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II. SPÖ — oder: Die Gefahr der großen Täuschung

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Die SPOe ist für ganz links und ganz rechts wählbar geworden. Jedenfalls haben am 5. Mai zwei von den drei Gruppen der FPOe nicht nur den Antiklerikalen Schärf, sondern auch den Sozialisten Schärf gewählt. In bestimmten Situationen sind Teile der FPOe und des sogenannten liberalen Lagers kaum mehr als sozialistische Dissidenten.

Der kluge sozialistische Innenminister — einer der Weisen unserer Politik — hat es gesagt: Das Ergebnis dieser Wahl war trotzdem kein Sieg der SPOe selbst. Vor allem, weil sich meines Erachtens die Partei zu sehr verausgabt und Reserven für eine Sekundärwahl angegriffen hat, die sie bei den nächsten Nationalratswahlen bitter notwendig haben wird. Im Jahre 1959/60 gelten wieder für die Randschichten alle Probleme der Sozialismus-Angst: Die Bauern fürchten wie die Gewerbetreibenden die Kolchosierung, die Inhaber von Eigentumswohnungen haben Angst vor Schikanen, liberale Bürger fürchten sich vor der Kollektivisierung, Wohlhabende vor höherer Besteuerung und Katholiken davor, daß hinter Dr. Pittermann andere stehen, die bei einem Sieg der SPOe, an „Altersvergeßlichkeit" leidend, die gemachten Zusagen nicht einhalten und zum Kulturkampf „antreten“. Diese Dinge spielten bei der Präsidentenwahl keine Rolle — bei der nächsten Nationalratswahl aber werden sie mit aller Wucht in die Waage fallen.

Nichtsdestoweniger sind Einzelergebnisse wie das in T i r o 1 beachtenswert. Der Tiroler Freisinn — wie er uns von Greinz und Schönherr beschrieben wurde — eine Reaktion gegenüber der intensiven Katholizität eines großen Teiles des Landes, ist heute weithin im Lager der Sozialisten, die für den Freisinn eben keine Arbeiterpartei, sondern eine linksliberale Gruppierung darstellen. Wenn man will, kann man sich (wahlmathematisch) ausrechnen, wann Tirol eine rote Domäne (und Wien eine „schwarze“) sein wird. Die Annäherung der SPOe an die Katholiken könnte freilich diesen Prozeß umkehren. Jedenfalls hat der gegenläufige Prozeß in der Entwicklung der sozialen Struktur der Wählergruppierungen seine dokumentierte Fortsetzung gefunden. In der ersten Etappe der Industrialisierung und'In d -ersten 'Generation sind die Industriearbeiter eindeutig weil unversorgt aus der Geborgenheit des Dorfes entlassen — Sozialisten. Der Sozialismus ist für sie Heilslehre schlechtweg. Je mehr Erfahrung, desto weniger hat der Sozialismus für die Arbeiter noch den Charakter einer Heilslehre. Tn einer reifen Industriegesellschaft wie jener im Bereich von Wien, sind jedenfalls die ersten Ermüdungserscheinungen des' Sozialismus sichtbar, die aufzuhalten die Struktur der sozialistischen Programmatik ändern hieße. Die Kernschichten gehen den Sozialisten nicht verloren. Nicht in der nächsten Zeit. Nur das Interesse dieser Kernschichten am Sozialismus wird geringer und damit die Ausstrahlungskraft des Kernes auf die Randschichten, die nicht mehr in naiver Gläubigkeit den Argumenten der Sozialisten verfügbar sind, sondern sich die Dinge vor Abgabe ihrer Stimme wohl überlegen.

Der Marxismus — auch in seinem weltanschaulichen Teil —, ehedem Glaube der Arbeitermassen, ist für die Mehrheit der Sozialisten (auch für einen großen Teil der Führer) keine Wirklichkeit mehr. Eher eine Sache der Meditation einer Akademikerschicht. Dazu kommt, daß auch das für den Hausgebrauch aufgestellte sozialistische Parteiprogramm sich oft weit von der Wirklichkeit der Dinge entfernt. (Gleiches gilt für die andere Seite.) Jedenfalls wäre es eine große Täuschung, bei einer Betrachtung des Wahlergebnisses, von einer Expansion der SPOe ausziigehen.

Der Gesinnungstrend geht nicht in Richtung auf eine Vergrößerung der Anhängerschaft der SPOe (als Partei); es sei denn, die SPOe vermag katholische Gruppen nicht nur von ihren Liberalität in Sachen der Kirche, sondern von einem in der Partei praxis angelegten faktischen Christentum zu überzeugen und gleichzeitig die Liberalen durch „dosierten“ Antiklerikalismus zu beruhigen. Die Gewinnung der Katholiken im Dorf ist jedenfalls zum Teil gelungen. Nicht aus eigener Kraft, sondern wegen der höchst originellen Auffassung mancher OeVP-Führer von christlicher Lebensweise, insbesondere in den Dingen des Sozialen.

