Hitlerike und Adolfine waren unerwünscht

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Demnächst erscheint eine wissenschaftliche Untersuchung darüber, was die Vornamen der Kinder über die politische Gesinnung ihrer Eltern verraten.

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Demnächst erscheint eine wissenschaftliche Untersuchung darüber, was die Vornamen der Kinder über die politische Gesinnung ihrer Eltern verraten.

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Untersuchungen über die Geschichte der Taufnamen geben dem Culturhistoriker gar merkwürdige Aufschlüsse über die Wandelungen im nationalen, gesellschaftlichen und Familiengeiste des Volkes." Die Einsicht des Volkskundlers Wilhelm Heinrich Riehl aus dem Jahr 1855 wird oft zitiert, ist aber selten Ausgangspunkt historischer Arbeit. Doch was heute die Demoskopie leistet, kann die quantitative Analyse von Vornamen als Ersatzmethode für Perioden erbringen, aus denen keine Umfragen überliefert sind. Statt auf die veröffentlichte Meinung der Eliten lenken sie den Blick auf die Einstellung der "schweigenden Massen".

Seit fast zehn Jahren führt die Münchner "Forschungsstelle deutsch-jüdische Zeitgeschichte" unter der Leitung von Michael Wolffsohn und mir ein Forschungsprojekt zur deutschen Geschichte zwischen Französischer Revolution und Wiedervereinigung durch, das auf dem Aussagewert der Vornamen aufbaut. Schlug sich - fragten wir unter anderem - der große Säkularisierungsprozeß des 19. und 20. Jahrhunderts in der Vornamengebung nieder? Wie reagierten die Menschen auf Krisen, Revolutionen, Umbrüche? Wieviel Hoch- oder Mißachtung brachten sie den jeweiligen gekrönten oder gewählten Häuptern, "Führern" und Diktatoren entgegen? Wie anfällig oder resistent zeigten sie sich gegenüber Ideologien? Wie stark variierten die Haltungen sozialer Schichten, unterschieden sich städtische von ländlichen, katholische von protestantischen Bevölkerungen, Christen von Juden?

Anhand von über 1,2 Millionen Namen aus Kirchenbüchern, Meldelisten und anderen Quellen konnten wir diese und andere Fragen umfassend beantworten. Als Ergebnis glauben wir, zum ersten Mal eine deutsche Geschichte der letzten 200 Jahre "von unten" vorlegen zu können.

Ein zentrales Kapitel unseres Buches behandelt die politische Orientierung der Deutschen während des "Dritten Reiches". Der Nationalsozialismus versuchte alle Bereiche des Lebens zu reglementieren. Auch die Vornamen wurden Vorschriften unterworfen. Dienten diese in erster Linie dazu, insbesondere die Juden zu stigmatisieren, engten sie auf der anderen Seite den Spielraum der "Arier" nicht sehr ein. "Kinder deutscher Volksgenossen sollen grundsätzlich nur deutsche Vornamen erhalten", ließ das Reichsinnenministerium im April 1937 verlauten. Ein "Runderlaß" vom 18. Februar 1939 ergänzte jedoch: "Bei der Anwendung der Richtlinien... wird nicht selten zu engherzig verfahren. Grundsätzlich steht es den Eltern... frei, welche Vornamen sie für ein Kind auswählen." Kein "arischer" Deutscher mußte seinen Kindern Namen geben, die der NS-Ideologie besonders entsprachen. Man konnte, mußte aber die Kinder nicht Adolf, Horst, Uta oder Gudrun nennen. Wer es tat, bekundete Gesinnung, erfüllte ein Übersoll. Ein unverdächtiger "Peter" oder "Joseph", eine neutrale "Maria" oder "Johanna" waren immer möglich. Dies ist eine wichtige Voraussetzung für die Interpretation des Materials.

Die potentiell NS-lastigen, germanischen und nordischen Namen, die auf althochdeutsche oder altnordische Ursprünge zurückgehen, erreichten 1938 50 Prozent der Namensgebungen. Ihr Anteil stieg bis 1940 auf 52 Prozent, um dann wieder abzunehmen. Mehr als die Hälfte der Eltern paßte sich also 1938 den Wünschen der Machthaber an und wählte ideologiekonforme Vornamen. Diese Anpassungsbereitschaft sank im Krieg, einen Einbruch erlebten die germanischen und nordischen Namen jedoch erst 1944 und 1945, als ihr Anteil mit 46 Prozent auf den hohen Stand von 1937 zurückfiel.

