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Ideologie als Mittel des Wahlkampfes

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Auch heute, wenige Wochen vor der Wahl des fünften deutschen Bundestages, deuten die Auseinandersetzungen mit der Sozialdemokratie von katholischer Seite bereits an, daß abermals die Ideologie hochgespielt wird zuungunsten der politischen Argumentation. So ging in diesen Wochen eine typische Meldung durch iie bundesdeutsche katholische Presse, von München bis Münster: Da hatte ein bayerischer Landtags« abgeordneter der SPD bei einer Debatte den Hinweis von CSU-Seite, daß von den in Bayern durch die Nazis geschlossenen katholischen Konfessionsschulen eine Reihe nicht mehr eröffnet werden konnte, mit dem Zwischenruf kommentiert „Gott sei Dank!“. Diese Taktlosigkeit eines Münchener Landtagsabgeordneten, so ärgerlich sie für Katholiken sein mag, sollte jedoch fairerweise nicht zum Grundsatzkommentar der SPD gemacht werden. Ebenso wenig hat die sozialdemokratische Stadtverwaltung im westfälischen Gladbeck, die kürzlich einem katholischen Pfarrer die Benutzung eines städtischen Raumes, in dem der Geistliche Messen für Schulkinder las, mit monatlich 50 Mark berechnete, das Godesberger SPD-Programm, indem sich die Partei ausdrücklich positiv zu Religion und Kirchen bekennt, Lügen gestraft — wie behauptet wurde.

Eine „faire Neutralität“

Die deutsche Sozialdemokratie könnte sich heute dreimal täglich von Marx lossagen und zu Religion und Kirche bekennen: die politischen Gegner legen das als Taktik aus.

Das mag sich auf dem Schachbrett der Demokratie ganz legal zutragen, wird aber bedenklich, wenn sich der deutsche Katholizimus dieser parteipolitischen Manipulation anschließt, wenn er der SPD den guten Willen grundsätzlich abspricht und ihr Godesberger Bekenntnis als Opportunismus abwertet. Walter Dirks hat in seiner Aufsatzsammlung mit dem Untertitel „Die Politik und die Verantwortung der Christen“ von der Kirche eine „faire Neutralität“ gegenüber der Sozialdemokratie gefordert. Die deutschen Jesuiten Gundlach und Nell-Breuning praktizierten sie bei dem Münchner Gespräch von 1958. Ungeachtet der Vorwürfe, sie würden den deutschen Sozialdemokraten einen Blankoscheck des Vertrauens und der Zustimmung ausstellen, hat Gundlach damals gefordert: „Man wird dem Ernst der maßgeblichen Menschen des Sozialismus (gemeint war die SPD) mit Ernst begegnen müssen, schon aus Verantwortung für alles, was unser Volk in seiner immer noch gefährdeten Lage innerlich konsolidieren könnte.“ Gundlachs Töne paßten ebensowenig ins Konzept der politisch-katholischen Gegner der Sozialdemokratie wie jene des inzwisehen Verstorbenen Bischofs von Münster, Dr. Keller, der in seiner Rheinhausener Rede erklärt hatte, daß er nicht das Recht habe, „den Männern und Frauen der Sozialdemokratischen Partei ehrliches Wollen abzusprechen“. In dieses Konzept paßte auch nicht, was der konservative „Rheinische Merkur“ am 19. Februar 1960 in seinem Kommentar zum Godesberger SPD-Programm schrieb: „Es wäre unchristlich, etwa au wünschen, daß die SPD kirchenfeindlich bleibe oder wieder werde, nur damit die CDU/CSU daraus einen wirksamen Wahlschlager für die Christen machen kann.“ Und erst recht nicht in dieses Konzept paßte, was Prälat Hanssler, Geistlicher Direktor des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, am 30. Mai 1964 sagte — ebenfalls in der Münchener Katholischen Akademie: Die SPD könne heute nicht mehr als kirchenfeindlich angesehen werden. Hanssler mußte sich ob seiner kompetenten Meinung heftige Kritik jener Kreise gefallen lassen, die das marxistische Element des Sozialismus mitsamt antikirchlichem Komplex in die Sozialdemokratie hineinbalancieren wollen. Und als gar die Katholische Nachrichtenagentur Hansslers Meinung publizierte, beschwerte sich darüber der Generalsekretär der Christlich-Sozialen Union. Die SPD hat kirchenfeindlich zu bleiben, jedenfalls für die Öffentlichkeit.

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