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„Ich kann mich nicht erinnern!”

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Die Zahl der Photoreporter und Journalisten, der Fernsehkameras im Schwurgerichtssaal des Landgerichtes München I ließen erkennen, wie stark die Oeffentlichkeit an dem Prozeß interessiert war, in dessen Mittelpunkt ein Mann steht, der bereits am Tage seiner Heimkehr aus russischer Kriegsgefangenschaft im Jahre 195 5 mit schwersten Vorwürfen über sein Verhalten im Kriege überhäuft wurde: Ferdinand S c h ö r- n e r, Dem ehemaligen Generalfeldmarschall. und Führer der Heeresgruppe Mitte wird zur Last gelegt, rechtswidrige Befehle t;ur Erschießung von zwei Offizieren und eines Obergefreiten gegeben zu haben.

Die Hauptverhandlung vor dem Schwurgericht ist überaus lehrreich. Es ist Oktober 1957, zwölf Jahre nach dem Ende des zweiten Weltkrieges, und der Hintergrund des Prozesses, die letzten Monate und Wochen der Wehrmacht des Großdeutschen Reiches, sind schon in nebelhafte historische Ferne gerückt. Interessant die auftretenden Personen: Da ist der Exmarschall Schörner, der sich, das Gericht für dumm kaufend, an überhaupt nichts mehr erinnern kann, in seiner Art halb feldherrlich-dozierend, halb unterwürfig-beflissen, bei dem als Zeugen auftretenden Landsern sich des leutselig-soldatischen „ihr’1 und „euch” bedienend, den Generalskollegen hingegen mit der anbiedernden Floskel poussierend: „Herr General Schulz, ich darf doch vorausschicken, daß wir uns in allen operativen Fragen immer sehr gut verstanden haben?” Und das muß man Schörner lassen, er kennt die Mentalität seiner Leute. Ehrerbietig nahen die Zeugen, und keiner unterläßt die Verbeugung vor ihm. Mit einer Verbeugung sagt da etwa der Zeuge und Exgeneralrichter Wunderlich: „Verzeihen Sie, Herr Feldmarschall, wenn ich Sie in der Hitze des Gefechtes ohne Dienstbezeichnung anrede.” Auch Exgeneral Henrici drückt Schörnfr kräftig die Hand. Da tritt der Exoberstrichter Neumann auf, heute wohlbestallter Senatspräsident am Landessozialgericht in Berlin. Müller-Meiningen sagt, er vermittle dem Zuhörer ein unendliches Gefühl der Erleichterung, nicht in seine oder seinesgleichen militärjustitiellen Hände geraten zu sein. Es geht hier rückblickend um Leben und Tod, in den Worten der Exrichter heißt es aber nur: Den Fall einer sachgemäßen Erledigung unterziehen. Die Vereidigung des Zeugen Werner Hülle, Exoberstrichter in der Rechtsabteilung des OKH, nun Oberlandesgerichtspräsident von Oldenburg, wurde abgelehnt, weil er, wie das Gericht feststellt, in Verdacht steht, an der Ausarbeitung der „Führerbefehle”, die jeden Truppenführer schon im Verdachtsfall zur Erschießung von Untergebenen berechtigten, mitgewirkt zu haben. Exgeneralrichter Roeder, beute Generalstaatsanwalt, meinte, „angesichts der Situatic i in Rußland seien scharfe Befehle zu verstehen gewesen”. (Roeder muß vom Vorsitzenden aufgefordert werden, die Hände aus den Hosentaschen zu nehmen.)

Einen makabren Einblick in die seelenlose Maschinerie der einstigen Militärjustiz, die unsichtbar neben Schörner auf der Anklagebank sitzt und die sich auf Katastrophenbefehle Hitlers beruft, gibt die Schilderung des Exobersten Sparre, der wegen der Räumung Neißes ebenfalls von Schörner zum Tode verurteilt, nur durch einen Bluff sein Leben rettete:

„Oberstrichter Neumann, Armeerichter der 17. Armee, hatte mich in Weidenau besucht, um, wie er mir sagte, den Fall von Neiße zu klären. Nach der Schilderung der Unglückslage war er davon überzeugt, daß ich daran nicht schuld war. Er sagte, er mache Meldung an die Armee und werde mir die Entscheidung dann übermitteln.

Ich lag auf meinem Bett, als gegen 19 Uhr Neumann in Begleitung des Divisionsrichters Enk- haus und zweier Offiziere in mein Zimmer kam. Alle machten sehr ernste Gesichter, sie hatten umgeschnallt. Neumann sagte: ,lch muß Ihnen den Befehl Schörners bekanntgeben.’ Dann zog er aus dem rechten Aermelumschlag einen Meldezettel und verlas den Erschießungsbefehl. Ich habe zuerst fürchterlich geschimpft und Schörner einen Mörder und Oberbanditen geheißen. Als ich mich beruhigt hatte, fragte ich Neumann: .Aber Sie hatten sich davon überzeugt, daß ich unschuldig bin. . Warum soll ich denn erschossen werden?’

Neumann erwiderte etwas verlegen: ,Was soll ich machen? Ich kann mich doch nicht weigern. Wenn ich mich weigere, schickt Schörner einen anderen Offizier und läßt mich mit erschießen.’ Ich sah keinen Ausweg mehr”, fuhr Sparre fort.

„Dann aber bat ich, mit General Schulz telephonieren zu dürfen. Doch das verweigerte mir Neumann. Noch an der Tür rief ich ihm nach, er solle etwas unternehmen, und ich hatte auch den Eindruck, daß er etwas tun würde.

Als Neumann weg war, kamen zwei Soldaten und stellten eine zwei Meter langė, mit Holzwolle gefüllte Kiste vor meine Tür: meinen Sarg. Ich setzte mich an den Tisch und schrieb einen Abschiedsbrief an meine Frau. Einer Eingebung folgend, brachte ich ihn gleich zur Post, denn ich glaubte, er werde nie mehr abgeschickt. Tatsächlich war dieser Brief dann auch der einzige, der meine Frau erreichte.

Während ich den Brief verfaßte, blätterte ich in meinem Soldbuch. Auf Seite 3 waren jene Verwandten aufgeführt, die im Falle meines Todes zu benachrichtigen waren. Als ich den Namen meiner Frau las, kam mir ein Gedanke. Sie war eine geborene Bormann, und da damals der Parteisekretär Bormann der meistgefiirchtete Mann war, versuchte ich, Neumann zu bluffen. Das gelang mir auch, obwohl meine Frau keineswegs mit Bormann verwandt war. Neumann telephonierte mit Schulz, und der General ordnete an, daß die Erschießung hinausgezögert wurde.”

Wer ist nun eigentlich dieser „wilde Ferdinand” Schörner, der Hitlers ergebenster General genannt wurde?

Ferdinand Schörner kam am 12. Juni 1892 in München als Sohn eines Polizeioberinspektors zur Welt. Nach dem Besuch des Gymnasiums entschloß er sich, Lehrer zu werden (seltsamerweise waren das auch Himmlers Pläne), diente aber vorher 1911/12 im Bayrischen Infanterie- Leibregiment. Mit den „Leibern” zog er auch 1914 ins Feld, im gleichen Jahr wurde er Offizier. 1917 war er Kompanieführer der 12. Kompanie und kämpfte an der italienischen Front. Dort nahm er in einer Oktobernacht mit ihr den Monte Matajur. Für dieses Bravourstück winkte ihm der Pour le Merite, den im ganzen nur 101 Subalternoffiziere von 1914 bis 1918 erhielten, darunter Ernst Jünger und Cordt von Brandis, der Erstürmer des Douaumont. Aber der Zufall will es, daß das Soldatenglück auch auf einen jungen Oberleutnant scheint, der von Tolmein aus am Monte Matajur angreift und zwei italienische Regimenter gefangensetzt, ein Professorensohn aus Heidenheim: Erwin Rommel. Er erhält auch den Pour le Mörite. Beide meinen von nun an, der ander! habe die Auszeichnung zu Unrecht erhalten. Zwanzig Jahre später, als Divisionäre im gleichen Korps, gehen sie noch immer grußlos aneinander vorbei. Dank dem Pour le Merite gelingt den beiden Süddeutschen der Uebertritt in das 100.000-Mann- Heer, in dem 27,9 Prozent der jungen Leutnants preußischen Adelsgeschlechtern entstammen. Aber beide bestehen nicht die Wehrkreisprüfung, und damit ist ihnen der Generalstab verschlossen. Dieses Trauma haben beide nie ganz verwunden, und manches läßt sich daraus erklären. Beide werden aber trotzdem Marschälle. Den einen, einen Meister der Taktik und der Improvisation, nannten sie den „Wüstenfuchs”, den anderen den „Gendarmen von Kurland”.

Die steile Karriere Schörners vom Reserveoffizier zum Generalfeldmarschall beginnt erst nach Hitlers Machtergreifung. 1938 schüttelt Major Schörner am Brenner den italienischen Offizieren die Hand, die dort, im Gegensatz zum Juli 1934, nun als Achsenpartner stehen. 1939 zieht er mit dem Mittenwalder Gebirgsjägerregiment 98 ins Feld. 1940 noch Oberst, ist er schon Divisionär, 1942 General der Gebirgs- truppen. Er war bereits in Friedenszeiten ein rauher Vorgesetzter. An sich liebte der Soldat rauhbeinige Vorgesetzte, wenn sie ein Herz hatten. Schörner war als rücksichtslos bekannt. Sein erster Tagesbefehl in Lappland, wo die Truppen auf nacktem Fels kaum Schutz vor der eisigen Kälte hatten, begann mit den Worten: „Arktis ist nicht!” Schon als Taktiklehrer an der Infanterieschule Dresden zeigte er sich als Mensch mit streberischen Neigungen: schroff gegen Untergebene, servil geg n Vorgesetzte. Sein Stabschef, v. Natzmer, sagte, Schörner habe eine „diabolische Freude daran gehabt, Furcht und Schrecken zu verbreiten, ohne jedoch herzlos und voreingenommen gegen die Truppe zu sein”. In Lappland verbreitete sich rasch sein Ruf als „wilder Ferdinand”. Seine Marotte war, überraschend an Straßenkreuzungen und zwi-sehen fahrenden Kolonnen aufzutauchen, zu brüllen, zu degradieren, Befehle zu geben und sie am selben Tage zu widerrufen. Bei einer seiner Ordnungseskapaden überholte er mit seinem Pkw. in wildem Tempo einen Kübelwagen, der trotz roter Leuchtzeichen nicht stehengeblieben war, und stellte sich quer über die Straße. Er stürzte auf den haltenden Wagen, riß die Tür auf und — prallte zurück. Im Wagen saß sein Armeebefehlshaber, der Generaloberst Dietl. Dieser grinste: „Na, Ferdl, da schaugst her — du damischer Bauernschandarm, du damischer!”

Auf den ergebenen Schörner, den Erfinder des NS-Führungsoffiziers, setzte Hitler seine Hoffnungen. Seine Heeresgruppe (er wurde vier Wochen vor Kriegsschluß Feldmarschall) mit ihren vierzig Divisionen war die einzige deutsche Streitmacht, die damals noch intakt war. Sie stand von Brünn bis Frankfurt an der Oder. Am 5. Mai 1945 hatte er den letzten Tagesbefehl erlassen: „Wir dürfen in diesen schweren Tagen unseres Reiches die Nerven nicht verlieren und nicht feige werden… Jede unerlaubte Entfernung, jeder Versuch, aus eigener Kraft den Weg in die Heimat zu finden, ist ehrloser Verrat am Kameraden, an unserem Volk, und muß entsprechend geahndet werden.”

Vier Tage darauf bestieg Generalfeldmarschall Schörner in tarnender Lederhose und Bauernjanker einen Fieseier Storch und entschwebte nach Tirol. Seine Divisionen wanderten in Gefangenschaft. „Es kam darauf an, daß jeder seine Pflicht erfüllte”, dozierte er jetzt vor Gericht.

Bei Blattschluß lag das Urteil noch nicht vor. Der Staatsanwalt hatte acht Jahre Zuchthaus gefordert.

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