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Hinter dem seidenen Vorhang

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Die letzte große Enzyklika, die Papst Pius XII. vor seinem Tode erlassen hat, befaßte sich mit der Lage der Kirche in China. Während die Schlagzeilen der Weltpresse sich mit den Auseinandersetzungen um Quemoy und Formosa beschäftigen, jeden einzelnen Schuß der Kommunisten registrieren, hat die Ekad fepfo . stolorum Principis Sepulchrum“ an eine weniger spektakuläre, aber deswegen nicht weniger folgenschwere Tätigkeit der chinesischen Kommunisten erinnert: die Durchführung der „kulturellen Revolution“, wie es im dortigen Parteijargon heißt, die Liquidierung des Glaubens.

Die Versuche zur Schaffung einer Nationalkirche als erster Schritt kommunistischer Regierungen sind nicht neu. Solche Versuche wurden in der Tschechoslowakei, in Ungarn gemacht und waren kaum von wesentlichen Erfolgen gekrönt. Mao Tse-tungs China kann den Ruhm beanspruchen, auch in dieser Frage ein Beispiel abzugeben. Bald nach der Eroberung des chinesischen Festlandes wurden innerhalb der sogenannten „Antiimperialistischen patriotischen Front“ Komitees „fortschrittlicher“ und „patriotischer Katholiken“ gebildet. Am 2. August 1951 wurden diese organisatorisch zur „Katholischen patriotischen Gesellschaft“ zusammengefaßt. Systematisch versuchte das kommunistische Regime, die Grenzen zu verwischen, der Gläubige wußte oft nicht, ob er einem „fortschrittlichen Priester“ oder einem romtreuen Priester gegenüberstehe. Versuche in einzelnen Diözesen, die durch die katholische Laienbewegung gestartet wurden, durch Kennzeichnung der glaubenstreuen Laien das Empfangen der Sakramente durch Exkommunizierte zu verhindern, riefen die Geheimpolizei auf den Plan. Der am 1. Februar 1952 durch Rom exkommunizierte Generalvikar der Diözese von Nanking, Li Wei-kuang, Abgeordneter des kommunistischen Volkskongresses und Mitglied des chinesischen Friedenskomitees, setzte mit Polizeiuntertützung schon 1953 in den Pfarren von Peking und Szechuan die Verteilung der Kommunion , auch an „fortschrittliche Katholiken“ durch. Dennoch konnte diese Spaltungsgesellschaft in den ersten Jahren kaum wesentlich an Boden gewinnen. Das „Mission Bulletin“ vom Jänner 1955 stellt fest, daß von insgesamt 143 Diözesen Chinas 115 treu zu Rom stehen, 10 Diözesen keine Nachricht geben, 4 Diözesen durch Verhaftungen über keine Priester verfügen und nur 14 Diözesen in die Hand der Gesellschaft gekommen seien. Zwei chinesische Bischöfe unterstützten damals die Gesellschaft, der durch das kommunistische Regime der gesamte bewegliche und unbewegliche Besitz der Kirche in China übertragen worden war.

Seit dem Winter 1957/58, seit der zweiten Session des VIII. Parteitages der Kommunistischen Partei Chinas im Mai 1958, die die „kulturelle Revolution“ auf die Tagesordnung setzte, haben sich die Verhältnisse wesentlich geändert.

