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Hirtenbrief

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Liebe Gläubige!

Vielleicht mag sich mancher von euch wundern, daß in diesen Wochen voll Auflegung, wie sie eine bevorstehende politische Wahl nun einmal mit sich bringt, auch noch die Kirche in diesem wirren Chor ihre Stimme erhebt und gar an heiliger Stätte über diese Dinge zu uns redet. Und doch scheint uns gerade in solchen Zeiten die Besinnung auf einige Grundsätze ein sittliches Anliegen zu sein. In ihrer Verkündigung erfüllen wir nicht nur eine ernste Pflicht unseres bischöflichen Amtes, sondern glauben damit auch einen Beitrag zur echten Demokratie und damit zum wahren inneren Frieden zu leisten.

I.

Zunächst ein Wort zur .Vorbereitung der Wahl, zur Wahlpropaganda:

Möge doch niemand bei allem Eifer des Werbens und Bekämpfens darauf vergessen, daß wir alle noch viel mehr Gemeinsames haben, als uns trennt! Und wäre dies auch nur die gemeinsame Heimat und Geschichte, die gemeinsame Not und Gefahr, und die Einsicht, daß schließlich nur die gemeinsame

Anstrengung und das Opfer aller hier Hilfe schaffen und einen Ausweg finden lassen werden.

Denken wir weiter daran, daß das Leben auch nach den Wahlen noch weitergehen muß, daß wir auch weiterhin zusammenleben werden müssen. Es kann also keinen guten Sinn haben, sich in diesen Tagen und Wochen der Wahlvorbereitung so ausein-anderzustreiten, daß wir darnach nur noch schwerer zu einander finden.

Wahlen sind Ausdruck, zugleich aber auch eine Bewährungsprobe der Demokratie. Wie schade, wenn sie eine Gefährdung der Demokratie würden! Dies ist aber doch der Fall, wenn die Parteien sich zuvor gegenseitig so verlästern und schlecht machen, daß es viele nicht mehr verstehen können, wenn deren Vertreter dann trotzdem vereint auf der Regierungsbank sitzen und wieder Autorität und Vertrauen des Volkes genießen sollen. Wäre nicht Ueberdruß an jeder Politik gerade bei einem Großteil der Denkenden ,und Anständigen nur die natürliche Folge?

Auch in diesen aufregenden Wochen bleibt sodann Lüge Lüge und Verleumdung Verleumdung und verstößt gegen das Gebot Gottes und gegen das Gebot Christi, das Er als Seines bezeichnete, das Gebot der Nächstenliebe. Respektiert auch die Würde und die Urteilskraft des Wählers und spekuliert nicht auf die Gedanken- und Urteilslosigkeit der Menschen! Das wäre in Wahrheit ein Hohn auf die Demokratie.

Wir dürfen auch hier an die Erklärungen des Katholikentages erinnern, wo es hieß: „Haltet Maß in der politischen Auseinandersetzung!“

Wir Katholiken aber wollen in diesen Tagen noch eifriger für das Vaterland beten, daß uns der besondere Schutz der göttlichen Vorsehung auch weiterhin treu bleibe.

II.

Zur Wahl selbst aber ein Doppeltes:

1, In unserem demokratischen Staats-gefüge, zumal bei der heutigen Zeit- und Weltlage, ist es für jeden Katholiken eine ernste Gewissenspflicht, daß er wählt!

Durch die Wahl wird für die nächsten vier Jahre über die Zusammensetzung des Nationalrates, der höchsten gesetzgebenden Körperschaft, entschieden und schließlich auch die Regierung bestimmt. Jeder Wähler ist für den Regierungskurs der nächsten Jahre mitverantwortlich, wem das Wohl des Staa-tes am Herzen liegt, der drückt sich nicht von dieser Verantwortung und ergeht sich nicht in unfruchtbarer negativer Kritik, auch dann nicht, wenn seine Erwartungen nicht in allem in Erfüllung gegangen sind. Unerfüllt gebliebene Ansprüche oder erfahrenes Unrecht sind kein Grund, von der Wahl fernzubleiben. Es geht ja nicht um persona liehe Dinge, sondern um das Allgemeinwohl. Seid auch gerecht und überseht trotz allem nicht den vielfachen Fortschritt in unserem Land seit den notvollen Frühlingstagen des Jahres 1945, da der Krieg zu Ende ging!

Wie sagten wir uns wieder am Katholikentag: „Demokratie erfordert Mitarbeit aller, nicht nur Kritik. Wer abseits steht oder alles vom Staat erwartet, darf sein Ueberhand-nehmen nicht beklagen“.

2. Es ist weiter ernste Gewissenspflicht für jeden Katholiken, Wahlprogramm und Wahlwerber vorher zu prüfen.

Ein wahrer Katholik kann sich nur für ein Wahlprogramm entscheiden, das sich zur christlichen Weltanschauung bekennt; das für soziale Gerechtigkeit eintritt, wie sie nach Ziel und Weg in den päpstlichen Rundschreiben aufgezeigt wurde, und das ein' einziges, ungeteiltes und freies Oesterreich verficht.

