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Hochschule oder Universität?

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Österreich gründete auf dem Gebiet des technischen Bildungswesens schon Anfangs des 19. Jahrhunderts Lehranstalten. Das 1806 in Prag eröffnete Polytechnikum, dessen Vorbild die Ende des 18. Jahrhunderts, in Paris errichtete Ecole poly-technique gewesen war. war die älteste polytechnische Schule im deutschen Sprachraum. 1815 wurde nach dem von Kaiser Franz I. genehmigten Organisationspläne das polytechnische Institut in Wien als „Zentralbildungsanstalt für den Handel und das Gewerbe“, als „Konservatorium für Künste und Gewerbe“ und als „Verein zur Beförderung der Naitianalindustrie“ errichtet. Als Lehranstalt bestand das Institut aus einer kommerziellen und aus einer technischen Abteilung. Diese erweiterte sich stetig zu einer Art von höherer technischen Pachichule. Der Anstalt stand ein von Staat auf Dauer ernannter Direktoi ror.

Seiner Rechtsgestalt nach war dai Polytechnikum eine Anstalt de: Staates, also eine mit materieller md finanziellen Mitteln ausgestat-ete staatliche Oreanisationseinheit auf die der Staat als Anstaltsträgei seinen jeweiligen Interessen urw Zielen entsprechend Einfluß nimmt Für den Anstaltsbegriff ist ein Bestand an Mitteln persönlicher unc ;achi icher Art wesentlich, der füi Dauer bestimmt'« Ist, dein durch der Einsatz der Mittel 'v*rrblg«en Zwecl ler öffentlichen Verwaltung zu dielen. Nicht wesentlich für den An-staltsbegriff ist die Rechtspersönlich-ceit. Diese dürfte auch dem Polytechnikum gemangelt haben. Die Ftechtsform der Anstalt (oder wie ei damals hieß: Veranstaltung dei Staates) entsprach der damaliger Staatsideologie, der zentralistischer Verwaltungsstruktur und derr cameralistischen Interesse.

Dieser Rechtscharakter fordert zi rfnem Vergleich mit dem der dama-igen Universitäten heraus. Allzuofi werden diese auch für die Zeit des absoluten Staates als „Genossenschaften der Lehrenden oder der Lernenden“ und als mit traditionellen autonomen Rechten ausgestattete Korporationen angesehen. Damit sieht man aber nur das aus dem Mittelalter stammende Bild und übersieht die historische Tatsache.

daß den österreichischen Universitäten unter dem Regime des Pölizei-staates vor dem Jahre 1948 jegliche Freiheit fehlte. Faktisch bestand kein großer Unterschied zwischen dem Betrieb der Universitäten und dem des neuen Polytechnikums, ja dieses War jenen sdg^rr^duwh ein Mehr an Lernfreiheit überlegen. Der Studienplan war relativ unbestimmt; jedermann stand es frei, sich jene Kombination von Lehrgegenständen zu wählen, die ihm am günstigsten schien.

Die Universitätspolitik der absoluten Monarchie zielte auf Ausbildung von Staatsdienern (Beamten, Richtern, Lehrern, Ärzten Priestern), die Gewährleistung einer staatsfreien Sphäre der Wissenschaft für Institutionen und Individuen lag außerhalb ihres Zielbereiches. Die absoluten Herrscher entzogen die Universitäten zwar dem früher bestandenen kirchlichen Einfluß, doch nahmen sie die Gestaltung der Ordnung des Universitätswesens nicht an sich, um den flohen Schulen die althergebrachten, 2igentümliehen Korporationsrechte wieder zu geben oder sie mit neuer Freiheit und Autonomie auszustatten, sondern um sie ganz ihrem Einfluß zu unterwerfen.

Schicksalsjahr 1848

Die im Lauf des 18. Jahrhunderts säkularisierten Universitäten wurden de facto Staatsanstalten mit einem Minimum an relativ selbständiger Verwaltung. Die autonome korporative Struktur wurde ausgehöhlt. Die Institution der Studiendirektoren, die die moralisch-politische und wissenschaftlich-pädagogische Führung der Professoren von Amts wegen beaufsichtigten, charakterisiert den Geist dieser Zeit, Der Grundsatz der Freiheit der Wissenschaft war in Österreich unbekannt. Anders als im übrigen deutschsprachigen Raum, wo etwa in Preußen die Gründung der Berliner Universität schon in Anerkennung der Lehrfreiheit erfolgte — Humboldt, Fichte und Schleiermacher bürgten dafür —, vollzog sich die österreichische Hochschulreform erst ab dem Jahre 1848. Es ist nach F. Kleinwächter den Errungenschaften dieses Jahres zu danken, daß die österreichischen Universitäten in ihrer Organisation im wesentlichen den deutschen gleichgestellt wurden. Er schreibt: „Der einzige Unterschied zwischen hier und dort besteht lediglich darin, daß in Österreich der Staat, als er die Universitäten emanzipierte, sich ein um ein unibedeutendes weitergehendes Oberaufsichtsrecht vorbehielt.“ Im einzelnen war und ist der Einfluß des Staates in Österreich stärker als in Deutschland (die DDR ausgenommen). Auch die Rechtsform der unselbständigen Anstalt mag dazu beigetragen haben. Selbst heute haben die wissenschaftlichen Hochschulen nicht die rechtliche Fähigkeit ihren autonomen Wirkungskreis zu verteidigen. Mangels Rechtsfähigkeit können sie ihre „Autonomie“ gegenüber dem Staat weder vor dem Verwaltunigs- noch vor dem Verfassungsgerichtshof erkämpfen. In diesem Sinne ist dem ehemaligen Sektionschef im k. k. Ministerium für Kultus und Unterricht, Karl Lemayer, noch heute beizupflichten, der 1878 sagte, daß „bei den österreichischen Hochschulen in der That dje wissenschaftliche und die staatliche Bestimmung derselben in einer

— wie uns wenigstens scheinen will

— vollkommenem Vereinigung auftritt, als anderwärts“.

Lehr- und Lernfreiheit

Der Leitgedanke, von dem in Österreich FewchterslebeMt, Exner und Thun ausgingen, war das Prinzip der Lehr- und Lernfreiheit. Er fand seinen Niederschlag in der Organisation der akademischen Behörden (1849) und in der allgemeinen Studienordnunig (1850). Wie sich die österreichischen Universitäten den deutschen anglichen, so nahmen die technischen Lehranstalten Österreichs in einem „natürlichen Assimilationsprozeß nach und nach von den Universitäten auf, was sie zur Förderung ihrer Ziele organisch mit sich verbinden konnten“. Dieser Anpassungsprozeß konnte von der Basis der gleichen Rechtsform, der staatlichen Anstalt, ausgehen.

Seit der Verstaatlichung der Universitäten im Polizeistaat ist nämlich die Rechtsform der Anstalt das Verfassungsprinzip der österreichischen Hochschulen.

Dazu kam, daß auch den technischen Anstalten Lehr- und Lernfreiheit und später das Institut der Privatdozenten zugestanden wurde. Ein Hindernis der Assimilierung bestand aber im Mangel einer Regelung zu den Aufnahmebedingungen: Maturitätsprüfung wurde im Gegensatz zu den Universitäten nicht verlangt; ane milde Aufnahmeprüfung genügte. Es gab keinen Prüfungs-rwang; meist wurden nur Frequen-tationszeugnisse ausgestellt. Den austretenden Studenten erwarteten ceinerlei Staatsprüfungen oder Diplome.

Eine Unterbrechung im Prozeß der Assimilation trat dadurch ein, daß nach einer kurzen Zeit der Selbstverwaltung — 1848 war die Leitung ler technischen Lehranstalten den Drofessorenkollegien übertragen worden — das Wiener Polytechnikum bis zum Jahre 1858 einer mili-ärischen Leitung unterstellt wurde. Der Absolutismus hatte sich wieder stabliert. Um 1860 trat eine Wende sin. Der Vorstoß ging vom Profes-orenkollegium des Wiener Poly-echnikums aus. Ein Organisationstatut wurde entworfen. Von den in liasem Entwurf beantragten sieben Fachschulen wurden alletvii TYPS airf Grund der Allerhöchsten Entschließung vom 17. Oktober 1865 in dem sanktionierten, von dem damaligen Unterrichtsrat revidierten Organisationsstatut nur vier, nämlich die Ingenieurschule, die Hochbauschule, die Maschinenbauschule und die Chemisch-Technische Schule, ins Leben gerufen. Das neue Statut brachte auch eine Änderung in der Führung der Anstalt: An die Stelle der ständigen Direktoren traten nach dem Vorbild der Universitäten für ein Jahr gewählte Rektoren. Die Fachschulen erhielten auf Zeit gewählte Vorstände. Zum Eintritt in die Anstalt wurde die Maturitätsprüfung oder eine rigorose Aufnahmsprüfung gefordert. An die Hörer wurden ab nun Jahreszeugnisse ausgestellt. Der damals weite Weg von der Fach- zur Hochschule war geebnet.

Die „Magna Charta“

1867 erhielten die Hohen Schulen ihre Magna Charta; Art. 17, Abs 1 des Staatsgrundgesetzes über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger bestimmte: „Die Wissenschaft und ihre Lehre ist frei.“ Die Symbiose von wissenschaftlicher und staatlicher Bestimmung der Hochschulen scheint aber auch im Art. 17 StGG auf. Einerseits wird im Abs. 1 die

Freiheit der Wissenschaft und ihrer Lehre statuiert, anderseits wird im Abs. 5 rücksichtlich des gesamten Unterrichts- und Erziehungswesens dem Staat das Recht der obersten Leitung und Aufsicht eingeräumt, die österreichische Hochschule besaß und besitzt eine Doppelnatur, der zufolge sie „eine dem Staat zugewandte und eine dem staatlichen Einfluß entzogene Seite hat“ (Le-mayer). Mit dem Art. 17 StGG stand das am 27. April 1873 erlassene Gesetz über die Einrichtung der akademischen Behörden im Zusammenhang. Es hatte nach Merkl die Bedeutung der organisatorischen Grundlegung der Universitäten im Sinne der staatsgrundgesetzlichen Ordnung der wissenschaftlichen Forschung und Lehre.

Diese Gestaltungsprinzipien hatten sich aber auch auf das Wiener Polytechnikum ausgewirkt. Wieder entwarf das Professorenkollegium Reformvorschläge; sie konnten aber wegen der schwierigen Verfassungslage nicht sofort verwirklicht werden. Die Anträge wurden aber 1870 unter dem Vorbehalt der verfassungsmäßigen Zustimmung der zuständigen Staatsorgane „provisorisch“ in Geltung gesetzt. Die kompetenzrechtliche Lage war folgendermaßen:

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