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Hinter Polstertüren, wie einst...

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„Ab 20 Uhr ist die Debatte nur noch ein .Zeitfüller', um 21 Uhr wird sie auf kommenden Mittwoch vertagt.“ Mit diesem Satz schloß eine Wiener Zeitung ihren Bericht aus dem Parlament am letzten Freitag. Es wäre ungerecht, diese partielle Kritik einfach auszudehnen und den gesamten bisherigen Verlauf der Budgetdebatte als „Zeitfüller“ bezeichnen zu wollen. Denn auch die heurige Plenumsdebatte wies bisher schon einige rhetorische Höhepunkte auf, jedenfalls kaum weniger als andere Budgetdebatten aus den vergangenen Jahren.

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„Ab 20 Uhr ist die Debatte nur noch ein .Zeitfüller', um 21 Uhr wird sie auf kommenden Mittwoch vertagt.“ Mit diesem Satz schloß eine Wiener Zeitung ihren Bericht aus dem Parlament am letzten Freitag. Es wäre ungerecht, diese partielle Kritik einfach auszudehnen und den gesamten bisherigen Verlauf der Budgetdebatte als „Zeitfüller“ bezeichnen zu wollen. Denn auch die heurige Plenumsdebatte wies bisher schon einige rhetorische Höhepunkte auf, jedenfalls kaum weniger als andere Budgetdebatten aus den vergangenen Jahren.

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Trotzdem ist das schon oft zitierte Unbehagen heuer bei den Journalisten, aber auch bei den Politikern selbst besonders groß. Noch selten war das Gefühl bei den Beobachtern wie bei den Akteuren so ausgeprägt wie heuer, daß dieses Parlament zum Nebenschauplatz der Geschehnisse degradiert wurde und daß die Weichen bereits längst anderswo gestellt worden sind

Für dieses Gefühl gibt es viele Gründe. Die wichtigsten sind rasch aufgezählt. Sie lassen die Argumentation jener, die behauptet haben, die Existenz einer Minderheitsregierung werte das Parlament auf, weil es nunmehr in die Lage versetzt werde, „echte Entscheidungen“ zu treffen und nicht Vollzugsorgan einer automatischen Mehrheit zu sein, als besonders schal erscheinen. Denn gerade das Gegenteil ist eingetroffen. Die Miniderheitsregierung konnte es sich gar nicht leisten, sich in einer Frage ihres Seins oder Nichtseins, wie das Budget 1971 eine ist, auf das freie, offene Feld des Parlamentes zu begeben, ohne vorher ausreichend gerüstet zu sein. Und die Entscheidung dazu fiel naturnotwendig im außerparlamentarischen Raum, dort, wo keine Abstimmungsniederlage die Regierung gefährden konnte: hinter Polstertüren, wie einst in den Zeiten der großen Koalition.

Diese tatsächliche Abwertung des Parlamentes war diesmal besonders kraß. Erstens, weil sie in Widerspruch stand zu der Behauptung, es gebe für diese Regierung nur das Parlament und nichts anderes und von der Wiederherstellung eines koalitionsähnlichen Ziustandes könne doch gar keine Rede sein. Die Koalitionspolitiker der fünfziger Jahre waren da ehrlicher und großzügiger, sie verzichteten auf solche propagandistischen Verbrämungen ihres Tuns. Man hat sich damals weniger geniert. Und die vorausgegangene Zeit war damals eben eine Zeit der Diktatur, und der Koalitionsausschuß, zumal in der Zeit einer Viermächtebesetzung, war demgegenüber auf jeden Fall ein Fortschritt und ein Modus vivendi, während jetzt die „Packelei hinter der Polstertür“ vier Jahren offenem Parlamentarismus folgt und daher einen echten Rückfall in Zeiten, die man für überwunden hielt, bedeutet.

Ein weiterer Grund lag in der besonders unglücklichen Regie. Es ging um die für die Regierung Doktor Kreisky lebenswichtige Frage der Zustimmung der FPÖ zur Regierungsvorlage über das Bundesflnanz-gesetz für das Jahr 1971. Die Verhandlungen zwischen SPÖ und FPÖ mußten nicht nur noch rechtzeitig zu diesem Ergebnis kommen, sondern sie mußten auch noch so vor sich gehen, daß die kleine Oppositionspartei dabei das Gesicht wahrt. Und so kam es zu den bekannten „harten Verhandlungen“ zu allerletzter Stunde, bis vor Mitternacht und am darauffolgenden Vormittag, wobei parlamentarische Ausschußsitzungen von Stunde zu Stunde verschoben wurden und die Mandatare des Volkes wie Statisten, die man gerade nicht braucht, untätig und uninfor-miert herumsitzen mußten. Eine beschämende Situation. Nach der „hart erkämpften“ Einigung mit dem bekannten Ergebnis, das ja gerade auf der vorgezeichneten Linie erfolgte und daher nicht überraschend ausfiel, kam dann wenige Tage später der zweite Akt, die kleine Wahlrechtsreform, die zwar eine tiefe Zäsur im österreichischen Parlamentarismus bedeutet, aber trotzdem mit einer hauchdünnen Mehrheit von SPÖ und FPÖ beschlossen wurde. Man erklärt aber noch heute nach wie vor und feierlich, daß diese Koinzidenz rein zufällig sei und es kein wie immer geartetes Junktim zwischen Budget-zustimmuTig und Wahlrechtsreform gebe.