Die Aufstellung des ehemaligen Vizekanzlers als Präsidentschaftskandidaten scheint freilich auf den ersten Blick kein Beweis dafür, daß die Sozialisten es sich rasch mit den Katholiken arrangieren wollen. Man könnte aber auch — und manche Anzeichen scheinen dafür zu sprechen — die Designierung des Herrn Dr. Schärf anders deuten: als Versuch, den antikatholischen Parteiführer über eine ehrenvolle Berufung durch einen konzilianteren Mann zu ersetzen.

Die SPOe hat jedenfalls diesmal nicht kraft der sozialistischen Idee gewonnen, sondern gerade deswegen, weil sie nichtsozialistische Argumente verwendete, weil sie sich bemühte, vor aller Oeffentlichkeit, trotz SPOe-Etikette, nicjtt'tsifr -selbst-zu-vsete. Dazu kam,- daß die SPOe den für die Randsc-hichten besser geeigneten Kandidaten aufstellte. Nicht den für die KP nicht wählbaren Bundesminister Helmer, nicht den wohl für die Arbeiter bis weit hinein nach rechts, nicht aber für die „Bürgerlichen" wählbaren Führer der Gewerkschaften, Präsident Böhm. Sondern den sowohl bei ganz links wie ganz rechts akzeptablen Vizekanzler.

Ungewöhnlich stark hat man im sozialistischen Lager diesmal mit dem Mittel der persönlichen Diffamierung des Gegners gearbeitet. Wie soll man alles, was man sozialistischerseits nach 1945 gegen die Nationalsozialisten und die „Faschisten“ geschrieben und getan hat, jetzt verstehen, jetzt, nachdem von links als wirksames Mittel des Kampfes gegen Dr. Denk auch der Antisemitismus und der Hinweis auf die Betätigung von Dr. Denk ju.i. in der Widerstandbewegung angewendet wurde? Was gilt nun? Man kann nicht gut gleichzeitig in Pro-Semitismus machen — etwa den Wiener Landtagspräsidenten bei einer zionistischen Kundgebung sprechen lassen — und, wenn auch nicht parteioffiziell gedeckt, antisemitische Hysterie in den Dienst der Wahlpropaganda stellenl

Wir wissen, daß viele Sozialisten über die Anbetung dessen, was man bisher verbrannt, und die Verbrennung dessen, was man angebetet hatte, nicht begeistert waren. Man kann der OeVP diesmal taktische Fehler vorwerfen, nicht aber die Preisgabe der moralischen Elemente ihres Programms. Ich kenne eine Reihe von Sozialisten. Nicht bei einem von ihnen kann ich annehmen, daß sie die Besudelung der Ehre des ‘ Gegners gebilligt haben. Das Private sollte in der Politik endgültig Tabu sein. Die Wiener sozialistische Montagszeitung war tapfer genug (freilich nach der Wahl), sich von diesen Praktiken der persönlichen Verunglimpfung scharf zu distanzieren.

Zu allem kommt, daß die unleidige Diffamierung des Gegenkandidaten auch dem neuen Präsidenten kaum genützt hat. Wir erinnern .uns noch der vornehmen Gesinnung des Bundespräsidenten Körner, der tatsächlich vom ersten Tag seiner Wahl von allen in unserem Land als „Präsident für alle“ anerkannt wurde. Wenn dem neuen Präsidenten nicht vorweg jenes Vertrauen entgegengebracht wird, das notwendigerweise in einer reifen Demokratie (wie bisher) dem Staatsoberhaupt selbstverständlich zu erweisen ist, so wegen der Art der Wahlpropaganda. Auch deswegen, weil man es -diesmal nicht über sich gebracht hat, dem toten Präsidenten M i k 1 a s jene Ehre zu geben, die ihm, dem aufrechten Mann, zukommt. Miklas mußte 1938 gehen, weil er zum Anschluß „Nein“ sagte. Zur gleichen Zeit sagten manche — wir können das, solange man Miklas nicht die Ehre gibt, die einem toten Gegner gebührt, nicht vergessen — laut „Ja“! Denken wir uns aus: Es findet noch einmal eine Volkswahl statt. Wieder stellt sich der (ehemalige) Herr Vizekanzler den Wählern als Kandidat, und es wird ein Wahlkampf in der gleichen Art geführt. Das hieße: Auch das (noch amtierende) Staatsoberhaupt muß sich vielleicht Dinge Vorhalten lassen, die seine persönlichen, privatesten Verhältnisse betreffen. 1st das nicht undenkbar?! Im Interesse der Demokratie.

Die SPOe hat vorwiegend deshalb gewonnen, weil sie mit Slogans operiert hat, die ihrem Programm und der ganzen Art ihres bisherigen Denkens fremd waren. Betrachtete man die Mischung von Marxismus, demokratischem Sozialismus und Antisemitismus, konnte man fast den Eindruck haben, eine Spielart des Peronismus vor sich zu haben.

Eine allzu starke Vereinfachung würde es aber darstellen, wollte man alles, was der SPOe an Erfolgen zugefallen ist, lediglich der Art der Propaganda zuschreiben. Hinter dem Erfolg stand ein Unmaß von Kleinarbeit, von Aufopferung und auch von Glauben, vor allem der kleinen Leute, die in ihrer Parteitreue und Disziplin so fest sind, daß sie für ihre Stimmentscheidung keiner propagandistischen Beeinflussung bedürfen.

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