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Ich hasse uns..

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Ing, V. Graber schrieb in einem Leserbrief „Nicht alle Juden sind für Israel“ („Furche“ vom 26. April 1969) u. .a,: „Das Dasein unseres d. h. des jüdischen Volkes kann nur gerettet werden, wenn... der Staat Israel mit seiner Armee vernichtet wird.

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Ing, V. Graber schrieb in einem Leserbrief „Nicht alle Juden sind für Israel“ („Furche“ vom 26. April 1969) u. .a,: „Das Dasein unseres d. h. des jüdischen Volkes kann nur gerettet werden, wenn... der Staat Israel mit seiner Armee vernichtet wird.

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Fürwahr ein frommer Wunsch im Munde eines Juden, aber Selbsthaß, auch in Österreich nicht so ganz selten, ist unter Juden vielleicht noch verbreiteter als unter anderen Völkern. Er ist die negative Komponente der seit zweitausend Jahren den Juden aufgezwungenen Selbstverteidigung und der daraus resultierenden Selbstkritik. „Ich hasse uns“, sagte mir vor vielen Jahren ein bekannter jüdischer Theaterkritiker, und der Antisemitismus in den Schriften von Karl Kraus, Otto Weininger und Kurt Tucholsky fällt in dieselbe Kategorie. Nur ihr Niveau ist ein wenig höher und auch weniger blutrünstig als das des Herrn Graber.

1. Die Regierung Israels ist weder „faschistisch“ noch „chauvinistisch“, sondern demokratisch nach westeuropäischem Muster, und Israel ist ein Staat, in dem die arabische Minderheit, rund neun Prozent der Gesamtbevölkerung, sich voller bürgerlicher Gleichberechtigung erfreut. Arabische Abgeordnete sitzen seit jeher im israelischen Parlament und beteiligen sich in arabischer Sprache an den Debatten. Die hebräischen Diskussionen werden ihnen simultan übersetzt. Jeder israelische Araber kann sich in seiner Sprache an jede israelische Behörde wenden und kann eine Antwort auf arabisch verlangen. (Notabene: die Südtiroler Minderheit im demokratischen Italien wäre mit iner ähnlichen Regelung wahrscheinlich nicht unzufrieden.) Arabische, vom Staat er haltene Schulen sorgen für die kulturelle Autonomie dieser Minderheit, der natürlich auch die Hochschulen und die zahlreichen sozialen Institutionen des Landes zur Verfügung stehen.

2. Die Zahl der arabischen Flüchtlinge beträgt nicht eineinhalb Millionen, sondern maximal 800.000, und auch diese wurden weder „buchstäblich in die Wüste getrieben“ noch „zu Tausenden umgebracht“. Diese Angaben muß Herr Graber arabischen Quellen entnommen haben, deren Wahrheitsgehalt bekanntlich ebenso groß ist wie der der arabischen Kriegs- und Siegesberichte. Die geflüchteten Araber sind vielmehr ein Opfer der leeren Versprechungen ihrer Führer geworden, die ihnen vorgaukelten, daß der Endsieg nahe bevorstände, daß die Juden ins Meer getrieben werden würden und daß sie sich dann an den befreiten Städten und Dörfern, an Feldern und Fabriken schadlos halten könnten.

Diese unglücklichen Flüchtlinge sind nun schon über zwanzig Jahre lang in von der UNO erhaltenen Lagern konzentriert und nicht etwa von ihren arabischen Brüdern in deren riesigen aber unterbevölkerten Ländern hilfreich aufgenommen und in das Leben der ansässigen Bevölkerung integriert worden, wie das der Staat Israel mit den 600.000 aus den arabischen Ländern geflüchteten Juden getan hat.

3. Herr Graber beschuldigt die israelische Regierung des „offenen, brutalen Antisemitismus“, der in der Vertreibung der semitischen Araber Palästinas und in „ständigen Überfällen und Angriffen gegen alle seine semitischen Nachbarn“ zum Ausdruck käme. Nun, abgesehen von der Tatsache, daß im Laufe der Geschichte stammesgleiche Völker in kriegerische oder beinahe-kriege-rische Konflikte geraten sind, wie etwa Engländer und Deutsche, Preußen, Österreicher und Süddeutsche, • Franzosen und Italiener, und, in unseren Tagen, Russen und Tschechoslowäken, ohne dadurch zu Antigermanen, Anti-romanen oder Antislawen zu werden, so sind von den sechs unmittelbar an den Kriegen gegen Israel beteiligten Staaten (Ägypten, Jordan, Syrien, Libanon, Irak und Saudi-Arabien) mit ihren zusammen 47,5 Millionen Einwohnern, die 26 Millionen Ägypter (54,7 Prozent der Gesamtsumme) in keiner Weise als Semiten zu bezeichnen, und unter den restlichen 21,5 Millionen Einwohnern der übrigen fünf Länder (45,3 Prozent) befinden sich Millionen von Nichtsemiten — Kurden, Türken u. a. m. Mit dem israelischen Antisemitismus ist es also nicht ganz so schlimm bestellt.

4. Herr Graber schämt sich „eines Staates, der nur durch Terror und Mord entstanden ist“. Hier hat er, zum mindesten teilweise, recht: nazistischer und arabischer Terror uhd Mord haben nicht unwesentlich zur Gründung und Festigung des Staates Israel beigetragen. Und natürlich auch die Überwindung des jüdischen Selbsthasses.

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