Von den 30 Pfarrkirchen und 3 3 anderen Kirchen Pekings sind nur mehr vier Pfarrkirchen geöffnet. Auch diese sind in den Händen „fortschrittlicher Priester“ mit Ausnahme der Kapelle des Convents der Schwestern von Sacre Coeur, die die Kinder ausländischer Diplomaten betreuen. Seit Ende 19.57 existiert “in Peking ein „Patrjoti-scngs.. Priesterseminar , .seit Anrarjg 1958 ,aucn ein“ebensolches Regiorialseminar in Fukien. Professoren und Dozenten werden vom Staat bezahlt, der Lehrplan kennt Vorlesungen folgender „theologischer“ Natur: 1. Studium der Generallinie der Partei in der Uebergangsperiode; 2. Studium der Reden und Schriften Mao Tse-tungs; 3. Studium der sozialistischen Umgestaltung der Gesellschaft; 4. Studium des sozialistischen Aufbaues; 5. Studium der Führungsaufgabe der Partei; 6. Geschichte der Kommunistischen Partei Chinas. Nach ausgesprochenen „Schnellsieder-kursen“ wurden laut „Shenminshibao“ im Juli dieses Jahres die ersten Absolventen dieser Seminare in Peking zu „patriotischen Priestern“ geweiht. In den großen Städten des Landes, in Schanghai, Kanton, Tientsin tragen die Kirchen bereits die Aufschrift „Katholisch-fortschrittliche patriotische Gesellschaft“ (Chiao-yu Ai-kuo Tsu-chin-hui). Diee kirchlichen Angelegenheiten werden durch Staatskomitees für religiöse Angelegenheiten in Zusammenarbeit mit den regionalen Führungsgremien der Gesellschaft geregelt. Am 30. Mai 1958 wurden alle Priester der Diözese Kanton gezwungen, der Gesellschaft beizutreten. Zwei Priester, die sich dem Terror nicht beugten, wurden verhaftet.

Dieser neu entbrannte Terror zeigt, daß dem Regime sein ursprünglicher Plan nicht gelungen ist. Vom 13. bis 17. Juli 1957 tagte in Peking eine „Vorbereitende Konferenz“ unter der Teilnahme von 241 Erzbischöfen, Bischöfen und Priestern. Klar brachte der Bischof von Tsche-kiang damals zum Ausdruck: Wenn die Konferenz feststellen sollte — was höheren Orts offenbar gewünscht wurde — daß der Vatikan reaktionär sei, würde dies das Ende des katholischen Lebens in China bedeuten. Der Bischof von Hopei stellte fest, daß die Gründung „patriotischer Gesellschaften“ kirchlicher Natur vom Vatikan genehmigt werden müsse, bevor sie als katholische Organisationen bezeichnet werden dürften. Die Konferenz ging ohne Beschluß auseinander. Eine neue Konferenz vom 2. August beschloß dann die Gründung der „Chinesischen katholisch-patriotischen Gesellschaft“, verlangte aber die Unabhängigkeit der Kirche vom Staat, Regelung ihrer Angelegenheiten durch die Hierarchie, Aufrechterhaltung des Kontakts mit dem Vatikan. Eine zweite Resolution entlarvte allerdings den wahren Charakter dieser zweiten Konferenz. Sie protestierte gegen die Verurteilung des Kapitelvikars Chang Shih-Iiang durch den Vatikan, der angeblich nach kanonischem

Recht die Funktionen des verhafteten „reaKtio-nären“ Bischofs von Schanghai, Kung Ping-mei, übernommen habe. Sie verurteilte, daß der Vatikan an dem „konterrevolutionären Bischof“ festhalte. Kein Wunder, daß das Zentralorgan der Kommunistischen Partei Chinas „Shenminshibao“ diese Resolution begrüßte, sie wörtlich abdruckte und in einem Leitartikel betonte, daß „niemand, auch der Vatikan nicht, das Recht besitze, sich in die inneren Angelegenheiten der katholischen Kirche Chinas einzumischen“.

Von Oktober 1957 bis zum März 1958 folgten zahllose regionale Kongresse der „Patriotischen Gesellschaft“. Die Teilnahme aller Priester und des Großteils der Gläubigen war „verbindlich“. Die kommunistische Presse berichtete ausführlich von diesen Konferenzen, auf denen eine „absolute Mehrheit“ den Abbruch der Beziehungen zum Vatikan gefordert habe. Daß es trotz bester Vorbereitung, Terror und Anwesenheit zahlreicher nichtkatholischer Kommunisten bei diesen Kongressen auch zu scharfer Ablehnung des von oben geforderten Schismas kam, geht aus einer Meldung' von Radio Peking hervor, wonach Fr. Liu Chien, Administrator der Diözese von Sichang, „mit der Exkommunikation drohte und die fortschrittliche Gesellschaft verleumdete“, ja ein Fr. Ye Ting-cheng in die Diskussion den Satz warf: „China wird nicht sterben, wenn es die Kommunistische Partei verliert, es wird aber sterben, wenn der Geist Christi China verläßt!“ Die Kommunistische Partei mußte auf der Konferenz in Tschengtschau im März 1958 den Bischof Kuo Hao-Hsin und den Direktor des Seminars, Ma Chang-jen, als „Rechtisten“ deklarieren und sie somit zu Volksfeinden stempeln, um die erwünschten Beschlüsse durchpeitschen zu können.