Nordische Namen nahmen stärker zu als germanische. Zwischen 1934 und 1938 stieg der Anteil nordischer Namen von etwas über sechs auf zehn Prozent, um ab 1941 ebenso schnell wieder zu sinken. Wir nehmen an: Sympathisanten der Lehre von der germanisch-nordischen Herrenrasse nannten mit Vorliebe ihre Söhne Rune, ihre Töchter Ragnhild. Übereifrig übrigens, denn allzu nordisch klingende Namen sah man nicht so gerne. Die Namen sollten sich - gemäß "Runderlaß" vom 18. Februar 1939 - "zwanglos" in die deutsche Sprache einfügen. Damals hatten die nordischen Namen ihren Zenit bereits erreicht. Zur Dämpfung der Begeisterung trug auch hier der sich zur Katastrophe ausweitende Krieg bei.

Auf geeichte Parteigänger verweist eine Untergruppe. "Germanisch-ideologisch" nennen wir Vornamen, deren deutschtümelnder Klang besonders nachdrücklich die Intentionen der Machthaber unterstrich. Noch heute erscheinen uns Namen wie Elfrun, Gerhild, Reglindis, Oto, Volprecht und Gundomar belastet. Erstaunlicherweise blieb die Rate relativ gering und bewegte sich nach 1933 lediglich zwischen einem und 1,2 Prozent. Eine signifikante Abweichung von der Entwicklung der "normalgermanischen" und nordischen Namen bestärkt uns in unserer Interpretation. Während jene nach 1940 stagnierten oder zurückgingen, legten die germanisch-ideologischen Namen zwischen 1941 und 1943 noch kräftig zu und erreichten 1943 mit 1,4 Prozent ihren höchsten Stand: Die Unbelehrbaren bäumten sich noch einmal auf.

Ein eindeutiges Bekenntnis legten sicher jene ab, die nach 1933 Söhne "Adolf" nannten. Hatte der Adolf im ersten Drittel des Jahrhunderts kaum je über ein Prozent erreicht, stieg er 1933 auf über 2 und 1934 auf 2,2 Prozent. Danach sank die Popularität schon wieder. Nach 1935 hießen nur noch 1,3 Prozent wie der "Führer". Ein geringer Aufschwung 1939 dürfte auf den Beginn des Krieges zurückzuführen sein. Anschließend ging es rapid bergab.

Auf die Hitliste der zehn beliebtesten Namen kam der Adolf zwischen 1933 und 1945 nie. Hitler selbst stand der massenhaften Vergabe seines Namens distanziert gegenüber. Erlaß vom 3. Juli 1933: "Wird ... der Antrag gestellt, den Namen des Herrn Reichskanzlers als Vornamen, sei es auch in der weiblichen Form Hitlerine, Hitlerike... einzutragen", so sei dem Antragsteller nahezulegen, einen anderen Vornamen auszuwählen, da der gewählte "dem Herrn Reichskanzler unerwünscht" sei. Er fürchtete die Beeinträchtigung seines Namens "in seiner Bedeutung als nationales Symbol". Sicher trug dies zur geringen Häufigkeit des Adolf bei.

Aber da war ja noch der zweite wichtige Nazi-Name, "Horst". Er bot all jenen eine beliebte Alternative, die mit den Nazis sympathisierten, jedoch nicht den Namen des "Führers" wählen mochten, aus welchen Gründen immer. Sogar die Horsta finden wir, ein unfreundliches Schicksal hatte statt des Sohnes eine Tochter gesandt. Horst war für diese Eltern ein Muß, notfalls eben in einer grotesk movierten weiblichen Form.

Horst erinnerte an den 1930 von einem Kommunisten erschossenen SA-Sturmführer Horst Wessel, den die Propagandisten zum Märtyrer stilisiert hatten. Im Horst-Wessel-Lied verherrlichten sie sein vermeintliches Heldentum: "Die Fahne hoch!" Sofort nach 1930 war der Horst-Anteil sprunghaft gestiegen, eine erste Spitze erreichte er 1933, wie Adolf mit 2,2 Prozent. Im Gegensatz dazu verlor Horst bis 1938 wenig, ja schwang sich während des ersten Kriegsjahres zu einem neuen Gipfel von 2,7 Prozent empor. Seit 1941 fand sich aber auch Horst auf Talfahrt.

