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IIA und FAO

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Unter der geheimnisvollen Buchstabensymbolik der Überschrift verbirgt sich ein aktuelles und interessantes Thema: die internationale Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Ernährung und Landwirtschaft in ihrer bisherigen und künftigen Form. IIA ist die Abkürzung für „Institut international d'A griculture“ (Rom) und FAO die Bezeichnung für die „Food and Agriculture Organization“ der Vereinten Nationen. Den zeitgeschichtlichen Anlaß zur Erörterung dieser Fragen bildet die im Juli in Rom tagende Generalversammlung des Internationalen Landwirt-chaftsinstituts, in der über das im Großen bereits besiegelte Schicksal dieser alten weltbekannten Institution endgültig und abschließend entschieden wird. Wie schon anläßlich der Comite-Permanent-Sitzung dieses Instituts, die im März 1946 tagte, der Weltöffentlichkeit mitgeteilt wurde, handelt es sich um die Auflösung des Instituts als selbständige öffentlich-reditliche Einrichtung beziehungsweise um die Übernahme seiner Funktionen durch die FAO der Vereinten Nationen.

Unter diesen Umständen mag wohl ein kurzer Bericht über den Aufbau und über die Leistungen des IIA am Platze sein. Unter den vielen internationalen Organisationen, die es heute gibt, nimmt das IIA aus verschiedenen Gründen eine Sonderstellung ein. Zunächst gehört es zu den nidit sehr zahlreichen internationalen Stellen, die auf ein relativ hohes Alter zurückblicken können. Es hat immerhin zwei Weltkriege überdauert und damit eine für internationale Einrichtungen ungewöhnliche Lebenskraft bewiesen. Die offizielle Gründung erfolgte 1905 auf einer von 40 Staaten, darunter auch Österreich, beschickten internationalen Konferenz in Rom. Die italienische Regierung hatte dazu eingeladen, und der König war persönlich an der Gründung interessiert. Der treibende Geist aber, von dem die Anregung ausging, war der Amerikaner David Lubin, der die damals in der Luft liegende Idee einer landwirtschaftlichen Weltorganisation aufgriff und mit großer Zähigkeit und Überzeugungskraft propagierte. Es war mehr oder weniger ein Zufall, daß das Samenkorn des „praktischen Idealisten“, wie ihn seine Biographin Mrs. Agresti nennt, gerade in Italien auf fruchtbaren Boden fiel.

Die Wahl des Gastlandes, beziehungsweise des Dienstsitzes ist für eine internationale Organisation von schicksalhafter Bedeutung, besonders in Zeiten, die mit so starken Konfliktstoffen geladen sind wie die letzten 40 Jahre. Daß das Institut den Stürmen des ersten Weltkrieges standhielt, erklärt sich daraus, daß das Gastland Italien damals zu den Siegermächten gehörte und daß der Sinn für internationale Verständigung und Zusammenarbeit auch während des Kriegsgeschehens am Institut lebendig blieb. Der zweite Weltkrieg brachte freilich weit größere Schwierigkeiten mit sich. Die Institutsleitung war zwar ehrlich bemüht, sich von allen politischen Einflüssen freizuhalten, doch brachten es die Verhältnisse mit sich, daß das Institut während des Krieges materiell und finanziell in erhöhtem Maße auf Zuschüsse der Achsenmächte angewiesen war, denn die Zahlungen der Gegnerstaaten der Achse waren abgestoppt worden und die satzungsgemäßen Beiträge der neutralen Länder reichten zur Deckung des Institutsbudgets natürlich in keiner Weise aus *. So kam denn das Institut zwangsläufig und ohne eigenes Verschulden in den Verdacht der Achsenfreundlichkeit, und diese moralische Belastung brachte ihm das Ende.

Freilich hatten sich sdion lange vorher Ansatzpunkte zu einer Kritik an der

* Das letzte normale Vorkriegsbudget belief sidi auf rund 6,7 Millionen Papierlire, was damals etwa 1,4 Millionen Schweizer Franken entsprach.

