6533705-1946_05_03.jpg
Digital In Arbeit

Hollandische Presse in der Zwangszeit

Werbung
Werbung
Werbung

Als der Krieg am 10. Mai 1940 über Nacht m Holland einbrach, fand er ein Land vor, dessen katholisches Leben in hoher Blüte stand. Die Seelsorge hatte sich modernen Methoden angepaßt. Auf politischem, sozialem und kulturellem Gebiet spannte sich ein Netz von Organisationen über ganz Holland: Standes- und Fachverbände, wissenschaftliche Vereine und Wohltätigkeitseinrichtungen. Presse und Rundfunk waren ebenbürtig den Mitteln der anderen Denkrichtungen, und auf dem Unterrichtsgebiet gediehen trefflich die katholischen Schulen, von der Volksschule bis hinauf zu der Alma Mater, der „R. K. Keizer Karel Universität“ in Nymwegen. Die Statistiken kamen zu der merkwürdigen Feststellung, daß in diesem Lande, in dem die Katholiken nur ein Drittel der Bevölkerung darstellen, 52 Prozent aller schulgehenden Kinder eine katholische Schule besuchten. Typischer Reflex des Kinderreichtums der katholischen Familien. Er stellt die Zukunft Hollands in ein bestimmtes Licht.

In der Presse war die katholische Weltanschauung ansehnlich vertreten. Für ungefähr dreieinhalb Millionen Katholiken bestanden mehr als 40 katholische Tageszeitungen, unter ihnen „De Maasbode“ in Rotterdam und „De Tijd“ in Amsterdam als führende große nationale Zeitungen, daneben eine Reihe von bedeutenden Provinzzeitungen, wie: „De Limburger Koerier“ in Maastricht, „De Gelderlander“ in Nymwegen, „Het Dagblad van Noordbrabant“ in Breda, „Het Centrum“ in Utrecht, „De Nieuwe Haarlemscke Courant“ in Haarlem und „De Residentiebode“ im Haag. In den katholischen südlichen Provinzen verfügte fast jede kleine Stadt über eine eigene katholische Tageszeitung, manchmal über zwei.

In diese hoffnungsvolle Entwicklung schlugen plötzlich die Ungewitter des Krieges ein.

Der Krieg vom Mai 1940 dauerte knapp fünf Tage. Der Überfall kam überstürzend. Mit größter Gewalt und bis dahin unbekannten Methoden war der militärische Widerstand niedergeschlagen worden. Die Regierung verlegte ihren Sitz nach London. In Holland blieb eine Bevölkerung zurück, die plötzlich, aus einem mehr als hundertjährigen Frieden aufgeschreckt, sich in die Mitte des großen Weltdramas gestellt sah. Sie faßte die Änderungen, die dadurch entstanden, kaum und suchte nach den Kriegsereignissen das alte, ruhige Leben wieder aufzunehmen. Der Ministerpräsident in London mahnte im Rundfunk zur Ordnung und Ruhe und gab der Bewölkerung Weisungen, sich in Übereinstimmung mit den Haager Kriegsgesetzen zu benehmen. In Holland selbst riefen weltliche und kirchliche Behörden die Bevölkerung auf, sich wieder an die Arbeit zu begeben. Man meinte, daß mit den militärischen Ereignissen der Krieg vorüber sei und war darauf bedacht, aus den Gegebenheiten das Beste zu machen, zumal der erste nähere Kontakt mit den deutschen Soldaten besser war, als man sich gedacht hatte.

Einige Tage nach der Besetzung wurde von der Ortskommandantur der Befehl erteilt, daß die Zeitungen wieder zu erscheinen haben. Die ersten Wochen, da Holland eine Militärverwaltung hatte, verliefen für die Zeitungen glimpflich, es gab nach wenigen Tagen keine Vorzensur mehr, ein Nachzensur genügte. Das Blatt wendete sich, als nach einem Monat die militärische durch eine Zivilverwaltung abgelöst und Dr. Seyß-Inquart als Reichskommissar eingesetzt wurde. Eine kleine Armee von deutschen Beamten begann sich über die Niederlande zu ergießen, eingefleischte Nationalsozialisten besetzten die wichtigsten Posten. Im Haag erstand die Zentrale der deutschen Pressekontrolle des Reichskommissariates und in jeder Provinzhauptstadt ein Pressereferent bei dem Provinzbeauftragten des Reichskommissars. Außerdem gab es Pressesachbearbeiter beim Sicherheitsdienst, bei der SS., bei der Auslandsorganisation der NSDAP, und bei der niederländischen nazistischen Bewegung, die von van Mussert geführt wurde. Fortan hatten die Zeitungen es mit einem Dutzend großer und kleiner Pressegewaltigen zu tun.