Kaum minder als Horst wurde auch ein Frauenname gezielt mit NS-Inhalten unterfüttert: Uta. Den Kult, der sich seit den späten zwanziger Jahren um eine hochmittelalterliche Skulptur entwickelt hatte, griffen die Nazis geschickt auf. Uta von Naumburg, eine der historisch kaum zu fassenden Stifterfiguren vom Westchor des Naumburger Doms, wurde zum "Muster deutscher Weiblichkeit" stilisiert. Als Vorbild der deutschen Frau projizierte man auf sie all jene Tugenden, die von der Leidensfähigkeit der deutschen Frauen bald gefordert werden sollten. "Wie Uta" sollte die deutsche Frau Heldin und opferbereite Verteidigerin ihres Landes sein, die den Mann freudig in den Kampf ziehen ließ und auch in der Katastrophe eine stolze Haltung bewahrte, eine "säkulare Heilige für schlechte Zeiten" (Wolfgang Ullrich).

Die Vergabehäufigkeit des Vornamens Uta läßt den nationalsozialistisch instrumentalisierten Uta-Rummel erkennen. Die Zusammenhänge mit der braunen Ideologie sind nicht zu übersehen. Im Sinne der Machthaber hätte der Effekt aber sicher intensiver ausfallen können. Fast bei Null lagen in München die Uta-Werte bis 1933. In einen regelrechten Uta-Taumel verfielen die Münchener dann ab 1935 - könnte man auf den ersten Blick meinen, wenn man die Uta-Kurve betrachtet. Doch der Schein trügt, auch das Vielfache von fast Null blieb fast Null. Die Höchstwerte haben 0,4 Prozent nie weit übertroffen. Die NS-geförderte Uta-Ideologie war also kein wirkliches Massenphänomen, griff offenbar nicht wie vom Regime gewünscht. Bei den ideologisierbaren Bevölkerungsteilen waren die Schwankungen offenkundig politisch bedingt, wobei der "harte Kern" lange hart blieb, länger als bei der an sich größeren Adolf- und Horst-Gruppe, nämlich bis zum Ende des Krieges. Erst von 1944 auf 1945 ging der Uta-Anteil erheblich zurück.

Wir sehen Hundertprozentige, Überzeugte, Mitläufer. Ein großer Teil der Deutschen, zeitweise über 50 Prozent, paßte sich an, ging den Weg des geringsten Widerstandes, blies ins Horn des Zeitgeistes. Natürlich: Über die Motivationen des einzelnen sagen die Namen nichts. Daß Mitläufertum auch aus Angst entstand, darf nicht vergessen werden. Doch belegen die Namen auch, daß die wirklich Überzeugten in der Minderheit blieben. Fast die Hälfte gab ihren Kindern keine NS-infizierten Namen.

Wo die Ideologen gezielt versuchten, Namen zu vereinnahmen, Horst und Uta, ernteten sie nur beschränkten Erfolg. Ihr Vorgehen war freilich effizient, wenn es darum ging, "in der Luft liegende" Trends aufzugreifen, wie den Rummel um Uta, deren Popularität ja zunächst ein Phänomen der zwanziger Jahre war. Auch die germanisch-nordischen Namen hatten bereits seit dem Anfang des Jahrhunderts ständig zugenommen.

Schnell, schon 1934/35, flaute die erste Begeisterung ab. Neuen, kurzen Auftrieb gab einigen der Kriegsbeginn. Die Ernüchterung folgte spätestens 1941 auf dem Fuß. Die Nazifizierung der Deutschen hing offenkundig stark vom äußeren Erfolg des "Führers" und seiner Bewegung ab. Waren die Eltern der Adolf und Horst, Uta, Sigrun und Gundomar ein Volk von Unbelehrbaren, Mitläufern, Mitmachern? Zumindest für die Hälfte der Deutschen kann man es so sehen. Doch die andere Hälfte zeigte sich immun gegen die zwar nicht erzwungenen, doch erwünschten Teutonismen. Das Glas ist halb voll oder halb leer, je nach Standpunkt.

Der Autor ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Lehrbeauftragter am Historischen Institut der Universität der Bundeswehr München sowie zweiter Vorstand der "Forschungsstelle deutsch-jüdische Zeitgeschichte". Das Buch von Michael Wolffsohn und Thomas Brechenmacher erscheint unter dem Titel "Die Deutschen und ihre Vornamen. Zwei Jahrhunderte Politik und öffentliche Meinung" im Diana-Verlag, München.

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