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Horx contra Martin — ein Stellvertreterkrieg

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Im überfüllten Postsparkassensaal wurden die ideologischen Wurzeln einer aktuellen Debatte über die zukünftige wirtschaftliche Entwicklung erkennbar.

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Im überfüllten Postsparkassensaal wurden die ideologischen Wurzeln einer aktuellen Debatte über die zukünftige wirtschaftliche Entwicklung erkennbar.

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In Deinem Ruch ist viel vulgärer Marxismus!” schleuderte Matthias Horx Hans-Peter Martin an den Kopf, „Du bist ein neoliberaler Träumer!” konterte der. „Nicht das Geld, sondern das Wissen muß umverteilt werden” postulierte Horx, „Das ist pure Agitation” erwiderte trocken Martin. Ihre vom „trend P.S.K. Forum” in der vorigen Woche veranstaltete Diskussion in Otto Wagners Kassensaal in der Österreichischen Postsparkasse war lebendig, anregend und aggressiv.

Martin, der aus Wien für den Hamburger „Spiegel” über Österreich und Tschechien berichtet, wurde mit seinem Buch „Die Globalisierungsfalle” zur Kultfigur der Globalisierungsgegner. Horx, der eine „Zukunftsblio-thek” herausgibt und als „Trendforscher” deutsche Markenartikler berät, ist ein besonders intelligenter und kompromißloser Vertreter neoliberaler Positionen, die in den Massenmedien immer seltener kritisch hinterfragt werden. Der gewaltige Andrang bewies aber, daß die Zusammenhänge zwischen Globalisierung, Arbeitslosigkeit und Umweltzerstörung (letztere aber eher nur noch am Rande) zu einem zentralen Thema der Gesellschaft geworden sind.

Leider wurde in der Postsparkasse kein Spitzenpolitiker der Grünen gesichtet. Sie hätten einiges lernen können. Vor allem, daß ihnen der Zeitgeist davonläuft: „Umwelt pur” ist out. Ökologische Themen spielten, genauso wie allenthalben in der Politik, auch in dieser Debatte zwar eine Rolle, aber erstens eine alles andere als beherrschende und zweitens fast ausschließlich als Teil ökonomischer Argumentationen. Für Horx sind Umweltschutz und Umweltiniativen teils ein Feld, auf dem sich die ganz oder teilweise, vorübergehend oder endgültig aus dem Arbeitsprozeß Verabschiedeten sinnvoll betätigen können, aber auch ein Hoffnungsmarkt, der einen Teil der in der Industrieproduktion verloren gehenden Arbeitsplätze ersetzen kann.

Martin sieht, wie er in einem Gespräch mit der furche bekräftigte, die ökologischen Fragen derzeit „aufgeschoben, aber nicht aufgehoben”: ,'Die soziale Frage hat die ökologische Frage verdrängt.” Selbstverständlich kann Umweltschutz Arbeitsplätze schaffen, aber das Problem der Arbeitslosigkeit lösen kann man auf diesem Wege nicht. Die Entwicklung bei den österreichischen Grünen findet er „tragisch für die Bewegung selbst, aber auch für die Bevölkerung, da wir in einer Zeit leben, in der die humanistische Stimmung dringend gebraucht wird und die Tendenz besteht, die Ausländer zum Sündenbock zu stempeln. Heute wird alle paar Wochen ein Tabu gebrochen, aber für das große Tabu der Einkommensverteilung, dafür, daß viele unserer Probleme in der Einkommensverteilung wurzeln, da fehlt die politische Stimme.”

Es gab in Otto Wagners Saal eine Menge markanter Aussprüche, zum Beispiel „Die Friedensdividende bricht uns unterm Hintern weg” (Martin), oder „Das ist Populismus! Der Leser wird von einer Angst in die andere getrieben” (Horx), oder „Man erkennt die deutschen Unternehmen nicht mehr, und bald auch die österreichischen nicht” (Martin), oder

„Dein Buch ist Teil des Phänomens, daß wir uns mit altem Denken auf eine neue Situation vorbereiten” (Horx).

