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II. Die „Friedenspriester“

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„Zwischen uns und den Bischöfen gibt es keine einzige Schwierigkeit, die nicht in Frieden gelöst werden kann“, erklärte uns der Vizepräsident des „Staatsbüros für kirchliche Angelegenheiten“.

Es ist schade, daß wir in den Tagen, da wir in Ungarn weilten, keinen direkten Kontakt mit einem Bischof haben konnten. Wohl hatten wir uns vom ersten Tag an bemüht, eine Audienz bei Erzbischof Groesz zu erhalten. Aus „technischen“ Schwierigkeiten aber mußte diese Audienz immer wieder hinausgeschoben werden und schließlich ganz unterbleiben …

Diese „technischen“ Schwierigkeiten überraschen niemanden, denn Ungarns Bischöfe sind in einer äußerst prekären Lage. Sie haben den Eid auf die Volksdemokratie geleistet und sind so nachgiebig wie nur möglich, um ernsteren Konflikten aus dem Wege zu gehen. Diese Nachgiebigkeit, die im Ausland nicht immer verstanden wird und immer wieder Kritik hervorruft, hat natürlich schwerwiegende Gründe. Erstens muß man wissen, daß der Episkopat in Ungarn eine ganz andere Tradition als in den meisten anderen Ländern hat. Schon im frühen Mittelalter, in der Zeit des ersten ungarischen Königs Stephan, waren die Bischöfe Ratgeber der Krone. Und durch Jahrhunderte hindurch waren sie faktisch immer hohe Staatsfunktionäre. Sie wurden mit ausgedehnten Landgütern beschenkt, waren immer mehr Kirchenfürsten als Seelsorger und aus ihrer hohen Funktion heraus Mitglieder des Oberhauses. Aus dieser jahrhundertelangen Tradition heraus neigen die Bischöfe auch heute zu gewissen Verständigungen mit der Regierung, in der festen Ueberzeu- gung, dadurch eine Art „Modus vivendi“ erreichen zu können.

Msgr. Groesz, .der momentan die große Verantwortung hat, Erzbischof von Kalocsa und Vorsitzender der ungarischen Bischofskonferenz zu sein, ist ein hochbetagter Priester, dessen persönliche Frömmigkeit, Aufrichtigkeit und Treue dem Heiligen Stuhl gegenüber nicht zu bezweifeln sind. Aber — er war jahrelang in einem kommunistischen Gefängnis. Was da mit ihm geschah, wissen wir nicht, aber er ist ängstlich, kränklich und sehr müde. Dazu kommt noch, daß alle Bischöfe in den Sekretariaten ihrer Bistümer einen Beamten des „Staatsbüros für kirchliche Angelegenheiten“ sitzen haben. Die ganze Korrespondenz geht durch die Hände dieses Beamten. Die Folge davon ist, daß kein einziger Priester seinem Bischof noch schreiben will oder sich traut, ihm zu schreiben, und selbst Entscheidungen vornimmt. Und weil die Bischöfe oft unter Druck Entscheidungen treffen müssen, genießen sie unter den Priestern nur noch eine sehr geminderte Autorität.

Die größten Schwierigkeiten uni die größte Verwirrung verursachen die sogenannten „Friedenspriester“. Offiziell sind es Mitglieder der „Friedensbewegung“, die der kommunisti sehen Weltfriedensbewegung angeschlossen ist. Praktisch sind es Priester, die mit dem Regime kollaborieren und ‘he — milde gesagt — ihre Treue zum kommunistischen Regime höher stellen als ihre Treue gegenüber dem Papst. Niemand hat uns sagen können, wie groß die Anzahl der „Friedenspriester" ist. Aber sie wer-den seit der Revolution vom Oktober 1956 durch die Regierung sehr bevorzugt, „um sie zu entschädigen für alles, was sie während dieser Tage vom Volke leiden mußten". Es sind ihrer wahrscheinlich nicht viele, aber sie bekleiden hohe Positionen. Trotzdem scheint es nicht gerecht zu sein, alle in Bausch und Bogen zu verurteilen. Es gibt welche, die jahrelang in einem kommunistischen Gefängnis eingekerkert waren, dort furchtbar mißhandelt wurden und jetzt Todesangst haben und alles mitmachen, was der Staat verlangt. Eine zweite Kategorie bilden die Priester, die, weil die Polizei die Geheimarchive der Bistümer in die Hände bekam, irgendwie unter Druck stehen. Die dritte Kategorie bilden diejenigen Priester, die, von Ehrsucht geblendet, auf diese Weise Karriere zu machen hoffen.

Drei Friedenspriester sind im Ausland auf traurige Art bekannt geworden, weil sie, obwohl der Heilige Stuhl es formell verboten hatte, trotzdem Mitglieder des Parlaments geblieben sind und deswegen vom Papst exkommuniziert wurden.

Der erste ist Janos Mate, der aber nicht in Budapest wohnt, und über den wir nichts erfahren konnten.

Der zweite ist Miklos B e r e s t o c z y, der einst engster Mitarbeiter von Kardinal Mind- szenty war. Mit dem Kardinal wurde er verhaftet und im Gefängnis unter dem Terrorregime des Mathias Rakosi auf widerlichste Art mißhandelt. Was er dort erleben mußte, kann man nicht beschreiben. Als er aus dem Gefängnis befreit wurde, war er ein anderer Mensch geworden. Seitdem ist er einer der Stützpfeiler des Regimes und seiner Propaganda. Auffallend aber ist, daß man unter den Priestern nicht allzu schlecht über ihn reden hört. Natürlich wird seine Haltung verurteilt, aber es scheint, daß er seine einflußreiche Position hin und wieder benützt, um Mitbrüdern, die in Schwierigkeiten geraten sind, zu helfen.

