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I. Besuch bei Kardinal Mindszenty

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Im Zentrum von Budapest, einige hundert Meter vom Parlament, dem jetzigen Regierungssitz, entfernt, liegt ein großer Platz, der den schönen, aber etwas aufreizend klingenden Namen „Szabadsag ter", Freiheitsplatz, trägt.

Auf diesem Platz flattert die amerikanische Fahne über dem Eingang der amerikanischen Gesandtschaft. Wie jede Gesandtschaft und Botschaft ist dieses Gebäude exterritorial. Seit den frühen Morgenstunden des 4. November 1956, des berüchtigten „Schwarzen Sonntags“, als die Russen Budapest angriffen, genießt Kardinal Mindszenty hier Asyl. Die ungarische Regierung betrachtet ihn als Feind Nr. 1. Deswegen wird denn auch das Gebäude, wo er Unterkunft fand, Tag und Nacht von ungarischer motorisierter Polizei bewacht. Sie h?t, den Auftrag, den Kardinal sofort zu verhaften, wenn, er das Ge- , bäude verlassen würde.

Kardinal Mindszenty, der früher den deutsch klingenden Namen „Pehm“, was soviel wie „Böhm“ heißt, geführt hat, war immer eine streitbare Gestalt. Als 27jähriger Kaplan ging er schon energisch gegen das Terrorregime des Kommunisten Bela Kun vor. Er wurde auch eingekerkert, aber schon einige Monate später, als Bela Kun fliehen mußte und sein Regime zusammenbrach, befreit.

Aus Protest gegen die deutsche Invasion änderte Msgr. Pehm während des Krieges seinen deutsch klingenden Namen in den richtigen ungarischen Namen Mindszenty. Eine solche Namensänderung war in Ungarn nichts Außergewöhnliches. Tausende Ungarn, die einen deutschen Namen hatten, haben diesen madjarisiert.

1944 wurde Msgr. Mindszenty von den deutschen Nationalsozialisten eingekerkert, weil er Stellung gegen die Judenverfolgung nahm. Ein Jahr später, 1945, wurde er befreit, und zwar — von den russischen Truppen.

Msgr. Mindszenty war ein nationaler Held geworden. Im gleichen Jahr wurde er zum Erzbischof von Esztergom und Primas von Ungarn ernannt. Ein Jahr später wurde er vom Papst zum Kardinal kreiert.

Inzwischen aber war Ungarn eine kommunistische Volksdemokratie geworden. Der Kardinal ging energisch gegen die antireligiösen Maßnahmen des neuen Regimes vor. Am Stefanitag des Jahres 1948 wurde er deshalb in seiner Residenz in Esztergom abermals festgenommen.

Was der Kardinal in dieser Zeit, bevor es zum aufsehenerregenden Prozeß kam, erleben mußte, ist nicht bekannt. Es ist zu vermuten, daß an ihm die berüchtigte ..Gehirnwäsche“ vorgenommen wurde. Der Prozeß erschütterte die Welt. Der Kardinal war ein anderer Mensch geworden. Er gestand alle „Missetaten“ ein, deren man ihn beschuldigte, und wurde zu lebenslänglicher Zuchthausstrafe verurteilt. Ende 1955 besserte sich die Lage für den gefangenen Kardinal etwas. Er wurde in einem alten Gebäude interniert, wo er die heilige Messe zelebrieren und einen Priester um sich haben durfte.

Dann kam der Oktober 1956 Kardinal Mindszenty wurde von Freiheitskämpfern’ befreit und nach einigen Tagen unter Begleitung von ungarischen Truppen im Triumph nach Budapest gebracht. Dort wurden wir vom Kardinal in seiner Residenz in Buda empfangen. An allen Mauern stand geschrieben: „Eljen Mindszenty!", „Es lebe Mindszenty!“ Die Straßen um die Residenz herum waren durch Tanks und Artillerie abgesperrt. Im Hof stand ein Panzerauto mit Maschinengewehren, und sogar auf dem Dach wachten ungarische Soldaten über die Sicherheit „ihres" Kardinals.

Als wir dem Kardinal damals begegneten, fiel uns ein merkwürdiger Ausdruck in seinen Augen auf, jener Ausdruck, der auch von den vielen Bildern während des Prozesses bekannt ist.

Im Rundfunk hatte der Kardinal damals die Rückgabe aller kirchlichen Güter gefordert, die vom kommunistischen Regime enteignet worden waren. Mit dieser Erklärung haben später die Kommunisten große Propaganda betrieben. Und auch unter den Katholiken hatte diese Forderung des Kardinals ziemlich viel Kritik hervorgerufen. Die meisten Geistlichen und Katholiken waren eigentlich glücklich, daß die Kirche den Großgrundbesitz verloren hatte, weil sie jetzt, arm geworden, sich freier und besser der Seelsorge widmen konnte. Anderseits konnte man die Haltung des Kardinals verstehen. Von Jugend an war er in der alten feudalen Sphäre erzogen worden. Während der acht Jahre seiner Gefangenschaft war er vollkommen isoliert gewesen und hatte nichts von den großen Aende- rungen miterlebt, die in seinem Lande vor sich gegangen waren.

Alle aber, auch diejenigen, die die Haltung des Kardinals während der kurzen Tage der Freiheit kritisiert hatten, sind sich einig in ihrer Achtung für das äußerst strenge, arme und asketische Leben, das der Kardinal’ fuhrt. Schon als junger Kaplan fastete er zwei Tage in: jeder Woche und nahm dann nur Wasser und Brot zu sich. Auch als Kardinal behielt er diese Gewohnheit bei. Wie uns jener Priester, der in den letzten Monaten seiner Gefangenschaft vor der Befreiung 1956 mit ihm zusammenwohnte, persönlich versicherte, hielt er sich auch dann wieder an diese strengen Fastentage, als es ihm in der Gefangenschaft etwas besser ging. Auch jetzt, da er im Asyl in der amerikanischen Gesandtschaft wohnt, hält er sich noch immer an diese Gewohnheit. Er verbringt seine Tage mit Beten und Studieren. Es ist klar, daß das Gebäude auch von den Amerikanern streng bewacht wird.