Abgesehen von einem schnell wieder aufgegebenen Versuch Horx', seinem Gegner antisemitische Untertöne zu unterstellen, war es ein harter, aber einigermaßen fairer Schlagabtausch. Zwei diametral entgegengesetzte Standpunkte knallten kompromißlos aufeinander. Vordergründig boten beide Kontrahenten problembezogene Antworten auf aktuelle Probleme an. Antworten, die aber bei beiden ihre Wurzel in tradierten ideologischen Grundpositionen haben. Dies deutlich zum Vorschein gebracht zu haben, ist ein Verdienst der Veranstaltung.

So gesehen, versuchen uns nämlich sowohl Horx als auch Martin „mit altem Denken auf eine neue Situation vorzubereiten”, denn was Matthias Horx empfiehlt, läuft darauf hinaus, im Sinne der alten liberalen Doktrin die große Entwicklung den Marktkräften zu überlassen und sich als Einzelner zum eigenen Vorteil möglichst gut an sie anzupassen und dabei so flexibel wie möglich zu werden. Wobei in dem Lager, dem man ihn zuordnen darf, durchaus ein Paradigmenwechsel stattgefunden hat: Was einst als Weg zu einem optimalen Gleichgewicht für alle verkauft wurde, begegnet uns heute als Unabänderlichkeit, gegen die sowieso nichts zu machen sei. Man könnte auch sagen: Wir werden zwar nie lernen, unsere Arbeit-, pardon, Auftraggeber und Berufe so schnell zu wechseln wie die Investoren die Aktien in ihrem Portefeuille, aber ein Stück in diese Richtung muß jeder gehen, der nicht untergehen will und das Pech hat, kein Investor zu sein.

Logischerweise empfiehlt uns

Horx, auf einem Rein zu arbeiten und auf dem anderen Investoren zu werden: „Nur vier Prozent der Österreicher haben Shares—hingegen 30 Prozent der Rriten und 60 Prozent der Tschechen!”

Hans-Peter Martin hingegen will die Politik in die Pflicht nehmen und liegt damit nicht nur auf der Linie der Sozialdemokratie vor deren Selbstaufgabe, sondern auch jener Strömungen in der ökonomischen Theorie, die für unerläßlich halten, daß der Staat die Marktwirtschaft zügelt. Anderenfalls würden die Entwicklungen dahin gehen, daß das Realkapital immer weiter hinter dem Finanzkapital zurückbleibt und man schließlich tatsächlich nur noch 20 Prozent der Arbeitsfähigen und Arbeitswilligen braucht. Seine Zukunftsperspektive: eine konsequente Demokratisierung der EU-Entscheidungen und jener „soziale Staat, den wir uns leisten können und leisten müssen, da wir sonst tatsächlich noch dort landen, wo wir 1929 waren.”

So führten in der Postsparkasse die großen wirtschafts- und sozialpolitischen Konzepte des Zwanzigsten Jahrhunderts einen Stellvertreterkrieg, der das Publikum animierte, per Applausstärke Schiedsrichter zu spielen. In dieser Hinsicht endete das Duell ungefähr pari mit schätzungsweise ein bis zwei Phon Vorsprung für Martin, was dieser hinterher „angesichts dieser im Schnitt offenbar nicht gerade armen Zuhörerschaft eigentlich sehr positiv” fand.

Obwohl im Hintergrund des Saales eine Menge Leute die Diskussion stehend verfolgten, hatten die Veranstalter hunderte Anmeldungen zurückweisen müssen.

Am 7. Mai wird die Veranstaltung wiederholt. Möglicherweise wird sie noch spannender, da die Kontrahenten - alte Rekannte, die einander völlig aus den Augen verloren hatten -die Reaktionen des anderen nun noch besser kennen.

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