Das Versagen der patriotischen Laienbewegung veranlaßte das Regime in Peking, einen Schritt weiter zu gehen, einen schismatischen Episkopat zu schaffen. Schon „wählen“ Konferenzen durch Zuruf Bischöfe. Der Charakter der Wahlen, die Personen, die „gewählt“ werden, ergibt sich mit aller Deutlichkeit aus der von „Shenminshibao“ gebrachten Rede des .gewählten“ Bischofs von Tschengtu Fr. Ki: „Volkesstimme ist Gottesstimme, und so muß ich die Aufgabe der Leitung der Diözese übernehmen. Ich werde die Geistlichkeit und die Gläubigen der Diözese unter Führung der Kommunistischen Partei dazu anleiten, den Weg zum Sozialismus zu beschreiten, positiv am sozialistischen Aufbauwerk mitzuarbeiten und die Imperialisten zu hassen. Ich m wWde'faiHPj'gdeP1 Öfflrnischrir1gßl/aenVat1is: rf wi$Tnnuti8n?&e ?&mpkttFMhgke unserer religiösen Angelegenheiten sichern ...“

Seit dem April 1958 wurden Bischöfe für Schanghai, Sutschau, Tschangtu, Hankow, Wu-tschang, Yung Nien, Futschau, Waiyung, Kong? moon, Kanton, Tsinan, Suanhwa, Siwantze, Yungping und Tsaotschau „gewählt“ und „geweiht“. Die Feststellung des Heiligen Stuhls, daß Bischöfe, welche vom Heiligen Stuhl nicht bestätigt wurden, Weihen vollziehen, ipso facto exkommuniziert seien, konnte diese „Weihen“ nicht hindern. Zum Teil wurden sie durch legitime Bischöfe, wie den Erzbischof von Wuhan, Joseph Rose, und den Bischof von Wutschang Reinbert Kowalai OFM., durchgeführt. Beide Bischöfe waren in Haft und wurden später ent haftet. „Shenminshibao“ veröffentlichte darauf einen „Protest der gesamten Hierarchie der katholischen Kirche in China von 23 Provinzen“, in dem es hieß: „Alle reaktionären Befehle und allerhöchsten Exkommunikationen, welche der Vatikan im Namen der Religion erläßt, sind wertlos und ungültig. Geistlichkeit und Gläubige haben beschlossen, ihre eigenen Bischöfe zu weihen, und beanspruchen ihr legitimes Recht, ihr Land und ihre Kirche zu lieben und die reaktionären politischen Intrigen des Vatikans zu zerschmettern.. .“ („Shenminshibao“ vom 18. April 1958.)

Unter diesen Umständen sah sich der Heilige Stuhl veranlaßt, festzustellen, daß in China nur 25 wahre Bischöfe existierten, von denen sich elf im Gefängnis befinden. Am 8. September wurde die vom 29. Juni 1958 datierte Enzyklika „Ad Apostolorum Principis Sepulchrum“ veröffentlicht, welche 'konsequenterweise die „Patriotische Gesellschaft“ verurteilt und feststellt, daß die „durch Druck und Vorspiegelung falschen Patriotismus mithilft, die Katholiken Chinas zu veranlassen, Prinzipien des materialistischen Atheismus zu unterstützen“. Sie schließt mit den Worten: „Das chinesische kommunistische Regime mag in der Nationalisierung der katholischen Kirche weitergehen, aber die Welt kann nicht in Zweifel darüber sein, auf welche Weise dies erreicht wird: indem man Priestern und Gläubigen Fallen stellt, physische Gewalt anwendet und seitens der staatlichen Behörden offenen Terror verkündet.“

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