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Hohe und Hohere Schule

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Eine Not, an die niemand denkt, wollen wir nicht vergessen. Es gibt für die Universitäten und Hochschulen keinen gemeinsamen Namen. Oder sollen die einen für die Forschung und die anderen für den Beruf ausbilden? Diese Trennung läßt sich aber bei der zunehmenden Verwissenschaftlichung unseres Lebens nicht mehr aufrechterhalten. Theodor Litt spricht ausdrücklich von der „wissenschaftlichen Hochschule“. Also muß es auch eine andere geben. Vielleicht könnte man sehlicht und einfach von den Hohen Schulen sprechen. Allerdings stehen dann in Österreich die sogenannten Höheren Schulen, ohne die man nicht mehr auszukommen glaubt, darunter. Aber für solche sprachliche Feinheiten oder gar Widersprüche hat unsere Zeit kein Verständnis und kein Gefühl.

Die Universität, einst die Gesamtheit der Lehrer und Schüler, genoß zur Zeit ihrer Gründung eine gesellschaftliche Sonderstellung, die ihr Kaiser und Papst zur Wahrung der rechtlichen und geistigen Selbständigkeit gewährleisteten. Wo man sich in dieser Sonderstellung bedroht fühlte, wanderten Lehrer und Schüler ab und gründeten anderswo eine neue Universität.

In der bürgerlichen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts entwickelte sich der wissenschaftlich ausgebildete Stand allmählich zum höchsten Stand. Fichte meint, daß es neben „dem wissenschaftlich ausgebildeten Stande“ keinen höheren Stand mehr gebe, alles übrige gehöre zum Volk. Diese gesellschaftskundliche Zwei-heit reicht bis in unsere Tage herein. Volksbildung und Volkshochschule sind hiefür der sprachliche Ausdruck.

Der Ausbau der Naturwissenschaften brachte den Universitäten, ganz besonders aber den berufsbildenden Hochschulen einen großen Aufschwung. In gesellschaftlicher Hinsicht sprach man von einem Bündnis zwischen Besitz und Bildung. Das ist allerdings nicht so zu verstehen, daß Unbemittelte überhaupt keinen Zugang zur Bildung gefunden hätten. Das Schlagwort vom Bildungsvorrecht gehört in die Parteipolitik.

Als in Österreich der Adel abgeschafft wurde, trat an die Stelle des „Herrn Baron“ der „Herr Doktor“. Unsere Zeitungen haben es sich zur Gewohnheit gemacht, alle „Persönlichkeiten“ einfach mit „Doktor“ zü bezeichnen, auch wenn keinerlei Voraussetzungen für diesen Titel vorhanden sind. Dazu kommt noch, daß die Universitäten etwas freiherzig mit der Verleihung des Doktortitels, auch ehrenhalber, umgehen.

Einer ähnlichen Beliebtheit erfreut sich der Titel Professor. Hierfür braucht's keine Universität, das macht das Staatsoberhaupt allein. Der Professortitel ist eine Auszeichnung für Dichter, Schriftsteller, Schauspieler und was sonst mit Kultur zu tun hat, fernab jeder akademischen Bildung. Welcher Berufs-bezeichnung widerfuhr ähnliches?

.Die Sucht nach dem „Dozenten“ Ist nicht minder groß. Wenn es schon nicht ein Dozent an der Universität der an einer Hochschule ist, so doch wenigstens Dozent an der Volkshochschule.

Auch akademische Kreise sind nicht ganz frei von dieser Art Ehrgeiz. Rechnet es sich nicht jeder zur Ehre an, an eine Universität berufen zu werden, auch wenn der Lehrstuhl an der Hochschule besser ausgestattet wäre? Die Universität scheint mehr zu sein als die Hochschule. Alles, was Hochschule und Universität angeht, lebt in einem Zeitalter der Schwemme und der Vermassung.

Die gesellschaftlichen Verhältnisse spiegeln sich auch im Forschungsbetrieb.

Ursprünglich diente die Universität nicht der Berufsausbildung. Weder Staat noch Kirche, weder Gesellschaft noch Wirtschaft verlangten für ihre Zwecke Universitätsausbildung. Das gelehrte, wissenschaftliche Interesse, das Wissen und Erkennenwollen um seiner selbst willen, die Suche nach Wahrheit bestimmten Sihn.und ZweckMer^llnl* versftät. Aus'T-frfre zur WTss^nscnaft gab man sfclWiw^ FOTJscn^g^Töfi.' Gewiß bildete die:' Universität auch für den Beruf aus, aber sie war für den Beruf nicht Voraussetzung. Sie ermöglichte auch einen gesellschaftlichen Aufstieg.

Im Aufklärungszeitalter trat der Nützlichkeitsstandpunkt in den Vordergrund. Man strebte nach brauchbaren Kenntnissen, brauchbar für einen Beruf. Daneben entwickelte sich ein Wissenschaftsbetrieb außerhalb der Universitäten in den gelehrten Akademien. 1635 entstand die Academie francaise, 1662 die Royal Society, um 1770 die Preußische Akademie der Wissenschaften.

Der Fortschritt der Wissenschaften, vor allem der Naturwissenschaften und der Technik, förderte das Aufkommen von Fachhochschulen mit dem Ziel einer Berufsausbildung. „Die großen Institute sind ,staatskapitalistische' Unternehmen. Sie können nicht verwaltet werden ohne Betriebsmittel größten Umfan-ges. Und da tritt der gleiche Umstand ein wie überall, wo der kapitalistische Betrieb einsetzt: die .Trennung des Arbeiters von den Produktionsmitteln'. Der Arbeiter, ,lsi>. isf angewiesen auf die AVTSeftsrhittel, die vom'Staat zur Verfügung 4 gestellt werden; er ist infolgedessen vom Industriedirektor ebenso abhängig wie ein Angestellter in der Fabrik.“ (Max Weber in seinem Vortrag „Wissenschaft als Beruf“, 1919.) „Die Inhaber solcher Institute werden Alleinherrscher ihres Faches. Selbst die Habilitation, mit der sie (die Assistenten) zum erstenmal in den weiteren Kreis der Universität eintreten, beseitigt diese Abhängigkeit so lange nicht, als sie Assistenten bleiben und auf die Arbeitsmöglichkeit des Instituts angewiesen sind... viele wertvolle Kräfte scheuen die akademische Laufbahn“ (Raiser).

Die Forschung ist heute technisiert wie ein großer Betrieb. Der Staat als Träger der Hochschule und der Forschungspolitik bewahrt die Universität vor dem Zugriff der Wirtschaft und der politischen Interessengruppen.

Die arbeitsteilige und technisierte Forschung verlangt Arbeitsplanung und Arbeitslenkung. Der leitende Gelehrte wird zum Organisator und zum Menschenführer. Der Dozent hat für sich allein kaum mehr eine Arbeitsmöglichkeit, er ist in den Arbeitsplan seines Vorgesetzten eingespannt. Vielfach darf er Forschungsergebnisse ohne dessen Zustimmung nicht veröffentlichen.

Zwischen dem Vorstand eines großen Forschungsunternehmens und dem Lehrstuhlinhaber von einst besteht ein himmelweiter Unterschied-Wissenschafts- und Berufsausbildung

Die Universiäten sind heute weithin nicht mehr die Forschungsstätten schlechthin. In vielen Fällen sind eigene Institute eingerichtet worden, und die Professoren legen Wert darauf, daß sie Leiter solcher Institute sind. Ein großer Teil der naturwissenschaftlich-technischen Forschung vollzieht sich außerhalb der Universität.

Den Universitäten wird es aber trotzdem weiterhin aufgegeben sein, in das wissenschaftliche Denken und Leben einzuführen; sie sollen das Forschen lehren, sie sollen den Weg zur Wissenschaft eröffnen. Aber sie müssen heute, mehr als bisher, für den Beruf und für das Leben ausbilden.

Wir brauchen viel mehr Seelsorger als gelehrte Hochschulprofessoren für Glaubenslehre. Wie viele Ärzte werden aus Begabung und Berufung forschen können? Wir brauchen aber tüchtige und gewandte Ärzte, die Forschungsergebnisse zu unserer Heilung oder Gesunderhaltung anwenden können. Wie viele Hörer der Rechtskunde werden einmal Forscher? Wir brauchen aber tüchtige, im Recht bewanderte Männer. Wie viele Hörer des philosophischen Zweiges der Universität können sich der Forschung zuwenden? Geträumt und geredet wird viel davon, aber wir brauchen Lehrer an unseren Schulen. An den Hochschulen steht das Berufsziel von vornherein stärker im Blickpunkt.

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