Wir Bischöfe wissen, daß für einen großen Teil unseres Volkes bei der kommenden Wahl die wirtschaftlichen Sorgen im Vordergrund stehen, ja nicht selten allein ausschlaggebend sind. Für den Katholiken dürfen aber nicht die wirtschaftlichen Belange allein maßgebend sein, für ihn gilt auch das Heilandswort: „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein!“ Der Katholik muß sich in jeder Situation seines Lebens, also auch bei der Abgabe des Stimmzettels, seiner Verantwortung vor Gott bewußt bleiben.

Zur Ueberprüfung der Wahlwerber wird gesagt: Wir Bischöfe und mit uns das katholische Volk erwarten und fordern von den Wahlwerbern, daß sie in ihrem privaten und öffentlichen Leben sich zu den christlichen Lebensgrundsätzen bekennen und, frei von Vorurteilen und Haß, sich einen offenen Blick für Bedeutung und Wert von Religion und Kirche zum Bestehen und Blühen eines Volkes bewahrt oder erworben haben.

Wir Bischöfe und mit uns das katholische Volk erwarten von den Wahlwerbern, daß sie in ihrem Sinn für Gerechtigkeit verhindern, daß Staatsbürger in Befolgung ihrer Glaubens- und Gewissenspflicht Schaden und Nachteil erleiden und so grundlegende staatsbürgerliche Rechte verletzt werden; daß sie für die Nöte der Zeit, wie Wohnungsnot, lugend- und Familiennot, ein warmes Herz haben und für die berechtigten sozialen Forderungen der arbeitenden Menschen mit aller Energie eintreten.

Wir Bischöfe erwarten von den Wahlwer-l.ern, daß sie auch den Mut und die Bereitschaft haben, für die Rechte und Forderungen Gottes und der Kirche einzutreten. Denn man wird bei den fälligen Gesetzen und Maßnahmen zu Ehe, Familie und Schule nicht von Gott und Seinem Willen absehen können, ohne einen grundlegenden Fehler zu begehen. Diese Forderungen sind des näheren in unseren Hirtenschreiben der letzten Jahre, auf verschiedenen Tagungen und besonders beim großen Katholikentag laut ausgesprochen worden.

In den kommenden entscheidenden Tagen müssen daher wieder die Worte des Katholikentages gelten:

„Wir Katholiken rufen jeden einzelnen zur Verantwortung für das Gemeinwohl auf. UeberJaßt die Politik nicht den Feinden des Glaubens und der Kirche! Achtet aber bei der politischen Arbeit und Entscheidung nicht zuletzt auch auf die weltanschaulichen Fragen!“

III.

Früher als wir gedacht haben, wird uns nach dem öffentlichen Bekenntnis zu unserem Glauben und zur Kirche am Katholikentag auch eine ernste Probe auf unsere Liebe und Treue zur Kitche, aber auch zur Heimat abverlangt.

Wir Bischöfe sind voll Zuversicht, daß unsere Katholiken diese Aufgabe erkennen und trotz aller Schwierigkeiten bestehen werden.

Unabhängig vom Ausgang der Wahl wird auch hernach die Kirche ihre Stimmererheben, werden die Katholiken in der Oeffentlichkeit ihren Mann stellen. Denn wir wissen, wenn nicht mit Gott gebaut wird, ist aller Aufbau in Gefahr, ein Turmbau von Babel SU werden. Er müßte zuletzt unvollendet, ja eine Ruine bleiben, weil man ohne und viel» leicht gar gegen Gott bauen wollte. Dieses Schicksal unserer geliebten Heimat zu ersparen, ist und bleibt unsere Verantwortung und Verpflichtung.

Gegeben am 15. Jänner 1953

Die Bischöfe Oesterreichs:

f Theodor Kardinal Innitzer, Erzbischof von Wien f Andreas Rohracher, Erzbischof von Salzburg f Franz Jachym, Titular-Erzbischof von

Maronea, Koadjutor in Wien f Ferdinand Pawlikowski, Bischof von Seckau-Graz t Michael Memelauer, Bischof von St. Pölten t Paulus Rusch, Titular-Bisehof von Meloe in Isaurien, Apostolischer Administrator von

Innsbruck-Feldkirch f Josef Calasanctius Fließer, Bisehof von Linz t Josef Köstner, Bischof von Gurk-Klägxrtfurt t Franz Zauner, Titular-Bisehof von Fata, Koadjutor von Linz t Josef Sehoiswohl, Titular-Bisehof von Phytea, Apostolischer Administrator des Burgenlandes t Franz König, Titular-Bisehof von Livia«, Koadjutor von St. Pölten Vorstehender Hirtenbrief . ist am Sonntag, dem 1. Februar 1953, bei allen Gottesdiensten zu verlesen.

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