Das war bös, aber es wurde noch böser, als der Reichskommissar ein niederländisches Ministerium für Volksaufklärung errichtete, das „Departement van Volksvoorlichting“. Dazu gehörte eine Pressesektion, zu hundert Prozent besetzt von Mitgliedern der niederländischen Nationalsozialisten, die gefährlicher waren als die fremden Diktatoren, da sie im Lande besser Bescheid wußten. Seitdem dieses Ministerium in Schwung kam und der Schwerpunkt der Presseaufsicht in diese Pressesektion verlegt war, steigerten sich die Schwierigkeiten für die katholischen Zeitungen außerordentlich. Obwohl offiziell großzügig erklärt wurde, man beabsichtige nicht, der katholischen Presse die nationalsozialistische Gedankenwelt aufzuzwingen, war es in Wahrheit unmöglich, das katholische Gedankengut zu vertreten. Allmählich sanken die katholischen Zeitungen zu bloßen farblosen Nachrichtenblättern herab, in denen das katholische Leben nur bescheiden Platz fand. Zudem verringerte auch in Holland Papierknappheit allgemein Umfang und Format der Zeitungen, so daß 1943 die meisten nur noch Flugblätter waren.

Als nach den kurzen Kampfhandlungen die Zeitungen wieder erschienen, waren fast alle Schriftleitungen noch normal besetzt. Nur wenige Journalisten waren nach England entkommen, die anderen sahen sich vor die berüchtigte Sabotageverordnung gestellt, die Reichskommissar Dr. Seyß-Inquart am 28. Februar 1941 erlassen hatte; sie verfügte, daß die Einwohner der von den Deutschen besetzten Gebiete zur Arbeit gezwungen werden konnten, und gab den Arbeitsämtern die Möglichkeit, jeden Holländer von 18 Jahren aufwärts zur Zwangsarbeit heranzuziehen und nach Deutschland zu deportieren. Dieses Erzeugnis des nationalsozialistischen Terrorsystems wurde noch einige Male verschärft und wiederholt gegen Journalisten angewendet, die ihren Posten aufgeben wollten.

„De Maasbode“ in Rotterdam, während der Kriegshandlungen schwer bombardiert, hatte mit viel Mühe den Betrieb wieder aufgenommen. Nach einigen Monaten wurde dieses führende Blatt verboten, die nazistische Bewegung van Mussert bemächtigte sich der Druckerei und druckte fortan in dieser ihr Hauptorgan, „Het Nationale Dagblad“. Das erste Ordal hatten die katholischen Zeitungen zu bestehen, als im Februar 1941 am Sonntag Sexuagesima der niederländische Episkopat ein Hirtenschreiben verlesen ließ, worin das kirchliche Verbot der Mitgliedschaft zur „Nationaal Socialistische Bewegung“ Hollands unter Strafe der Sakramentenverweigerung eingeschärft wurde. In den deutschen Amtsstellen war man

wütend. Die Veröffentlichung des Hirtenschreibens wurde streng untersagt; nur ein kurzer nichtssagender Auszug war erlaubt. Doch „De Tijd“ in Amsterdam publizierte den Brief ohne Abstrich und nahm eine schwere Geldstrafe auf sich. In der katholischen Provinz Nordbrabant, wo die meisten katholischen Zeitungen erschienen, besuchte der Pressereferent des Beauftragten des Reichskommissars sämtliche Schriftleitungen und forderte sie unter finsteren Drohungen auf, gegen diesen Hirtenbrief zu protestieren. Einmütig und geschlossen haben alle katholischen Zeitungen diese Aufforderung abgelehnt; ihrer Einmütigkeit war es zu verdanken, daß zunächst keine Gewaltmaßnahmen gegen sie getroffen wurden. Aber es war nur die Ruhe vor dem Sturm.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung