6563323-1949_21_03.jpg
Digital In Arbeit

„Ich war Zeuge…

Werbung
Werbung
Werbung

Im Jänner 1946 zeigten sich in den Straßen von Budapest bei einer Kundgebung, die von der kommunistischen Partei gegen Kardinal Mindszenty veranstaltet wurde, zum großen Erstaunen der Zuschauer mehrere Männer in priesterlicher Kleidung, Sie verlangten mit den andern im Zuge Marschierenden den Galgen für Kardinal Mindszenty. Diese „Priester" waren, wie es sich bald herausstellte, Mitglieder einer ungarischen „national-katholischen Kirche“, die von einem jungen Mann namens Julius Thomas Csernohovsky gegründet worden war. Der neue Kirchenstifter kam aus Polen, wo er ohne Reifeprüfung in der Mariawitensekte zum Priester und dann zum Bischof ernannt worden war. Als er in Ungarn auftauchte, begleitet von anderen ähnlicher Art und Herkunft, durfte er sich der vollen Unterstützung der staatlichen Behörden erfreuen, einer verständlichen Gunst, da er verkündete: „Wir vernichten die Macht der katholischen Kirche Ungarns."

Die Sekte ahmte in ihrem Gottesdienst die in der katholischen Kirche gebräuchlichen Formen nach, nur setzte sie an Stelle der lateinischen Sprache die ungarische. Vor dem Volke zeigten sich die Vertreter der neuen Kirche außerordentlich jovial und als Fürsprecher der Armen, sie nahmen für keine kirchliche Handlung ein Entgelt an. Augenscheinlich eine ideale neue Gemeinschaft; wovon sie lebte, konnte man nur erraten. Einige Priester, die in ihrem Berufe Schiffbruch erlitten hatten, und Leute, die aus Seminaren und Klöstern entfernt worden waren, liefen der hoffnungsvollen neuen Kirche zu, die sichtlich von der Sonne hoher Gnaden amtlich bestrahlt wurde. So kam der Betrieb der nationalen Kirche bald in Gang. Über den Ablauf dieser Tragikomödie gibt ein erschienenes Werk aufsehenerregende Auskunft, das den gewesenen Zentraldirektor der Katholischen Aktion Ungarns, Prälat Dr. Zsigmond, zum Verfasser hat und im Zusammenhang mit dem um den Kardinal-Primas von Ungarn inszenierten Schauprozeß unter dem Titel „Ich bin Zeuge im Mindszenty- Prozeß“ eines der schmerzvollsten, aber auch gewaltigsten Kapitel ungarischer Kir- ch'engeschichte enthüllt.

Der Buchverfasser schildert, wie tief sich die kommunistische Regierung mit der Sekte einließ. Ihre Agenten erhielten jede Förderung. Sie bekamen nicht nur Räumlichkeiten für ihren Betrieb zugewiesen, sondern erhielten auch genaue Informationen, wie sie vorzugehen hätten und wo etwa kleinere Unstimmigkeiten in einzelnen katholischen Kirchengemeinden für die Zwecke der Sekte ausgenützt werden könnten. An solchen Stellen setzte dann sofort die Sektenpropaganda ein. Der Erfolg war überaus ärmlich, man begegnete den Werbern mit Widerwillen und auch offener Ablehnung. Auch im Ausland ist die Episode bekannt geworden, die sich in dem südungarischen Dorfe Kevermes abspielte, wo der katholische Pfarrer unter dem bloßen Vorwand des unbefugten Waffenbesitzes in ein Internierungslager verschickt worden wär, die nach seinem Abtransport versperrte Kirche von den Mariawiten unter dem Vortritt des kommunistischen Dorfrichters erbrochen wurde und die Sekte den Kirchendienst übernahm, bis eines Tages die Bewohnerschaft des Dorfes die ganze Mariawitengesellschaft samt ihren Geistlichen aus dem Dorfe jagte. Die

Regierung räumte offiziell der Sekte vollste Gleichberechtigung ein. Aber auch dieser demonstrative Akt war umsonst.

In seinem Buche — wir zitieren im nachstehenden in wörtlicher Übersetzung aus dem Magyarischen — berichtet Prälat Zsigmond:

„Im Sommer des Jahres 1948 erstellten wir in der Katholischen Aktion eine Statistik über die Lage der Sekte im ganzen Lande. Nach den Meldungen der einzelnen Pfarrgemeinden konnten wir feststellen, daß die Sekte insgesamt nicht mehr als 1 5.3 0 0 A n h ä n g e r hatte. Wenn man sogar einzelne, nicht bekanntgewordene Fälle in Betracht zieht, erreicht die Gesamtzahl der Sektenanhänger nicht mehr als 20.000, U s Promille der ganzen ungarischen Bevölkerung.

Die ungarische Regierung wurde der Skandale der ärgerniserregenden Mariawiten und des abstoßenden Lebens, das ihre Geistlichen führten, schließlich doch überdrüssig, da sie für die Kommunisten augenscheinlich keine Erfolge erzielen konnten. Da zudem die Tätigkeit der Mariawiten eher die Einheit der Katholiken sichtbar festigte, wurde die weitere Arbeit der Sekte verboten. Kurz nachher gründete einer ihrer Pfarrer, Valerian Csunderlik, die „unabhängige christlich - katholische Kirche" und ließ sich auch „Bischof" titulieren. Aber auch sein Auf-

treten währte nicht lange. Csunderlik wurde von der ungarischen Polizei verhaftet, da er wegen eines in der Tschechoslowakei verübten Frauenmordes steckbrieflich verfolgt war.

Bischof Csernohovsky oder, wie er jetzt schon hieß, Fehervary hat seitdem Ungarn in östlicher Richtung verlassen. Vor seiner Abreise besuchte ihn in seinem Heim ein Journalist, Redakteur einer regierungsfreundlichen Zeitung, um von ihm ein Interview zu erlangen.

„Ich lasse nun", schreibt Prälat Zsigmond, „den Journalisten zu Worte kommen“:

„In den Zeitungen las ich folgende Vermäh- lungsanzeige: Thomas Julius Feher- v ir y, Bischof der Mariaviten und Erzbischof von Theba, hat auf Grund einer besonderen Erlaubnis die 13jährige Ildiko K. in der evangelischen Pfarrkirche geheiratet."

„Es war schon 7 Uhr abends, als ich im Vorzimmer des Herrn Bischofs läutete.“

„Wen suchen Sie?“

„Den Herrn Bischof", sagte ich zögernd. Ich war nämlich beunruhigt, in der Meinung, der Bischof sei etwa gerade auf seiner Hochzeitsreise und ich ihn also nicht zu Hause antreffe. Doch nein, er ist anwesend und ich werde eingelassen

Von mystischem Kerzenlicht beleuchtet, steht

• vor mir in der Mitte des Zimmers der Bischof in voller kirchlicher Pracht mit einer breiten roten Schärpe um die Mitte, um den Hals die Bischofskette. An seiner Seite steht auch seine junge Frau, eine ganz unwahrscheinlich schlanke und junge Bischöfin. Der Bichof selbst, untersetzt, ein Mann in den Dreißigerjahren …

„Bitte, nehmen Sie Platz, mit was kann ich Ihnen dienen?“

„Ich bitte um Entschuldigung für meine unpassende Frage, wie darf ich Herrn Bischof ansprechen?"

„Sagen Sie ruhig ,Erzbischof' zu mir … Man wird es wahrscheinlich für seltsam halten, daß sich ein katholischer Bischof vermählt. Leider sind noch immer viele über die Dogmen unserer Religion nicht orientiert. Ich bin nämlich altkatholisch … und wir heiraten, ja, wir heiraten … Wir halten den Papst nicht für unfehlbar, wir betrachten ihn nur für primus inter pares. Wir sind alle gleichgestellt …"

„ Wie viele Anhänger hat eigentlich Ihre Kirche in Ungarn?“

Nach einer unbestimmten Geste entgegnete der Bischof:

„Jetzt haben wir keinen einzigen Anhänger mehr … Es war ein großer Fehler, daß wir einen Mann namens Valerian Csunderlik an unsere Seite genommen haben, ihn zum Priester weihten, obwohl es sich später herausstellte, daß dieser Csunderlik vor einigen Jahren in der Tschechoslowakei eine Frau ermordet hat. Kurz gesagt, diese Geschichte setzte uns in kein besonders gutes Licht, und jetzt haben wir keine Arbeit …"

„Nun noch eines: Ihre Kirche ist jetzt stillgelegt, Herr Erzbischof, wovon leben Sie also?“

Er lächelte bitter.

„Wovon? Ich verkaufe nach und nach die Kirchenrequisiten und Vitrinengegenstände. Essen muß man ja, besonders wenn man verheiratet ist ..

„Herr Erzbischof, Ihre Frau Gemahlin ist tatsächlich erstaunlich jung. Ist sie wirklich erst 13 Jahre alt?“

„Ja, aber warum finden Sie das so erstaunlich?"

„Nein, es konnte uns wirklich nichts überraschen. Wir wußten, wer sie sind, und wir, die als die berechtigten Vertreter der ungarischen katholischen Kirche den Mut hatten, dagegen zu protestieren, daß sich solche und ähnliche Kreaturen der katholischen Kirche aufdrängten, wurden als Reaktionäre angeklagt. Später aber hat man die Verteidiger des ungarischen Friedens einfach eingekerkert. Die ungarische Regierung benötigte dringend suspendierte Geistliche, gleichgültig ob Katholi- kenoderProtestanten, man hat durch diese echt aussehende Erklärungen unterschreiben lassen und sie nachher zu hohen Würdenträgern ernannt. Einer von diesen, der Protestant Ludwig Szimonidesz, der wegen seiner im Jahre 1919 während der bolschewistischen Revolution gespielten Rolle suspendiert worden war, erklärte:

,Obwohl die Demokratie die Stützen des vergangenen Regimes teilweise durch Kugeln und teilweise durch den Galgen aus dem Weg räumen konnte, blieben auf kirchlicher Seite diese reaktionären Nester größtenteils unberührt ..Dies alles sagte er mit großem Bedauern und fuhr fort:

„Die Reue unserer Kirchen war nicht aufrichtig, es folgte keine Gutmachung, da sie mit der Demokratie auch nichts zu tun haben wollen. Die Kirchenfürsten, die die weltlichen Führer nachahmen, kommen mit der Demokratie nie auf einen gemeinsamen Nenner."Das Regime zeigte sich dankbar: Ludwig Szimonidesz wurde kurz darauf zum Feldbischof ernannt. Und so konnten die Helfershelfer des ungarischen kommunistischen Regimes den Ertrag ihrer kirchenverräterischen Tätigkeit aus hohen Stellungen betrachten. Die Polizei half mit, nachdem ihre Worte wahrscheinlich allein nicht genügt hätten. Der polizeiliche Teil der Kriegsverbrecherprozesse wurde langsam abgeschlossen. Die politische Polizei und die GPU-Schergen mit den grünen Mützen wären ohne Arbeit geblieben und so mußte man mit dem Racheakt dieser Szimonidesz-Gestalten beginnen. Jetzt füllten sich die ungarischen Gefängnisse mit Persönlichkeiten, mit Geistlichen und Zivilen, sie kommen unter den Galgen oder werden nach Sibirien verschickt..

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung