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Digital In Arbeit

III. Ein Mann im Arbeiter-Sonntagsgewand

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Der Mann ist mager und sehnig. Man sieht, daß er gewöhnt ist, schwere körperliche Arbeit zu verrichten. Er ist bekleidet mit einem wollenen, graukarierten Hemd mit offenem Kragen und einem blaugrauen Anzug — der Typus eines Arbeiters im Sonntagsgewand, wie man in Budapest Tausenden und aber Tausenden begegnet. Aber sein Gesicht ist auffallend; es hat den ruhigen und verstehenden Ausdruck von Menschen, die vieles erlebt haben, viele Sorgen haben, die aber trotzdem im Frieden mit sich selbst leben, weil sie kein anderes Ziel kennen, als ihre Pflicht zu tun. Es ist kein Dolmetsch in der Nähe, und wir entschuldigen uns in deutscher Sprache, daß wir nicht ungarisch sprechen. Der Mann versteht schwer und fragt plötzlich lateinisch: „Sprechen Sie vielleicht Italienisch? Diese Sprache kenne ich noch.“

„Wer sind Sie?“ fragen wir.

„Ach, mein Name wird Sie wahrscheinlich nicht sehr interessieren“, antwortet er; „Sie sehen, daß ich ein Arbeiter bin. Um es genauer zu sagen, ich bin Hilfsarbeiter beim Brückenbau.“

„Aber wieso sprechen. Sie so fließend Italienisch?“

„Wissen Sie, früher war ich Ordensgeistlicher. Als der Orden aufgehoben wurde, kam ich, wie übrigens die meisten Ordensgeistlichen, ins Gefängnis. Da mußte ich einige Jahre .brummen“; wirklich schwer war nur die Zeit, da ich allein in der Zelle sein mußte. Aber reden wir nicht davon. Es ist nicht wichtig. Als ich aus dem Gefängnis entlassen wurde, fand die Regierung mich unwürdig, meine priesterlichen Funktionen weiterhin auszuüben. So erging es übrigens den meisten Ordensgeistlichen. Ich mußte Arbeit suchen und wurde Hilfsarbeiter.“

„Konnten Sie nach der Revolution nicht ins Ausland flüchten?“ wollen wir wissen.

„Vielleicht wäre es gelungen. Ich hatte auch Erlaubnis von meinen kirchlichen Behörden, aber ich konnte es nicht über mein Gewissen bringen, mein Vaterland und meine Arbeit im Stich zu lassen. Es gibt zu viele Leute, die uns brauchen. Es herrscht hier Priestermangel, und innerhalb von einigen Jahren wird es noch schlimmer. Die Folgen können nicht ausbleiben.

Jetzt verdiene ich meinen Unterhalt als Hilfsarbeiter. Ich bekomme ungefähr 8 50 Forint im Monat, und weil ich das Glück habe, bei Freunden wohnen zu können, genügt das.“

„Haben Sie denn mit Ihren Fähigkeiten nichts Besseres finden können?“

„Wenn Sie Ungarn besser kennen würden, würden Sie wissen, daß es für Leute meines Schlages keine bessere Stellung gibt. Uebrigens hat die Arbeit Vorteile: niemand ist eifersüchtig, und ich bin frei und unbelästigt.“

„Arbeiten Sie noch in der Seelsorge?“

„Ja, das gerade ist ja die Aufgabe der Priester, die ihre Funktion nicht mehr ausüben dürfen. Jeden Sonntag kann ich irgendwo im geheimen die Messe zelebrieren. Ich höre oft Beichte, aber naturgemäß nur von Leuten, die ich kenne. Weiter halte ich oft Einkehrtage, natürlich auch nur für zuverlässige Leute und im geheimen. Wir lesen gute Bücher, die wir dann zusammen besprechen, und unterrichten junge Leute, damit sie nachher den Kindern Religionsunterricht geben können. Sie wissen, daß heutzutage Religionsunterricht vollkommen auf die Schule beschränkt bleiben muß. Aber die meisten Kinder nehmen keinen Religionsunterricht mehr. Die Eltern haben Schwierigkeiten damit — und die Kinder auch. Dazu ist der Religionsunterricht in den Schulen auch nichts wert. Ein Priester darf nur Religionsunterricht geben, wenn er vom Staat genehmigt und empfohlen wird. Und zu solchen Priestern haben weder die Eltern noch die Kinder Zutrauen.“

„Aber haben die staatlichen Autoritäten keine Ahnung von dieser Aktion?“

„Natürlich konnte das alles nicht geheim bleiben, und wir müssen daher sehr vorsichtig sein. Die sogenannten .Friedenspriester“ haben auch schon protestiert und von den Bischöfen verlangt, daß sie jeden Religionsunterricht außerhalb der Schule verbieten. Aber sie müssen unsere Aktion gut verstehen. Wir sind keine Verschwörer gegen den Staat oder das Regime. Wir anerkennen die Autorität der Regierung und erziehen unsere jungen Leute zu Gehorsam gegenüber der weltlichen Macht. Wir sind keine Reaktionäre, die die alte Zeit zurückhaben wollen, und wir sehen auch ein, daß der Kollektivismus vielen himmelschreienden, widerwärtigen Verhältnissen ein Ende bereitet hat. Aber wir anerkennen die Souveränität Gottes und haben also die Pflicht, unter allen Umständen Gottes Auftrag zu gehorchen.“

„Haben Sie eine Gruppe von Leuten um sich?“ „Ja. Vor allem junge Leute, die nicht ängstlich und für die gute Sache des Glaubens begeistert sind. Es gibt solche Gruppen überall in Ungarn. Diese Katakombenkirche ist aber nicht zentral organisiert, das würde zu gefährlich sein. Wenn wieder einmal eine Gruppe .auffliegt“, hören sie im Ausland, daß wieder eine Anzahl reaktionärer staatsgefährlicher Elemente verurteilt wurde. Aber die anderen Gruppen können Weiterarbeiten. Unsere Gruppen erhalten natürlich auch neue Mitglieder. Die werden meistens von den älteren Mitgliedern selber ausgewählt und dann erst — ohne daß sie selber etwas davon wissen — geprüft, ob sie genügend Selbstdisziplin haben, um Mitglied zu sein. So eine Gruppe kommt regelmäßig zusammen, immer woanders und immer dort, wo es nicht auffällt. Sie wissen doch auch, daß gute Lektüre hier Mangelware ist.

Wir werden allmählich isoliert und wissen nicht, was für theologische, soziale, philosophische und asketische Bücher erscheinen. Wenn wir einmal so ein Buch in die Hände bekommen, ist das ein Erlebnis. Es ist nicht lange her, da haben junge Leute von meiner Gruppe ein Buch eines bekannten katholischen Schriftstellers übersetzt. Das Buch hatte 500 Seiten, und die ganze Auflage der Uebersetzung betrug nicht mehr als fünf Exemplare, die mit Kohlepapier auf der Schreibmaschine geschrieben wurden. Der Erfolg stand zwar nicht im Verhältnis zum guten Willen und zur Arbeit, jedenfalls aber wurde das Buch eifrig herumgereicht, gelesen und besprochen.

Vielleicht ist Ihnen auch aufgefallen, daß die Leute hier keine Gebetbücher mehr haben. Die werden natürlich nicht mehr herausgegeben. Ein .Schott’ ist etwas sehr Kostbares, und wenn ich am Sonntag zelebriere, werden alle Gebete von einem der Mitglieder aus einem alten .Schott’ auf Ungarisch gelesen. Es ist schon einmal passiert, daß eine Gruppe ein kleines Gebetbuch Seite für Seite photokopiert hat. Es mangelt nicht an gutem Willen, bewundernswertem Mut und starkem Glauben. Und gerade deswegen ist es so traurig, daß sich unsere Arbeit auf einen ziemlich kleinen Kreis beschränken muß. Ein Großteil der heranwachsenden Jugend hört nichts mehr von Gott oder Religion, will aber auch nichts wissen von der Kommunistischen Partei. Sie wächst wild auf. In Ungarn ist die Jugendkriminalität ein großes Problem, aber ich höre, daß es in den anderen Ländern Europas nicht besser ist.“

„Haben Sie die kirchliche Jurisdiktion?"

„Das ist eine schwierige Frage. Voriges Jahr haben die Bischöfe unter dem Druck des Staats-büros für kirchliche Angelegenheiten die Jurisdiktion aller Priester für. ungültig erklärt. Jeder Priester mußte von neuen! um die Jurisdiktion ansuchen. Da wir aber vom Staat als Priester abgesetzt wurden und keine priester-liehe Funktion ausüben dürfen, konnten wir nicht neuerlich um Jurisdiktion ansuchen. Denn alle Korrespondenz mit den Bischöfen geht durch die Hände eines Beamten des Büros für kirchliche Angelegenheiten.

Trotzdem aber glaube ich mich im Besitze der Jurisdiktion. Wir haben die Nachricht erhalten, daß der Papst selbst allen Priestern Jurisdiktion gegeben hat, denen diese unrechtmäßig weggenommen wurde.“

„Und haben Sie nicht oft Angst um Ihre Sicherheit?“

„Zum Glück nicht, denn wenn man einmal ängstlich und nervös wird, soll man besser mit der Arbeit aufhören. Aber wir machen nichts anderes, als den Auftrag erfüllen, auf den wir in Ausübung unseres Amtes und unseres Auftrages von der kirchlichen Obrigkeit verpflichtet sind. Wir sind so vorsichtig wie nur möglich;

wenn aber der eine oder der andere einmal von der Polizei gefangengenommen wird, hoffen und beten wir, daß Gott ihm die Kraft geben möge, auch im Gefängnis seine Berufung auszuüben. Sie dürfen ruhig schreiben, was ich erzählt habe. Für die ungarische Polizei ist das nichts Neues, und es ist gut, daß die Katholiken im Ausland überzeugt sind, daß wir den Mut noch nicht verloren haben und daß wir so gut wie möglich Weiterarbeiten. “

Der Priester verschwindet in der Menschenmenge im Bahnhof Budapest-West am Lenin- Körut. Ein gewöhnlicher Arbeiter im Sonntagsgewand, mit einem grauen, wollenen Hemd mit offenem Kragen. Solchen Leuten begegnet man in Budapest zu Tausenden und aber Tausenden.

Sie tragen das Licht, den Glauben, die Hoffnung und die Liebe durch die Finsternis.

Ende

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