Damit ist aber auch alles Wesentliche in diesem Jahr bereits geschehen. Die ÖVP kann getrost gegen das Budget stimmen, Dr. Kreisky muß seine Neuwahldrohung nicht wahrmachen, und die FPÖ ist weiterhin eine Oppositionspartei. Daß das neue Wahlrecht regierungsfähige Mehrheiten, die nicht aus Koalitionsverhandlungen unter Ausschaltung der Wähler, sondern unmittelbar aus den Wahlen hervorgehen, beinahe ausschließt, wurde in der breiten Öffentlichkeit ja kaum bemerkt. Auch der Umstand nicht, daß durch die zum Teil enorm vergrößerten Wahlkreise die Abgeordneten ihren Kontakt mit den Wählern vollends verlieren werden, und daß es zwar von jetzt an mehr Abgeordnete als bisher geben wird, damit aber eher die Zahl der braven Parteisoldaten als der echten Volksvertreter vergrößert worden ist. Es wird mehr Hinterbänkler und Zwischenrufer geben, und die wirkliche Arbeit im Parlament wird eher noch schwieriger als bisher sein.

Das alles konnte aber in der Öffentlichkeit nicht einmal gebührend diskutiert werden, denn es fehlten dazu Raum und Zeit: Unmittelbar nach diesen Vorgängen brach nämlich der Wiener „Zeitungskrieg“ mit aller Vehemenz aus. Und damit wurde das Parlament endgültig zum Nebenschauplatz degradiert. Plötzlich wurde es klar, daß die von der Regierung lauthals geforderte und durch die Fernsehdemokratie geförderte „Transparenz“ der Politik ein frommer Wunsch oder ein leeres Schlagwort ist. Das Plenum im Parlament tagt zwar vor den Fernsehkameras, aber die „anonymen Mächte“, die etwa hinter den Zeitungstransaktionen stehen, sind virulenter als je, und sie entziehen sich nach wie vor jeder Kontrolle. Diese Erkenntnis hat in einsichtigen Kreisen beinahe lähmend gewirkt und hat den Vorgangen im Parlament den Rest der Spannung genommen.

Nun, das alles mag stimmen, und trotzdem erfüllt das Parlament selbst in seinem gegenwärtigen Zustand eine wichtige Funktion: Es macht auf die wahre Situation der Demokratie in Österreich aufmerksam. Eine der . großen Hoffnungen der ÖVP, der junge steiermärkische Abgeordnete Dr. Krainer, warnte in seiner Jungfernrede vor einem Stil, der das Parlament als Ort steriler und unernster Redereien einstuft. „Wir alle sollten dazusehen“, sagte er, „daß die Parlamentsverdrossenheit vieler unserer jungen Mitbürger durch solche Methoden nicht zu einer Verdrossenheit an der Demokratie schlechthin wird.“

Diese „ParUaimentsverdrossenheit“ ist freilich gegenwärtig vor allem im Parlament selbst so ziemlich allgemein. Alle sprechen mehr oder weniger offen von einer „Zeit des Übergangs“. Die Mehrheitsverhältnisse sind verlängerte Provisorien. Die ÖVP steckt noch immer in einer latenten Krise, die freundlichsten Kommentare dazu aus ihren Kreisen meinen, man müsse abwarten und sich vorerst In Geduld üben. Auch die Bäume der Regierung Kreisky würden nicht in den Himmel wachsen...

Diese schlichten Mahner haben freilich den Stein der Weisen noch nicht gefunden. Denn wer sagt schon, daß die Methode des Abwartens zur Gesundung führt und verschobene Entscheidungen noch zur richtigen Zeit getroffen werden können? Das gegenwärtige Provisorium ist also für keine der Parteien besonders behaglich, für die ÖVP aber lebensgefährlich. Sie sollte sich darin in eigenem, wohlerwogenem Interesse nicht häuslich einrichten.

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