Am Tor kontrollieren ein Portier und ein handfester Bursche streng alle Besuche. Seit die Gesandtschaft den Kardinal beherbergt, muß jede Nacht einer der Diplomaten in dem Gebäude übernachten. Während der Bürostunden kann sich der Kardinal in gewissen Teilen des Gebäudes frei bewegen. Und einige Male im Tag genießt er etwas Bewegung und frische Luft im Hof.

Jeden Morgen zelebriert der Kardinal die heilige Messe in seinem Zimmer. Am Sonntagmorgen zelebriert der Kardinal die Messe für einzelne Mitglieder des diplomatischen Korps und für Gäste, die dazu eine besondere Genehmigung bekommen haben.

Ein eigentümliches Gefühl erfaßt einen, wenn man fünf Minuten vor neun unter der amerikanischen Fahne hereintritt und der Portier sehr höflich die Aufzugtüre öffnet. Der Aufzug führt uns in den 3. Stock; dort steht man gleich vor einer Stahltür, die hermetisch verschlossen ist. An der Türe sind einige Alarmglocken angebracht. Die Tür wird von der anderen Seite von einer Wache geöffnet, die inzwischen vom Portier telephonisch verständigt worden ist. Durch einen Gang kommt man in ein großes Zimmer, in dem ein Fernsehapparat steht und auf einem großen Tisch amerikanische Zeitschriften liegen. Allem Anschein nach gehört dieses Zimmer der Wache. Dann gelangt man in ein kleines Vorzimmer, wo ein Schreibtisch steht, und endlich durch eine andere Tür in das Privatzimmer des Kardinals. Es ist ein großes Zimmer mit fünf Fenstern. Aus drei sieht man auf den Freiheitsplatz, zwei weisen in eine Nebengasse. Diese zwei Fenster sind mit einer Jalousie geschlossen, damit niemand von den Häusern auf der anderen Seite hereinschauen kann. Zwischen den beiden Fenstern steht ein Betstuhl. Darüber hängt ein Kruzifix. Auf dem Betstuhl steht ein Photo von Papst Johannes XXIII. Rechts, den drei Fenstern gegenüber, die auf den Platz zeigen, stehen ein Bankgestell, eine Sitzbank und zwei Fauteuils sowie ein runder Tisch. Links in der Ecke, zwischen den Fenstern, die auf den Platz hinausschauen, und den geschlossenen Fenstern gegen die Straße zu steht der Schreibtisch. Vor dem Schreibtisch steht ein Tisch, der jetzt als Altar hergerichtet ist: mit Kelch, Missale, Kanontafeln, zwei Leuchtern mit Kerzen und einem Kruzifix. Auf dem Schreibtisch steht ein eingerahmtes Bild der Gottesmutter. Neben dem improvisierten Altar steht ein kleiner Tisch, auf dem Kännchen mit Wein und Wasser bereitstehen. Vor der heiligen Messe wird auch das Fenster links vom Altar mit einem Vorhang geschlossen. Zwischen dem Bankgestell und dem Altar sind einige Sessel für diejenigen bereitgestellt, die bei der heiligen Messe anwesend sein werden.

Seine Eminenz ist schon in die liturgischen Gewänder gekleidet und steht betend neben der Sitzbank. Er trägt das rote „Soli-Deo “-Käppchen. Bevor die heilige Messe beginnt, fragt eine Dame, die anscheinend zu dem Personal der Gesandtschaft gehört, wer kommunizieren will. Hierauf legt der Kardinal die Hostien auf die Patene. Diesmal sind es nur sechs Menschen, die zur heiligen Messe und zur heiligen Kommunion gehen. Der Kardinal hat keinen Ministranten, aber die Dame gibt die Antworten.

Der Kardinal, klein und noch immer zart, sieht eigentlich besser aus, als wir gedacht hatten. Sein Gesicht hat eine ziemlich gute Farbe, aber seine Augen glänzen noch immer und haben jenen merkwürdigen Ausdruck, der seinen Bekannten erstmals im Prozeß auffiel. Seine Eminenz zelebriert gut hörbar die Messe. Er trägt vor dem Evangelium selbst das Buch hinüber und predigt nachher. Er predigt auf englisch über das persönliche Verhältnis zwischen Gott und Mensch. Man kann ihn schwer verstehen, denn er spricht Englisch mit starkem ungarischem Akzent. Zwischen den Sätzen pausiert er lange, als ob er ab und zu die richtige Formulierung auf englisch suchen müßte. Und während er spricht, schaut er fast ununterbrochen auft einen fixen Punkt., Alsi die Glocke zur Konsekration tönt, ist es mäuschenstill im Zimmer.

Draußen hört man den schneidenden Laut der Straßenbahnen, und von irgendwoher tönt die Hupe eines Autos. Man geht zur Kommunion und kniet vor dem Altar. Als der Kardinal nach der Messe die letzten Gebete — lateinisch — gesprochen hat, bleibt er wartend vor dem Altar, bis alle das Zimmer verlassen haben.

Draußen auf dem „Freiheitsplatz“ werden wir wieder von der Polizei argwöhnisch beobachtet. Wir bemerken es kaum. Unsere Gedanken sind noch ganz in dem Hause, in dem sich ein tragisches menschliches Schicksal erfüllt.

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