Der dritte Priester, der Parlamentsmitglied ist, ist Richard Horvath, über den man weit ungünstiger urteilt. Horvath ist ungefähr 50 Jahre alt, ziemlich klein, dick und kahl. Er ist sehr aktiv. Früher war er Zisterziensermönch; aber schon damals war er ein rechtes Kreuz für seinen Abt und seine Mitbrüder, und zwar wegen Dingen, die nichts, aber schon gar nichts mit Politik zu tun haben… Als die Abtei aufgelöst wurde und der Abt ins Gefängnis wanderte, publizierte „Pater Horvath" am gleichen Tag einen beleidigenden Artikel gegen seinen Abt in einer kommunistischen Zeitung. Eine einzige Tatsache gibt die typische Mentalität dieses Menschen wider: ein „Friedenspriester“ war gestorben und Horvath wollte das Requiem zelebrieren. Der Pfarrer weigerte sich, Horvath zelebrieren zu lassen, weil er exkommuniziert sei. Darauf wurde der Pfarrer bei der Polizei angezeigt und verhaftet. Diese Tatsache wurde uns von verläßlicher Seite mitgeteilt und von anderen bestätigt. Ein zweiter ähnlicher Vorfall wurde uns von jemandem erzählt, konnte aber von sonst niemandem bestätigt werden. Jetzt ist Richard Horvath — Rektor der früheren Franziskanerkirche in Budapest und gleichzeitig Direktor des einzigen Devotionalien- und Para- mentengeschäftes, das es noch gibt. Die frühere Franziskanerkirche ist die meistbesuchte Kirche von Budapest, weil sie im Herzen der Stadt gelegen ist, wo zwei Boulevards einander kreuzen. Dort gehen die Leute gerne in die Kirche, weil sie dort weniger auffallen. Die Ernennung Richard Horvaths zum Rektor dieser Kirche zeigt augenfällig, wie sehr die Bischöfe unter Druck stehen. Das „Staatsbüro für kirchliche Angelegenheiten“ wollte ihn für dort ernennen. Der Ordinarius weigerte sich unter Berufung darauf, daß Horvath exkommuniziert war. Das Staatsbüro aber beharrte auf seinem Vorschlag und der Ordinarius schlug einen Kompromiß vor: Richard Horvath soll unter der Bedingung ernannt werden, daß er unter gar keinen Umständen sein priesterliches Amt ausüben würde. Dieser Kompromiß wurde angenommen. Richard Horvath zog also feierlich in die Kirche ein — und zelebrierte am gleichen Abend die heilige Messe! Seitdem predigt er und zelebriert jedenfalls am Sonntag die heilige Messe, so, als ob nichts geschehen wäre.

In Ungarn gibt es zwei katholische Wochenzeitungen. Die eine heißt „Uj Ember“, „Neuer Mensch“, Sie hat eine kleine Auflage, wurde aber eifrig gelesen, bis die Redaktion gezwungen wurde, regelmäßig Artikel von Richard Horvath zu publizieren, so daß die Zeitung jetzt das Vertrauen der katholischen Leser verloren hat.

Die zweite Wochenzeitung heißt „Katholikus Szo“. Sie wird von dem Verein der „Friedenspriester" herausgegeben und in allen Zeitungskiosken auf der Straße verkauft. Sie wird — wie man uns erzählte — praktisch nicht gelesen, aber um so eifriger zitiert. Dann gibt es noch eine literarisch-religiöse Monatsschrift „Vigilia“. Sie hat eine kleine Auflage, weil sie nur wenig Papier zugewiesen erhält, aber sie wurde viel gelesen, hatte ein hohes Niveau und War eigentlich die einzige katholische Lektüre für Intellektuelle. Aber auch die Redaktion von „Vigilia“ wurde jetzt gezwungen, Artikel von Richard Horvath zu publizieren. Die Folge davon ist, daß zahlreiche Leser ihr Abonnement abbestellt haben …

Ungarn hat ein Bistum des griechisch-katholischen Ritus’. Der Bischof, Msgr. Dudas, der sich unlängst einige Zeit gesundheitshalber in der Schweiz aufhalten durfte, hat jetzt Hausarrest. Er war übrigens der letzte Bischof, der die Zustimmung bekam, ins Ausland zu reisen. Das Seminar des’Bistums wurde jetzt aufgehoben. Das heißt, daß jetzt in ganz Ungarn nur noch drei diözesane Seminarien bestehen. In E s z t e r- g o m studieren momentan ungefähr 60 bis 70 Seminaristen. Das Seminar hat momentan noch eine gute Führung. In Szeged studieren 50 bis 60 Seminaristen, aber das Seminar wird schon von einem „Friedenspriester" geführt. Im Erzbistum Eger ist der Bischofssitz vakant. Die Leitung des Erzbistums ist in Händen eines „Friedenspriesters“, aber das Seminar, in dem gleichfalls 50 bis 60 Seminaristen studieren, ist vorläufig noch in guten Händen.

Budapest hat ein zentrales Seminar, in dem bis vor kurzem 70 Seminaristen, die aus allen Bistümern ausgewählt waren, sich auf das Priestertum und das theologische Doktorat vorbereiteten. In diesem Seminar hat sich in den letzten Monaten und Wochen ein Drama abgespielt, wie noch selten in der Geschichte der katholischen Kirche. Es traten 65 Seminaristen, die teils schon kurz vor der Priesterweihe standen, aus, weil sie zu der Ueberzeugung gelangt waren, daß es mit ihrem Gewissen unvereinbar ist, im Seminar zu verbleiben. Schluß folgt

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