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Hitler und seine Generäle

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Zur Klärung der Quellenfrage der Geschichte des zweiten Weltkrieges wurde schon unmittelbar nach 1945 immer wieder ins Treffen geführt, daß von Hitler sehr wenige direkte Aussagen vorliegen. Die bisher in den „Akten zur deutschen auswärtigen Politik“ veröffentlichten außenpolitischen Aktenstücke wurden meistens von den protokollführenden Beamten verfaßt. Die Erinnerungen des Chefdolmetschers Paul Schmidt haben erwiesen, auf welche Weise solche Niederschriften, die auch den jeweiligen Gesprächspartnern zur Kenntnis gebracht wurden, zustande kamen.

Ähnliches gilt von einem klassischen Dokument zur Vorgeschichte des zweiten Weltkrieges, dem sogenannten „Hoßbach-Protokoll“ vom November 1937, welches weder ein Protokoll im eigentlichen Sinne ist noch eine Niederschrift, die allen Gesprächsteilnehmern zur Kenntnis gebracht wurde. Hier handelt es sich, obwohl der Charakter eines Schlüsseldokuments nicht abgestritten werden kann, um eine nachträgliche private Niederschrift des Wehrmachtsadjutanten Oberst i. G. Hoßbach, die lediglich Feldmarschall Blomberg zur Einsichtnahme vorgelegt wurde. Auch sonst sind Hitlers persönliche Äußerungen, abgesehen von den Texten seiner Reden, soweit sie schriftlich oder auf Schallplatten erhalten sind, äußerst selten. Die von Gerhard Ritter 1951 herausgegebenen „Tischgespräche“ und die fälschlich als Testament bezeichneten letzten Aufzeichnungen (frazösisch und englisch 1959—1961 erschienen) wiedergeben Zweckpropaganda, vorgetragen vor einem kleinen Forum von Zuhörern des Hauptquartiers.

Dies trifft auch für manches Dokument zu, das in Nürnberg beim Prozeß als Niederschrift von Beteiligten vorlag, welche heimlich bei einzelnen internen Besprechungen Notizen machten.

Hitlers Weisungen für den Krieg, dessen Vorbereitung und Führung waren bisher nur fragmentarisch bekannt. Der amerikanische Historiker Felix Gilbert hat als erster neben den Herausgebern des Nürnberger Prozeßberichtes in seinem Werk „Hitler Di-rects His War“, New York 1950, auf die sogenannten Lagebesprechungen hingewiesen, von denen er nur Fragmente veröffentlichte. Aus den in britischer Obhut befindlichen Dokumenten der deutschen Marineführung erschienen 1947 die Unterredungen Hitlers mit den Spitzen der deutschen Seekriegsführung. Prof. Percy Ernst Schramm, einst Kriegstagebuchführer des OKW, begann 1962 mit der Herausgabe des offiziellen Kriegstagebuches.

Auch das jüngst herausgegebene Kriegstagebuch des Generalobersten Halder zeugt für die Anfangsphase des Krieges von den Entschlüssen Hitlers im Spiegel der kurzen Notizen des Chefs des Generalstabes des deutschen Heeres. Deshalb ist es ein besonderes Verdienst des Instituts für Zeitgeschichte in München und seines durch mehrere Arbeiten (darunter eine ausgezeichnete Goebbels-Biographie) hervorgetretenen Referenten Dr. Helmut H e i b e r, die Protokollfragmente der militärischen Konferenzen Hitlers aus den Jahren 1942 bis 1945 mustergültig ediert zu haben*.