Institutstätigkeit ergeben. Der ursprüngliche Hauptzweck, den die Gründer des Instituts in ihrem durch die Zeitverhältnisse erklärlichen, aber etwas nebelhaften Optimismus erstrebt hatten, wurde offensichtlich nicht erreicht. Hatte man doch ernstlich gehofft, durch die Schaffung einer Art Weltsyndikat der Landwirte, in dem alle Saatenstands-, Erzeugungs-, Preis- und Handelsnachrichten über die großen landwirtschaftlichen Stapelprodukte zusammenlaufen, die Wirtschaftspolitik der einzelnen Länder unmittelbar beeinflußen zu können, wobei man besonders an eine Stabilisierung der Getreidepreise, die Ausschaltung der Spekulation im Produktenhandel und ähnliche praktische Ergebnisse dachte. Doch drang die Idee eines weltumspannenden Zusammenschlusses von landwirtschaftlichen Berufsverbänden nicht durch. Vielmehr schuf man eine ausgesprochen offizielle Institution, in der die Regierungen, mithin die landwirtschaftlichen Verwaltungen, ausschlaggebend vertreten waren. Dadurch litt das Institut von Anfang an an einer gewissen bürokratischen Schwerfälligkeit. Kompliziert, wenn auch sorgfältig durchdacht, war die gegenseitige Abgrenzung der leitenden Organe, unter denen die Generalversammlung die oberste Instanz bildete, das Comite Permanent die laufende Exekutive hatte und der Generalsekretär mit der Leitung des etwa 120 Personen umfassenden Beamtenstabes betraut war und die Verantwortung für die wissenschaftliche Arbeit trug.

Dazu kam, daß die Finanzen des Instituts seit dem Ende des ersten Weltkrieges unter chronischen Schwierigkeiten zu leiden hatten. Die nach fünf Gruppen abgestuften Mitgliedsbeiträge der einzelnen Staaten gingen keineswegs mit der wünschenswerten Regelmäßigkeit ein; politische Ereignisse brachten weitere unerwartete Ausfälle mit sich; bei verschiedenen großen Staaten erlahmte frühzeitig das Interesse an aktiver Mitarbeit (Sowjet-Rußland, China); Valutaschwierig-keiten und die Weltwirtschaftskrise machten ebenfalls ihren unheilvollen Einfluß geltend — kurz, im Verhältnis zu dem umfangreichen, stets noch anwachsenden Aufgaben-kreis war das Budget des Instituts völlig unzureichend. Dementsprechend mußten die Personarausgaben niedrig gehalten werden, und so war es nicht immer möglich, entsprechend vorgebildete, leistungsfähige Mitarbeiter heranzuziehen.

Die Kritik, die an den Institutsleistungen geübt wurde, ging indes vielfach von unrichtigen Voraussetzungen aus. Von mandier Seite, wo man besonders an der statistischen und agrarwirtsdiaftlichen Abteilung des Instituts interessiert war, zog man Vergleiche mit den entsprechenden Einrichtungen im eigenen Lande — etwa mit dem Department of Agriculture der USA oder mit den Imperial Bureaus —, vergaß aber, die im Vergleich mit den Haushaltsplänen solcher nationalen Einrichtungen mehr als bescheidenen finanziellen Möglidikeiten des Instituts sowie die besonderen Schwierigkeiten, die sich aus dem weltumspannenden Gesichtskreis ergaben, gebührend in Rechnung zu setzen. Wenn man hingegen diese Hemmnisse gerechterweise berücksichtigt, wird man nicht umhin können, die Institutstätigkeit im ganzen gesehen durchaus positiv zu bewerten.

