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Digital In Arbeit

II. Die Arbeiterkammern

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Der OeGB ist bemüht, da und dort Wünsche seiner christlich gesinnten Mitglieder zu berücksichtigen. Gleiches kann man von den Arbeiterkammern nicht sagen. Angesichts dessen, was uns die Zahlen sagen, ist es fast möglich, von einer „Einheit von Partei und Ar- beiterkammer“, von einer Einheit von Marxismus und Arbeiterkammerschrifttum, zu sprechen.

Es gibt nicht, wie auf Unternehmerseite, eine Bundesarbeitskammer, wenn auch eine laufende Zusammenarbeit über einen „Arbeiterkammertag" vorhanden ist. Schon 1848, als man auf der anderen Seite die ersten Vorbereitungen für die Errichtung einer „Handelskammer“ traf, wurde auch die Frage der Bildung von Arbeiterkammern in Erwägung gezogen. Aber erst im Jahre 1919 wurde von Ferdinand H a n u s c h (Sozialdemokrat), dem damaligen Staatssekretär für Söziale Verwaltung, ein Gesetzentwurf wegen Errichtung einer Arbeiterkammer eingebracht. Am 9. Juni 1920 wurden dann offiziell Arbeiterkammern eingerichtet.

Die Kammern für Arbeiter und Angestellte bilden eine gesetzliche Interessenvertretung der Arbeiterschaft, eine Entsprechung zur ebenfalls auf Grund eines Gesetzes errichteten Unternehmerkammer (Bundeskammer bzw. die einzelnen Landeskammern der gewerblichen Wirtschaft) und sind ein Sachverständigengremium auf „höchster Ebene“, tätig für die Arbeitnehmer, sowie gleichzeitig ein Organ der Selbstverwaltung der Belange der Arbeitnehmer.

Mitglied der Arbeiterkammer ist jeder, für den das Gesetz eine Beitragspflicht feststellt. Die F i n a n z i er u n g erfolgt durch -Pflicht-. „ beitrage, die dem beitragspflichtiger . Arbeit- ,, nehmer von seinem Lohn abgezogen werden.

Die Führung liegt in den Händen von Personen, die von den „Vollversammlungen" der Kammerräte gewählt werden. Die Kammerräte werden wieder auf Grund gesetzlich vorgeschriebener geheimer Wahlen gewählt. Man könnte also, wenn man zur Gruppe der naiven Demokraten gehört, annehmen, daß nicht nur die Führung, sondern auch der Beamtenkörper der Kammern einigermaßen nach dem Proporz ausgewählt wird. Tatsächlich aber herrscht Ernennungswillkür, die darauf schließen läßt, daß die Arbeiterkammern kaum mehr sind und sein, wollen als ein „zweites Büro“ der SPOe (und teilweise der KPOe). Insgesamt gibt es in den Vollversammlungen der einzelnen (Landes-) Arbeiterkammern nach vorliegenden Aufstellungen 812 (wir wiederholen: durch geheime Wahlen erkorene) Kammerräte. Von diesen 812 Kammerräten sind 145 Angehörige der christlichen Fraktion (das sind etwa 18 Prozent). Alle Kammern zusammen haben ungefähr 650 Angestellte, zu einem großen Teil Akademiker. Von den hauptberuflich in den Diensten der Arbeiterkammern stehenden Beamten sind an die 30 als „christlich“ anzusprechen, das entspricht kaum fünf Prozent der Gesamtzahl. Auch ein Proporz, nur nicht den tatsächlichen Verhältnissen angemessen. Es kann aber sein, daß man nicht an allen Orten über das, was Proporz eigentlich sein soll, gleicher Meinung ist.

Beispiele aus einzelnen Landeskammern zeigen ein noch ärgeres und vom Standpunkt demokratischer Fairneß geradezu skandalöses Mißverhältnis, das uns ahnen läßt, was dann wäre, wenn jene Männer, welche die Geschicke der Arbeiterkammern lenken, einmal auch im Parlament und im Staate an der Macht wären.

In der Steiermark, die doch eine sehr beachtliche Zahl christlicher Arbeitnehmer aufweist, ist es von 120 Angestellten nur ein einziger, von dem eindeutig feststeht, daß er christlicher Gesinnung ist, und dies obwohl nicht weniger als 13 Prozent der Kammerräte der christlichen Fraktion angehören. Im Burgenland sind zwar 30 Prozent der Kammerräte Mitglieder der christlichen Fraktion, von den 14 Angestellten gehört jedoch kein einziger der christlichen Richtung an. Man muß sich — am Beispiel Bur- gpnlpnd -j- fragen, wozu .pocjj Wahlen in die- Arbeitfrkammern tattfinden, wenn sje ohnedies und demonstrativ von der Mehrheit als zwecklos erklärt werden. Wozu gehen die christlichen Arbeitnehmer des Burgenlandes an die Wahlurnen, wenn sie von jedem Einfluß in der täglichen Abwicklung der Amtsgeschäfte der Kammern ihres Landes ausgeschlossen sind?