Die Niederschriften der Lagebesprechungen hatten ihren Ausgangspunkt in einem Befehl Hitlers aus dem Spätsommer 1942. Wegen eines Konflikts mit seinen eigenen Führungsstäben bezüglich der militärischen Operationen im Kaukasus kam es zu einer schweren Vertrauenskrise, und Hitler befahl, in Zukunft zu seiner eigenen Rechtfertigung durch vereidigte und hochqualifizierte Stenographen des seit 1933 wenig beschäftigten deutschen Reichstages den Inhalt der Lagebesprechungen, die täglich mittags und abends im Führerhauptquartier stattfanden, mitzuschreiben. Nun wurde jedes gesprochene Wort aufgenommen, drei Niederschriften angefertigt und eine Kopie dem militärischen Historiker, Generalmajor Scherff, zu Zwecken der Kriegs-geschichtsschreibung übermittelt. Da man der Zeitgeschichte immer wieder ankreidet, daß sie quellenkritisch keineswegs mit den Schwierigkeiten zu kämpfen hätte wie etwa die Geschichtsschreibung des Mittelalters, darf in diesem Fall darauf hingewiesen werden, daß im Falle der „Lagebesprechungen“ Hitlers ein klassisches Beispiel der Quellenforschung der neuen Geschichte vorliegt. Dr. Heiber mußte nämlich, nachdem die 103.000 Blätter der Lagebesprechungen über Befehl des persönlichen Referenten Bormanns in der Nähe von Berchtesgaden teilweise verbrannt worden waren, den Gesamttext aus den von den Amerikanern erbeuteten und teilweise mit Hilfe von Hitlers einstmaligen Stenographen wieder rekonstruierten Niederschriften neu erstellen, wobei nur 1500 Blätter mit Lücken und Bruchstücken nunmehr veröffentlicht werden konnten. Sie enthalten rund fünfzig Besprechungen im Zeitraum vom 1. Dezember 1942 bis 28. März 1945.

Hitler als Feldherr, nach dem oft gebrauchten Slogan „Der Führer starb, die Generäle schrieben“ — was geben uns unter dieser Blickrichtung die vorliegenden Protokollfragmente? Zunächst wohl eines: Wie der Herausgeber bemerkt, kommt nach der Nachkriegsabrechnung der Generalität mit Hitler, die bekanntlich unter dem Aspekt des oben angeführten Schlagwortes steht, nun auch der Angeklagte zu Wort. Die Simplifizierung, daß der zweite Weltkrieg nur verloren wurde, weil der kleine Gefreite nicht auf die Ratschläge der Fachleute gehört hätte, läßt sich nicht mehr aufrechterhalten angesichts der oft geradezu beschämenden Unterwürfigkeit der an den Lagebesprechungen teilnehmenden Generäle und Stabsoffiziere gegenüber Hitlers oft ausschließlich aus politischen Gründen ergehenden Weisungen.

Wenn man aufmerksam die vorliegenden Protokolle liest, so zeigt sich, daß nur wenige Persönlichkeiten in Hitlers Umgebung, darunter manchmal Jodl.-dem Einfluß semer Argumentation Widerstand zu leisten verstanden. Gegenüber Hitlers Kenntnissen auf rein militärtechnischem Gebiet vermochte die Generalität der ehemaligen Reichswehr, deren teilweise notorische Unbildung allein durch die seit 1918 bedingte Kastenanschauung erklärbar erscheint, kaum aufzukommen.

Einige Beispiele: Aus dem Munde des so sehr gegen die Tschechen eingenommenen obersten Befehlshabers mußten die Fachleute am 26. Oktober 1943 bezüglich der Fertigung einer schweren Feldhaubitze bei Skoda zur Kenntnis nehmen: „Hätten wir seinerzeit, statt die dumme Umstellung bei Skoda zu machen, weitergearbeitet, hätten wir dort unsere Haubitzen bekommen und würden heute mindestens 1000 anständige Feldhaubitzen haben“ (Seite 406). Aber Hitlers altösterreichische Rüstungsreminiszenzen setzen sich noch fort, als in der Abend-lage am 18. Juni 1944 neuerdings die Frage der Artillerie zur Debatte stand: „Der Führer: .Seinerzeit im Jahre 38/39 bei der Ts,chechenge6chichte ist geaast worden. Wertvollste Kanonen,. . sind alle-' verschrottet worden. Das- war ein Einheitsfimmel. Mit knapper Not, daß man die Tschechehhaubitzen vor dem Verschrotten gerettet hat!' “ Wenngleich diese Bemerkungen Hitlers keineswegs im Sinn einer nachträglichen Rechtfertigung des technischen Könnens der tschechoslowakischen, sprich altösterreichischen Rüstungsindustrie aufgefaßt werden dürfen, so sei hierbei auf die profunden Untersuchungen des Wiener Waffenhistorikers, Hauptmann der Reserve des österreichischen Bundesheeres Dr. Fritz Wiener, in der Zeitschrift „Feldgrau“ (7. Jahrgang, Heft 6, 1959) verwiesen.

Bemerkenswert ist aber aueh, wie sehr Hitler vor seiner Umgebung in der Endphase seines Wirkens den um den altösterreichischen Raum besorgten Feldherrn zu spielen begann. Gerade gegenüber dem aus österreichischen innenpolitischen Affären bekannten Gesandten von Sonnleithner wird in der Mittagslage vom 6. November 1944 angesichts der möglichen Bedrohung des Wiener Raumes die 44. Division, der man altösterreichische Tradition nachsagte, für die Verteidigung Wiens vorgesehen (Seite 688). Besonders interessant ist aber auch Hitlers Schauspielerei in der Mittagslage vom 26. Juli 1943 — während der Krise um ltalien;.5S, ••m

„Der Führer; ,Wir müssen nur auf-passen.daß nicht hier bei'deti Ungarn' noch irgendwelche Schweinereien passieren. Welche Verbände können wir unter Umständen kurzerhand da hineinjagen? ... Pantherabteilungen. Kann man da noch irgend etwas heranimprovisieren? Wenn da eine Schweinerei wäre ... Nun, ich bin nicht im Bilde, wo yjie liegen. Wo liegen die? In Döllersheim. Das wäre ja gleich Niederösterreich“ (Seite 332). So der oberste Befehlshaber, auf dessen Weisung seit 1942 die „Alpen- und Donaureichsgaue“ als einziger Sammelbegriff des alten Namens Österreich kategorisch verfügt worden waren. Oder erinnerte er sich der Heimat seiner Ahnen, die zum Truppenübungsplatz gemacht worden war? Negativer Heroenkult

Als Abschluß sei dem Herausgeber das Wort erteilt: „Denn was man auch immer zugunsten oder zuungunsten des Feldherrn Hitler anführen mag und welche Mosaiksteine sich auch immer aus den vorliegenden Protokollen zur Vervollständigung seines Porträts gewinnen lassen mögen, das eine sollte auf keinen Fall übersehen werden: Die deutsche Wehrmacht ist hn zweiten Weltkrieg weder deshalb geschlagen worden, weil Hitler sie vielleicht so miserabel geführt und weil er die Stäbe ständig gehandikapt habe, noch deshalb, weil etwa die genialen Intuitionen des Führers von seinen zumindest bornierten, wenn nicht noch übleren Generälen gewöhnlich verwässert oder gar sabotiert worden seien. Wieviel auch immer Bundesgenossen, Agenten, Widerständlern oder wem sonst noch die Schuld gegeben wird und wie verhängnisvoll sich auch immer im einzelnen oder selbst auf weite Sicht Entscheidungen Hitlers in der Kriegsführung ausgewirkt haben mögen — militärisch konnte der Krieg nach 1941 nicht mehr gewonnen werden, und militärisch ist er bis 1941, trotz glänzender Erfolge, nicht gewonnen worden.

Der Krieg selbst und die Konstellation, in der er schließlich geführt werden mußte, waren das Ergebnis der Hitlerschen Politik, und auf politischem Weg allein hätte vielleicht noch versucht werden können, mit so heiler Haut wie möglich aus jenem Kriege wieder herauszukommen. Die Entschlüsse zum .totalen Krieg' und zum .Krieg bis fünf Minuten nach zwölf waren keine militärischen Entscheidungen, sondern politische; sie und viele andere belasten daher den Staatsmann Hitler, nicht den Feldherrn. Nur um den letzteren aber handelt es sich hier — nicht um den Politiker und ebenfalls nicht um den Zerstörer Europas, den Henker der Juden, den Mann mit dem Rassenwahn und den Ausrottungsphantasien. Wenn dies auch alles in der einen Person zusammenfließt, so darf man doch die verschiedenen Seiten einzeln betrachten, sofern man sich nur des makabren Ganzen bewußt bleibt. Der Heroenkult des Negativen aber, der Hitler auf allen Gebieten und oft völlig unverdient eine qualitativ von allen anderen grundsätzlich verschiedene Größe als dämonischer Verderber von gigantischem Ausmaß attestieren möchte, bleibt dabei doch Heroenkult. Es gilt, verstehen zu lernen, daß es im Gesamtbild Aspekte gibt, die diesen Mann als durchschnittlich oder mäßig gut erscheinen lassen“ (Seite 31).

' ,.Hitlers Lagebesprechungen. Die Protokollfragmentc seiner militärischen Konferenzen 1942 bis 1945.“ Herausgegeben von Helmut Heiber“ Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte. Band 10. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart, 1962. 970 Seiten, 13 Karten, Preis Leinen 96 DM.

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