Es kann nicht der Zweck dieser Zeilen sein, eine Chronik des Instituts zu schreiben oder die Arbeitsleistungen der verflossenen 41 Jahre im einzelnen zu würdigen. Hier sollen' kurze Andeutungen genügen. Zu den Leistungen von dauerndem Wert gehört vor allem die statistische Sammeltätigkeit des Instituts, die in den 30 Jahresbänden des „Annuaire international de Statistique agricole“ niedergelegt ist, für jeden Agrarwirtschaftler und Handelspolitiker eine unerschöpfliche Fundgrube von authentischem Zahlenmaterial. Ein ähnlich umfangreiches und im Laufe der Jahre stetig verbessertes Reihenwerk dokumentarischen Charakters bildet das „Annuaire international de Legislation a g r i c o 1 e“, eine Sammlung sämtlicher Landwirtschaftsgesetze und -Verordnungen aller Länder. Daneben verdienen die wissenschaftlichen Arbeiten und Informationen, “ die in der Monatsschrift (Revue internationale d'A griculture) des Instituts (fünf Ausgaben in verschiedenen Sprachen) niedergelegt sind, volle Beachtung. Unter den zahlreichen Einzelveröffentlichungen des Instituts seien noch die internationalen landwirtschaftlichen Buch-füh rungserhebungen, die Monographienreihen über Produktion und Handel besonders wichtiger landwirtschaftlicher Erzeugnisse, die Arbeiten der Sektion für tropische Landwirtschaft, die sehr wertvollen bibliographischen Veröffentlidiungen (besonders die „Internationale Bibliographie der Agrarwirtschaf t“) und die noch im Laufe des Krieges erschienene Monumentalübersicht über den Welthandel mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen erwähnt. Zu den allgemein anerkannten Leistungen des Instituts gehört sodann noch die Errichtung und der organische Aufbau einer großen Fachbibliothek und die damit zusammenhängende Förderung des landwirtschaftlichen Dokumentationswesens. Man war sidi von Anfang an darüber im klaren, daß das Institut in seiner Eigenschaft als „Clearing house“ von Informationen bestrebt sein müsse, die gesamte landwirtschaftliche Weltliteratur und daneben noch die wichtigsten Werke der Nebengebiete in tunlichster Vollständigkeit zu sammeln. Dank der Freigiebigkeit vieler Mitgliedsregierungen und dank der durch die Veröffentlichungstätigkeit des Instituts ermöglichten Anbahnung von Tauschbeziehungen gelang es, mit verhältnismäßig bescheidenen Barmitteln eine der größten landwirtschaftlichen Fachbibliotheken der Welt aufzubauen' (1939: 350.000 Bände und 3200 laufende Zeitschriften). Die Bibliothek erblickte aber ihre Aufgabe nicht allein im Sammeln des Bücher- und Zeitscliriftenmaterials, sondern versuchte mit Erfolg, die tote Masse von Druckwerken zu einem lebendigen Organismus umzugestalten, das heißt durch moderne Katalogisierungsund Auswertungsmethoden, durch einen sorgfältig aufgebauten bibliographisdien Handapparat von Spezialkarteien, sowie durch eigene Veröffentlichungen von Schrifttumsnachweisen und Nachschlagewerken das Büchermaterial 'an die Benutzer heranzubringen.

Was wird nun aus diesem einzigartigen Besitzstand des Instituts, was aus seinen statistischen Materialsammlungen und Karteien, seinen legislativen Archiven, was aus seiner einzigartigen Bibliothek? Wir haben schon angedeutet, daß bereits eine Nachfolgeorganisation besteht, die bereit ist, die Funktionen und den dokumentarischen Apparat des Instituts zu übernehmen. Sie geht auf die im Frühling 1943 in Hot Springs, Virginia, tagende erste Sonderkonferenz der UNO zurück. Damals wurde der Grund gelegt zur FAO, also zur Ernährung s- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen. Die eigentliche Gründung erfolgte allerdings erst auf einer Konferenz, die in der zweiten Oktoberhälfte 1945 in Quabec stattfand. Über den Verlauf dieser Tagung und über die bisherigen Leistungen der FAO ist in der europäischen Öffentlichkeit bisher nicht allzu viel bekannt geworden. Wir wissen jedoch, daß am Schluß der Tagung 42 Länder Mitglieder der FAO geworden waren, daß aber sogar von den Mitgliedern der UNO einige Staaten (Südamerika) fehlten und daß zwei Agrarländer von überragender Widitigkeit, nämlich die Sowjetunion und Argentinien, große Zurückhaltung zeigten und nur durch Beobachter vertreten waren. Der Geist zu bereitwilliger Zusammenarbeit zur Lösung der so brennenden Welternährungsfragen war also schon bei der Gründung überschattet von der tiefbedauerlidien Tatsache,daß selbst die Lösung eines so allgemein menschlichen, an sich so unpolitischen Problems wie die Lebensmittelbeschaffung von machtpolitischen Augenblickskonstellationen beeinflußt und gestört wird. Wir wollen diese latenten Spannungen, die offensichtlich schon in Quebec geherrscht haben und die in der Zwischenzeit wohl kaum nachgelassen haben, nicht als böses Omen für die Zukunft auffassen; aber die Tatsache, daß seinerzeit bei der Gründung des IIA eine vorbehaltlose Zusammenarbeit aller großen Mächte mit Einschluß Rußlands, Chinas und Japans erzielt wurde, legt Vergleiche nahe, die nicht zugunsten der Jetztzeit sprechen.

Aus den Reden und Besprechungen in .Quebec gewinnt man allerdings den Eindruck, als seien die maßgebenden Persönlichkeiten der FAO bemüht, aus den Fehlern der Vergangenheit und besonders aus den Unzulänglichkeiten des IIA zu lernen. Vor allem will man das Hauptgewicht auf aktive Einflußnahme auf die Ernährungspolitik der einzelnen Länder legen. Nicht bloß eine Informationszentrale will man schaffen, sondern einen Motor installlieren, der wirksame Aktionen auslösen soll. Das sind Grundsätze, die .man gern und freudig unterschreiben wird. Ferner fließen die Mittel sehr viel zahlreicher, vor allem deshalb, weil die Finanzmacht Amerikas mit ihrem ganzen Gewicht hinter der Neugründung steht. Für das erste volle Haushaltsjahr der FAO wurde ein Etat von fünf Millionen Dollars festgesetzt (man vergleiche das oben erwähnte Budget des IIA).

Erfreulich ist ferner, daß man zum Leiter der FAO einen international bekannten Fachmann und nicht etwa einen Nur-Politiker gewählt hat. In der Person von Sir john Boyd Orr gewann man einen Ernährungswissenschaftler, der bereits vor Jahren durdi seine epochemachenden Untersuchungen über die Ernährungslage Großbritanniens das Interesse der Weltöffentlichkeit auf sich zog.

Eine bemerkenswerte Abweichung von der Institutstradition besteht in der völligen Eingliederung von Forst- und Fischereiwesen, während bisher die Forstwirt-s c h a f t in der Form der 1939 gegründeten „Internationalen Forstzentrale“ (die sich zur Zeit auf österreichisdiem Boden befindet) zwar organisatorisch mit dem IIA verbunden war, aber praktisdi eine recht autonome Stellung inne hatte. Man wird bezweifeln dürfen, ob die forstlidien Kreise de verschiedenen Länder mit diesem Verzicht auf Selbständigkeit ausnahmslos einverstanden sein werden.

Von landwirtschaftlidier Seite hin wiederum ist beanstandet worden, daß im Rahmen der FAO das Verbraucherinteresse allzu stark in den Vordergrund geschoben wird. Die allgemeinen Ernährungsfragen haben offensichtlidi in der FAO den Vorrang vor der . Landwirtschaft, gesehen als Wirtschaftszweig und Berufsgruppe. Bedenken mag vom Standpunkt der europäischen Landwirtschaft auch die von Amerika besonders lebhaft geforderte Betonung der Markt- und Absatzfragen erregen. Ohne die Bedeutung des Verteilungsproblems verkennen zu wollen, muß doch gesagt werden, daß in unserem verwüsteten Festland-Europa zunächst einmal das landwirtschaftliche Erzeugungsproblem (die Ausdehnung der Anbauflächen, die Ertragssteigerung) den ersten Punkt der Tagesordnung bilden müßte.

Noch ist bei der FAO alles im Werden und Entstehen. Über viele Dinge sieht man noch nidit klar. Unter anderem steht auch die Entscheidung über den endgültigen Hauptsitz der Organisation, die zur Zeit in Washington tätig ist, vorerst noch aus. Mit der Begründung von Zweigstellen in Europa und anderswo ist mit großer Wahrsch“in-lidikeit zu rechnen. Jedes Urteil über die Leistungen der FAO wäre verfrüh“. ' an wird zwar das langsame Tempo, mit dem die Organisation in Fluß kommt, lebhaft bedauern, aber gut' Ding will Weile haben, und die Schwierigkeiten internationaler Zusammenarbeit sind zu allen Zeiten groß gewesen. Auch das IIA hat fast fünf Jrhre gebraudit, bis es ;— von seiner Gründung gerechnet — seine eigentliche Arbeitstätigkeit aufnehmen konnte. Was wir aber der FAO vor allen Dingen und als erste Voraussetzung zu ihrem Gedeihen wünschen möchten, ist ein langer, dauerhafter und gerediter Weltfrieden, der diesen Namen wirklich verdient.

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