Die Politik der Arbeiterkammern zeigt sich vor allem im Schrifttum und ist eindeutig marxistisch, nicht sozialistisch. Das offizielle wissenschaftliche Organ der SPOe, „Die Zukunft“, hat schon viel Wein in das marxistische Wasser gegossen und ist ein Ausdruck der Vielfalt der Strömungen in der SPOe, in der es neben Marxisten auch Nichtmarxisten, Atheisten und gläubige Christen gibt. Das Führungsorgan der Arbeiterkammem (an dem zum Schein auch die Gewerkschaften beteiligt sind), die Monatsschrift „Arbeit und Wirtschaft", ist dagegen heute in Oesterreich das orthodox-marxistische Organ schlechtweg, da und dort tito-marxistisch, dann wieder etwas in die Mitte einschwenkend, aber jedenfalls eifrig bemüht, jeden Leser von seinem Wohlverhalten in Sachen der Propagierung des Marxismus zu überzeugen. Gleichzeitig wird auch, wenn notwendig, ein verdeckter Kampf gegen alles, was sich christlich nennt, geführt. Die Schreibweise der Zeitschrift ist zuweilen so, daß man vermuten muß, die für die Führung der Kammern Verantwortlichen seien selbst nicht Leser des Blattes.

Das erhebliche Defizit der Zeitschrift wird aus den Pflichtbeiträgen aller Arbeitnehmer gedeckt. Das heißt: die Christen müssen mit ihren Pflichtbeiträgen ein Blatt bezahlen helfen, das den Kampf gegen Christentum und christliche Sozialreform auf seine Fahnen geschrieben hat.

Der Einfluß der christlichen Funktionäre in den Arbeiterkammern ist so gut wie null, so daß man sich des Eindrucks nicht erwehren kann, daß die Arbeiterkammern lediglich die Funktion haben, das Budget der SPOe zu entlasten. Daneben ist ihnen scheinbar die Aufgabe zugewiesen, zum Beispiel über die Sozialakademie (in der Hinterbrühl), eine Insel alt-marxistischer Wortverkündigung zu bilden und die Interessen des titoistischen antichristlichen Flügels in der SPOe wahrzunehmen.

Wenn die Marxisten in den Arbeiterkammern sagen: „Die Kammer, das sind wir“, dürfen sie nicht erstaunt sein, wenn die Andersgesinnten die ganze Einrichtung der Kammern in Frage gestellt sehen, um so mehr, als die Gewerkschaften wohl in der Lage wären, einen guten Teil der Aufgaben der Kammern zu übernehmen. Wenn auch die offensichtliche Doppelarbeit sicherlich einigen linkssozialistischen Akademikern zu Stellungen verhilft, muß das Ganze schließlich durch „akkumulierte" Arbeitergroschen finanziert werden. In diesem Fall handelt es sich zwar um keinen „Mehrwertentzug" laut Lehrbuch, aber doch um einen Vorgang, der genau so verwerflich ist wie jener Vorgang, den uns Marx im Rahmen seiner Darstellung des „Gesamtprozesses der kapitalistischen Produktion“ beschrieben hat.

Dabei heißt es an den Dingen Vorbeigehen, wenn versucht wird, jede Kritik an gewissen marxistischen Institutionen damit abzutun, daß man die Kritiker einfach als „arbeiterfeindlich bezeichnet. Eine Gleichsetzung von verwirklichtem Marxismus und .bedingungslosen,Vertretung dei;.Arb?iteriDteressea heute, nach den Erfahrungen im Osten, anzunehmen, zeigt yohl, daß sich das Denken da und dort noch nicht den Aende- rungen des „Unterbaues" angepaßt hat.

Die Tatsache, daß in den Arbeiterkammern eine Mehrheit so gut wie absolute Macht hat, läßt freilich noch auf eines schließen, nämlich darauf, daß „man" sich ganz oben scheinbar zu einer „Teilung“ der österreichischen Gesellschaft entschlossen hat und der eine Partner den anderen keineswegs in seinem Reservatgebiet stört. Wenn das aber so ist, dann haben die Vorfeldorganisationen eine andere Bedeutung, als man bisher vermutet hatte.

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