28. Dezember wurden die Pläne von einer Kommission des italienischen Luftfahrtministeriums vorgelegt. Für die Gesamtdurchführung sind 18 Milliarden Lire nowendig, die Arbeiten haben bereit begonnen und werden sich in zwei Etappen vollziehen.

Man wählte dafür die Ebene von Fiumi- cino, deren sanfte Schönheit nun den technischen Werken weichen muß. Der Flughafen befindet sich somit 23 Kilometer vom Stadtzentrum Roms entfernt, was nicht übertrieben ist, wenn man bedenkt, daß der Flughafen Londons, Heathrow, mit seinen neun Startbahnen, 30 Kilometer vom Zentrum entfernt liegen wird, der für Long Island New York mit zwölf Bahnen projektierte, 21 Kilometer. Die enorme Zunahme des Flugverkehrs in der ganzen Welt hat die Projekte für Riesenflughäfen wie Pilze aus dem Boden wachsen lassen; es bestehen solche für Orly bei Paris 16 Kilometer, mit zehn Startbahnen für einen maximalen Tagesverkehr von 26.400 Passagieren und 400 Flugzeugen. Der von Barajas, 12 Kilometer von Madrid gelegen, besitzt fünf Startbahnen und der von Kloten, 10 Kilometer von Zürich, vier Paare von Startbahnen. Buenos Aires besitzt sechs Bahnenpaare, während für den Flughafen von Schipol bei Amsterdam ein Gelände von 390 Hektar, vier Meter unter dem Meeresniveau gelegen, mittels 300 Kilometer Rohrleitungen drainiert werden muß.

Für den Bau des interkontinentalen Flughafens Fiumicino sind die von der International Civil Organisation in Montreal März 1945 festgelegten Richtlinien maßgebend. Diesen zufolge muß ein moderner Flughafen über so lange Startbahnen verfügen, daß die heikle Phase zwischen dem Verlasen des festen Bodens und einer Flughöhe, in der Zäune, Bäume, Gebäude keine Gefahr mehr darstellen, ohne Gefährdung von Apparat und Mensch überwunden werden kann. Das Flugzeug muß imstande sein, zu starten, eine Flughöhe von 15 Meter zu gewinnen und wieder zu landen, ohne die Bremsen gebrauchen zu müssen. Die sich daraus ergebende cheinbare Überdimensionierung ist berechtigt, wenn man bedenkt, daß eine 45tonnige „Costellation“ 530 Millionen Lire und eine 85tonnige „Co- stitution“ mindestens eine Milliarde Lire kostet, das sind 0,9, beziehungsweise 1,6 Millionen Dollar.

Die großen internationalen Fluggesellschaften haben sich den Erfordernissen des Heiligen Jahres 1950 angepaßt, die Linien vermehrt und die Flugfrequenz vergrößert Sie wollen den Pilgern auch finanziell entgegenkommen und haben nicht unbeträcht-liehe Rabatte eingeführt. In Rom, das einer der Brennpunkte des Weltflugverkehrs ist, wo sich die Straßen aus dem Nahen und Fernen Olten, aus Nordafrika, Mitteleuropa und aus der westlichen Welt schneiden, haben bereits heute 35 Fluggesellschaften ihren Sitz mit einer durchschnittlichen Tagesfrequenz von 100 Passagier- und Transportflugzeugen. Diese Gesellschaften, amerikanische, englische, französische, skandinavische, holländische, argentinische usw., sind in einen erbitterten Konkurrenzkampf getreten, der sich für den Passagier äußerst wohltuend auswirkt. Von Laienseite hört man vielfach die Meinung, daß der Betrieb der Linien .angesichts des enormen Aufwandes nicht lohnend sein kann und ein guter Teil Nationalstolz in allen diesen Initiativen steckt. Dem muß entgegengehalten werden, daß das Flugzeug auf langen Streeken ungleich wirtschaftlicher ist als etwa da Schiff, weil gerade die Schnelligkeit Zeit spart, eine stärkere Ausnützung des Apparats ermöglicht und die Tarife etwas über den Preisen der Schiffahrt liegen können. Einige Flugzeuge werden bis zu 15 Stunden im Tagesdurchschnitt beansprucht. Hundert Tonnen Flugzeug transportieren aber 200mal soviel wie 100 Tonnen Schiff. Der „Rex" zum Beispiel beförderte einen Passagier pro 25 Tonnen des Gesamtgewichts mit 60-Kilometer-Stun.dengeschwindigkeit. In den Vereinigten Staaten, wo eine ungestörte friedensmäßige Entwicklung möglich war, errechnet man für 1950 13 Millionen Passagierkilometer und 160 Millionen Tonnagekilometer. In Italien erwartet man für das Jahr 1960 einen Luftverkehr .von durchschnittlich 480 Maschinen täglich, das Fünffache der derzeitigen Frequenz.

Der interkontinentale Flughafen von Fiumicino, der bereits während des Heiligen Jahres in Betrieb genommen werden soll, besteht aus drei Startbahnpaaren von 2150 Meter Länge und 60 Meter Breite, die einen Abflug alle 30 Sekunden von Flugzeugen mit 130 Tonnen gestatten, außerdem eine Startbahn für besondere Zwecke mit 3000 Meter Länge und 90 Meter Breite. Die einzelnen Startbahnen sind untereinander durch ein rationelles Korridorsystem von Rollbahnen mit 30 Meter Breite verbunden; eine Station mit Parkplätzen, Hangars vervollständigt die Verkehrseinrichtungen. Daneben ersteht eine Siedlung mit Unterkunftsräumen für das Personal, Restaurants, Geschäften, Kino usw.

Es mag interessant sein, auch die Pläne für die übrigen Flugplätze Italiens zu überschauen Bis zum Jahre 1960 wird Rom noch über die nationalen Flugplätze von Ciampino und dell’Urbe ehemals del Lit- torio verfügen, über einen Wasserflugplatz in Bracciano am gleichnamigen See. Im übrigen italienischen Gebiet befinden sich die intereuropäischen Flugplätze von Catania Pantano d’Arco, Neapel Capo-dichino und Mailand Turbigo, ferner die Flugfelder für den internen Verkehr in Turin, Mailand Taliedo, Venedig, Bozen, Verona, Triest, Genua, Bologna, Florenz, Ancona, Rom, Brindisi, Reggio Calabria, Palermo, Cagliari, Alghero. Ein dichte Netz von Katapultanlagen, Radiogoniometern verschiedenen Typs, Radarstationen und Peilgeräten, Radiostationen und meteorologischen Beobachtungszentren werden die Sicherheit der Flüge garantieren.

Als alle diese Pläne dem Generalsekretär Pignedoli mitgeteilt wurden, rief dieser begeistert aus: „So werden also auch alle Himmelsstraßen nach Rom führen.“

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